Hal Clement

Unternehmen Tiefsee

I

Ich habe noch nie einen Psychiater konsultiert und verspure auch keine gro?e Neigung dazu, doch in jenem Augenblick ware mir wohler gewesen, wenn einer sich in der Nahe befunden hatte, mit dem ich hatte reden konnen. Zwar war es beileibe nicht so, da? ich das Gefuhl gehabt hatte, ich wurde uberschnappen. Keineswegs. Aber wenn man etwas Tiefsinniges zu sagen hat, dann mochte man es gebuhrend gewurdigt wissen, und nur ein Fachmann hatte die Bemerkung wurdigen konnen, die ich in jenem Augenblick machen wollte.

Es gibt eine Bezeichnung fur Menschen, die es nicht ertragen konnen, im Freien zu stehen und von Menschenmengen angestarrt zu werden. Weiter gibt es eine Bezeichnung fur solche, die das gro?e Zittern uberkommt, wenn sie in engem Raum eingesperrt sind. Das sind ziemlich haufig auftretende psychische Gebrechen, und doch mochte ich wetten, da? noch nie zuvor jemand an Agoraphobie und Klaustrophobie gleichzeitig gelitten hat.

Mit einem Namen wie dem meinigen habe ich naturlich stets das Auge der Offentlichkeit gemieden und fur gewohnlich auch der Versuchung widerstanden, in Gesellschaft mit klugen Reden zu brillieren. Und doch wunschte ich in jenem Auge nblick, es ware jemand dagewesen, der meine Gefuhlsdiagnose horen konnte.

Oder vielleicht wunschte ich mir nur, es ware uberhaupt jemand bei mir gewesen.

Von dem Unwetter horte ich nichts mehr. Die „Pugnose“ war fast genau an der beabsichtigten Stelle zu Bruch gegangen. Sie war genau dort in die Schlechtwetterzone geraten, wo die meteorologische Abteilung es vorausgesagt hatte, und der Treibstoff war dann innerhalb von funf Minuten ausgegangen — das hatte sogar ich voraussagen konnen. Man konnte sich getrost darauf verlassen, da? die Bosse der Aufsichtsbehorde nicht ein Quantchen Energie mehr als notig mit ihr untergehen lie?en. Gut, ein wenig Batteriestrom war noch da, und ich hatte einen Loran-Check laufen, bis die „Pugnose“ so nahe als beabsichtigt an den Punkt X herangetrieben war. Es stellte sich heraus, da? dieser etwa eine halbe Meile entfernt war. Als ich merkte, da? sie sich der Schlusselstellung naherte, lie? ich den Zunder hochgehen, und die arme kleine „Pugnose“ brach mittschiffs auseinander.

Zwar war sie niemals fur einen anderen Zweck bestimmt gewesen, und ich hatte mich keineswegs in sie verliebt, wie es manchen vielleicht passiert ware. Dennoch — bei diesem Anblick war mir nicht wohl. Mir kam es wie eine Ve rschwendung vor.

Nun ja, viele Gedanken konnte ich nicht darauf verwenden. Ich verkroch mich in den Tank, machte ihn dicht und lie? der Natur ihren Lauf. In diesem Augenblick befanden der Tank und ich uns, wenn man den statischen Druckme?instrumenten trauen durfte, in einer Tiefe von achthundert Fu?.

Hier unten herrschte absolute Stille. Ich wu?te, da? das Wasser voruberstromte, weil wir pro Sekunde um zwei Fu? sanken, aber zu horen war da nichts. Alles was an dem Kahn nicht niet— und nagelfest gewesen war, war langst weg. Was unsinkbar war, trieb uber den Pazifik verstreut dahin, und was versank, war mir auf dem Weg zum Grunde des Ozeans voraus. Ware nun etwas Festes gegen mein spezielles Stuck Wrack gepoltert, so hatte es mich gleicherma?en beunruhigt und in Erstaunen versetzt. Die Stille war an sich ein gutes Zeichen, bereitete mir aber Unbehagen.

Ich war einmal drau?en im Weltraum gewesen — wegen einer Abfall-Untersuchung auf einer der Fusions- Forschungs-Stationen der Aufsichtsbehorde —, und da hatte ich schon einmal das totale Fehlen von Gerauschen erlebt. Schon damals hatte ich es nicht gemocht. Ich hatte dabei immer den Eindruck, das Universum zeige mir absichtlich die kalte Schulter, bis dann endlich der Zeitpunkt gekommen ware, meine Uberreste wegzufegen. Auch jetzt mochte ich es nicht, obwohl das Gefuhl anders war — diesmal war mir, als wurde mich jemand sorgfaltig beobachten, um zu sehen, was ich vorhatte, und als versuche dieser Jemand zu einem Entschlu? zu gelangen, was da zu tun sei. In diesem Fall ware mir ein Psychiater naturlich keine gro?e Hilfe gewesen, denn es bestand immerhin eine gewisse Wahrscheinlichkeit, da? es stimmte.

Bert Whelstrahl war vor einem Jahr in dieser Wasserwuste verschollen. Joey Elfven, der fahigste Ingenieur und Unterwasserexperte der Welt, war zehn Monate darauf in derselben Gegend spurlos verschwunden. Mit beiden war ich befreundet gewesen, und ihr Verschwinden machte mir Kummer.

Vor sechs Wochen war nun Marie Wladetzki ihnen gefolgt. Das war fur mich noch viel schlimmer.

Sie war naturlich keine offizielle Ermittlerin — die Aufsichtsbehorde, wie sie von ihrem gegenwartigen Chef reprasentiert wird, dessen Namen ich hier nicht erwahne, halt Frauen fur nicht objektiv genug —, aber das hie? nicht, da? Marie nicht auch Ne ugierde entwickeln konnte. Dazu kam, da? sie an Joey so sehr interessiert war, wie ich an ihr. Da Marie aus ihrer Haut nicht herauskonnte, war sie, ohne gegen einen einzigen Buchstaben des Gesetzes zu versto?en, von Papetee mit einem Unterseeboot der Aufsichtsbehorde einfach losgebraust, doch hatte sie im Grunde genommen gegen alle versto?en. Sie hatte ihr Ziel nicht genannt und hatte als letztes ihren Standort zwischen Pitcairn und Oejo angegeben, tausend Meilen von der Stelle entfernt, wo ich jetzt mit den Trummern der „Pugnose“ in die Tiefe sank. Keiner, der sie kannte, hatte die geringsten Zweifel, wo man zuerst nachschauen musse.

Der Bo? war so menschenfreundlich, mich mit der Suche zu betrauen. Und genau das war es, was ich selbst wollte — mir ein U-Boot schnappen und nachsehen, was passiert war. Doch mein Verstand gewann die Oberhand. Berts Verschwinden konnte man vielleicht noch einem Unfall zuschreiben, obwohl fur das Gebiet um die Osterinseln genugend Verdachtsmomente vorlagen. Joeys Verschwinden an einer Stelle, die kaum ein Dutzend Meilen entfernt war, hatte moglicherweise ein Zufall sein konnen — die See ist allemal fur Uberraschungen gut. Nach Maries Verschwinden aber hatte nur mehr ein ausgemachter Dummkopf sich offen in das Gebiet gewagt.

Daher befand ich mich nun tausend Fu? unter der Oberflache des Pazifik und etliche tausend Fu? uber dem Meeresgrund, als Teil eines Schiffswracks getarnt.

Ich wu?te nicht genau, wie viel Wasser noch unter mir war. Meine letzte Peilung oben an der Oberflache war sehr genau ausgefallen, und meine Kenntnis der Bodenkonturen nordlich von Rapanui war ausgezeichnet, und doch konnte ich nicht mit Sicherheit feststellen, ob ich senkrecht in die Tiefe sank. Die Stromungen in Inselnahe sind namlich mitnichten so sanft und gleichma?ig, wie es die kleinen Pfeile auf den Pazifikkarten mit kleinem Ma?stab andeuten wollen.

Naturlich hatte ich es mit Echolotungen versuchen konnen. Um dieser Versuchung zu begegnen, hatte ich au?er Flutlichtern keine strahlenden Instrumente an Bord des Tanks. Und ich hatte nicht mal die Absicht, diese einzuschalten, ehe ich nicht Sicherheit hatte, da? ich allein war. Sehen ohne gesehen zu werden, hie? meine gegenwartige Taktik. Und diese Sicherheit wurde, wenn uberhaupt, erst sehr viel spater kommen, wenn ich den Grund erreicht und mich eine angemessen lange Zeit mit Horchen begnugt hatte.

In der Zwischenzeit behielt ich den Druckanzeiger im Auge, der mir verriet, wie viel Wasser sich uber mir turmte, und die Sensoren, die meldeten, ob jemand in meiner Umgebung Sonar-Einrichtungen benutzte. Ich war mir gar nicht sicher, ob ich mir eine Reaktion ihrerseits wunschte oder nicht. Wenn man reagierte, dann wurde es einen Fortschritt bedeuten. Ich wurde endlich wissen, da? da unten jemand war, der dort nicht hatte sein durfen — aber es wurde sich vielleicht um jene Art Fortschritt handeln, den die anderen drei mi tgemacht hatten. Allzu viel Sorgen brauchte ich mir nicht zu machen, denn funfzehn oder zwanzig Fu? zerquetschter Schiffsrumpf wurden auf jedem Sonarskop als das erscheinen, was sie waren, und der darin befindliche Tank mit voller Absicht nicht.

Aber naturlich gibt es Sonarleute, die sich nicht so ohne weiteres hinters Licht fuhren lassen.

Ich hatte naturlich auch hinausblicken konnen.

Der Tank hatte Bullaugen, von denen zwei in jene Richtung hinaussahen, wo sich das Heck der

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