Chosmophoroi und die Speirophoroi, Priesterinnen, die den Schmuck und die Gewander der Gottin trugen. Nur einmal im Jahr, zu ihrem Geburtstag, zeigte der Tempel das nackte, holzerne Bild der Gottin. Ansonsten war Artemis in kostbare Gewander aus parthi-scher Seide oder in feinstes Leinen, gefarbt mit Tyrener Purpur, gehullt.

Mehr als zwanzig Priesterinnen waren notig, um den Schmuck der Gottin zu tragen. Es waren goldene Armreife und Diademe, Perlenketten, Ohrgehange aus hauchdunnen Goldplattchen und mit bunten Edelsteinen verzierte Gurtel. Philippos gingen schier die Augen uber. Mit dem, was dieser Schmuck wert sein mu?te, konnte man eine ganze romische Legion ausrusten und auf ein Jahr lang besolden. Was Artemis wohl davon hielt, da? diese Ionier sie mit Gold behangten, so als sei sie eine parthische Prinzessin? Die Griechen der Provinz Asia waren schon ein seltsames Volk. Sie hatten die Prunksucht der Perser ubernommen, und wenn man die Standbilder, die sie der Artemis errichteten, mit denen verglich, welche die Tempel der zivilisierten Welt schmuckten, dann mochte man kaum glauben, da? es sich um ein und dieselbe Gottin handelte.

Was hatten die Epheser nur aus der stolzen Jagerin in ihrem kurzen Chiton gemacht!

Unwillig blickte Philippos zu jener Priesterin hinab, die das seltsamste Kleidungsstuck der Gottin trug. Es war ein breiter, bis unter die Bruste reichender Gurtel, auf den die gegerbten und mit Krautern und Sagespanen aufgepolsterten Hodensacke jener Stiere aufgenaht waren, die man der Artemis im Fruhjahr geopfert hatte. Barbarisch! Wenn der Statue dieser Gurtel umgeschnallt war, dann sah es so aus, als habe sie zwei Dutzend Bruste. Doch was wollte man von korrumpierten Ioniern schon erwarten! Wer uber Jahrhunderte mit den Persern paktiert hatte, konnte wohl von den seltsamen Gottesvorstellungen der Orientalen nicht unberuhrt bleiben.

Trotz seines Argers stimmte auch Philippos in das Jubelgeschrei zu Ehren der Gottin ein. Es war seine Artemis, die Herrin der Jagd und Geburt, deren Namen er laut hinausschrie.

Ihr und nicht jenem Zerrbild, das die Epheser aus der jungfraulichen Gottin gemacht hatten, galt seine Verehrung.

Im Grunde genommen hatten die Ionier Artemis gestohlen.

Jeder Gelehrte wu?te, da? die Gottin auf Delos geboren worden war, doch die Epheser behaupteten frech, dies sei nicht wahr, und zeigten Besuchern einen Hain, in dem angeblich unter einem uralten Olbaum Leto ihre Tochter Artemis entbunden hatte. So lange erzahlten sie diese Lugengeschichte schon, da? unter den weniger Gebildeten langst ihre Variante als die Wahrheit galt, zumal sie der Gottin mit dem Artemision einen Tempel errichtet hatten, der - zumindest, was seine Gro?e anging - alle anderen Tempel der Welt ubertraf.

Achtzig Schritt breit und mehr als hundertdrei?ig Schritt lang war der gewaltige Bau. Ein wahrer Wald von Saulen trug das Gebaude. Am Eingang des Tempels waren die Saulen mit mannshohen Reliefs geschmuckt, die der beruhmte Bildhauer Skopas geschaffen hatte. Noch prachtiger aber waren die vier riesigen Amazonen, die das Tympanon, den Giebel, des Tempels schmuckten. Alles an diesem Tempel erschien Philippos auf ketzerische Weise uberproportioniert. Auch wenn man das Artemision zu den Sieben Weltwundern zahlte, empfand er den Tempel nicht als schon.

Genausowenig wie bei ihrem monumentalen Bau kannten die Ionier auch nur die geringste Bescheidenheit, wenn es darum ging, den Machtbereich der Gottin zu erweitern. So war sie langst nicht nur Geburtshelferin und Jagerin, sondern auch eine Fruchtbarkeitsgottin, die uber das Gedeihen von Viehherden gebot. Ja, die Epheser sagten ihr sogar nach, da? sie den Seefahrern Schutz gewahrte. Deshalb war die holzerne Statue wahrend der Prozession auch zum Hafen getragen worden, und die Chrysophoi, die Trager des Gotterbildes, waren mit der Sanfte so weit ins Meer gegangen, bis die Wellen die Fu?e der Gottin umspulten. Allerdings gab es auch den einen oder anderen Aspekt wahrend der Feierlichkeiten, den Philippos durchaus als eine Bereicherung betrachtete. So hatte es am Vortag in der Arena der Stadt Wettkampfe und Pferderennen gegeben, und uberall herrschte eine so ausgelassene Stimmung, wie man sie sonst nur bei einem Fest zu Ehren des Dionysos antraf.

Das Gotterbild war langst auf der Prozessionsstra?e vorbeigetragen worden, und nach einer weiteren Gruppe von Flotenspielerinnen und Tanzerinnen folgten die mit Girlanden und bunten Bandern geschmuckten Stiere, die der Artemis geopfert werden sollten. Man hatte die zwanzig schonsten Bullen von den Weiden des Tempels ausgewahlt und dazu noch fast hundert Ziegen. Sie alle wurden auf dem von Mauern umgebenen Altar vor dem Tempelportal der Gottin dargebracht werden.

Philippos lief das Wasser im Munde zusammen, wenn er an all das Fleisch dachte, das bis zum Ende des Tages noch aufgetischt werden wurde. Fur den Tempel, also fur die Priesterinnen und ihre Gaste, wurden die besten Stucke zuruckbehalten werden, wahrend das ubrige Fleisch vom Kollegium der Kureten nach einem strengen Ritual an die Vertreter der verschiedenen Stadtviertel von Ephesos weitergegeben wurde. Jeder Burger sollte einen Anteil am Fleisch der Opfertiere erhalten.

Philippos dachte an seine Kindheit in Athen. Sein Vater war ein armer Topfer gewesen, und es hatte nur sehr selten Fleisch in ihrem Haus gegeben. Doch jedes Jahr, wenn das Fest zu Ehren der Athene, der Schutzpatronin der Stadt, gefeiert wurde, hatten die Topfer und Schmiede, so wie es von alters her ihr Recht war, das Hirn der Opferstiere erhalten. Als sei es erst gestern gewesen, konnte er sich daran erinnern, wie er und seine beiden Bruder vor der Tur ihres Hauses darauf gewartet hatten, da? der Vater mit einem blutigen Leinenbeutel die enge Gasse herunterkam, die zur Akropolis fuhrte.

Anschlie?end hatten sie nicht von der Seite ihrer Mutter weichen wollen, wahrend sie an der Herdstelle das Mahl bereitete. Obwohl er heute manchmal die Ehre hatte, zu Gast an der Tafel des Ptolemaios zu sein, so hatte Philippos nur selten etwas zu essen bekommen, das ihm so kostlich mundete wie das gekochte Hirn und die frischen Brotfladen, die es an den Festtagen seiner Kindheit gegeben hatte.

Gedankenverloren blickte der Arzt dem holzernen Gotterbild nach. Fur ein Jahr lang wurde Artemis nun in das Allerheiligste des gewaltigen Tempels zuruckkehren. Merkwurdig genug, da? diese Art des Kultes den Menschen des barbarischen Landes gefiel. Zu Tausenden kamen sie jedes Jahr in die Stadt, um den riesigen Tempel zu bewundern, und sie brachten ihr Geld mit und gaben es fur allen moglichen Unsinn aus.

Er konnte es durchaus verstehen, dachte Philippos, wenn man einen Monatssold beim Wurfeln verspielte oder in Wetten bei einem Wagenrennen steckte. Auch eine schone Hetaire war es wert, da? man sich gro?zugig zeigte. Doch wie man sein Silber fur Ton- oder Elfenbeinfigurchen ausgeben konnte, die eine Nachbildung der mit Stierhoden behangten Artemis darstellten, das wurde er niemals begreifen! Und doch konnte man uberall in der Stadt kleine Skulpturen der Gottin kaufen oder auch kostbare, rotfigurige Amphoren und Schalen erwerben, die Szenen aus dem Leben der Gottin zeigten.

Es war etwas anderes, wenn man ein schones Weihgeschenk kaufte und es der Gottin stiftete. Er selbst hatte dies vor einigen Wochen erst getan, und Philippos war sicher, da? die Gottin schon wu?te, da? er nicht dem seltsamen Irrglauben der Epheser anhing. Einen halben Monatslohn hatte er fur eine silberne Fibel ausgegeben, die als Gewandschmuck der Gottin dienen mochte. So, wie man einen Herrscher beschenkte, um sich seiner Gunst zu vergewissern, so war es auch bei den Gottern kluger, nie geizig und selbstherrlich zu erscheinen. Sie waren launisch und vermochten einem das Leben durch allerlei Schicksalsschlage zu erschweren. Schlie?lich konnte allein Artemis wissen, wie lange der Hofstaat des Ptolemaios noch auf dem Gelande ihres Heiligtums Zuflucht suchen mu?te. So wie die Dinge standen, wurde der Konig nicht aus eigener Kraft, sondern nur mit Hilfe romischer Waffen seinen Thron zuruckerobern konnen.

Philippos betrachtete die kleine Schar Ergebener, die Ptolemaios in den zwei Jahren, die er nun schon fern von Agypten war, die Treue gehalten hatte. Es waren erschrek-kend wenige! Doch zum Gluck gab es auch noch andere, die offenbar fest mit der Ruckkehr des Herrschers rechneten. Vor ein paar Wochen erst war eine Gesandtschaft von Priestern aus einem Tempel tief im Suden des Landes nach Ephesos gekommen, um sich mit Ptolemaios zu beraten, und vor drei Tagen hatte eine Galeere kostbare Geschenke aus der Hafenstadt Tyros gebracht, mit der sich die dortigen Handelsherren der Neigung des Herrschers versichern wollten. Es lag allein bei Aulus Gabinius, dem romischen Proconsul von Syrien, ob Ptolemaios wieder in Alexandria herrschen wurde. Noch wartete der Romer geduldig auf einen Befehl des Senats fur diesen Feldzug, doch vielleicht wurde schon bald die Verlockung des agyptischen Goldes so gro? werden, da? er es auch ohne diesen Befehl wagte, seine Legionen in Marsch zu setzen. Das war es, worauf der Konig hier in Ephesos wartete!

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