war allein, Euch hierher zu bringen, Herrin.«

Ohne weiter auf den Kureten zu achten, trat die Isispriesterin in das Zwielicht des langgestreckten Baus. Ein paar Schritt vor ihr kniete Philippos am Boden und untersuchte Buphagos, den man auf eine alte Pferdedecke gebettet hatte. Weiter hinten im Stall erklang das unruhige Schnauben eines Stiers.

Samu lie? sich neben dem Griechen nieder und betrachtete das Gesicht des toten Mundschenks. Seine Zuge waren so gra?lich entstellt, als hatte er im Augenblick des Todes die schrecklichsten Qualen erlitten. Aus seinen Augen war ihm Blut auf die Wangen gelaufen. »Was glaubst du, woran er gestorben ist?«

Philippos schuttelte den Kopf. »Ich wei? es nicht. Er hat keine Wunden!«

»Und das Blut?«

»Ich kann es nicht sagen. Es sieht aus, als habe er blutige Tranen geweint. Ich konnte keine Verletzungen an seinen Augen finden. Nur ein paar ganz leichte Schrammen, doch die scheint er sich selbst beigebracht zu haben. Es sieht fast so aus .« Der Arzt verstummte.

»Was? Wonach sieht das aus?« Samu beugte sich uber den Toten. In dem schlechten Licht konnte man nicht recht sehen, ob er nicht doch kleine Wunden an den Augenlidern hatte.

Zumindest waren seine Augapfel unverletzt. Samu griff nach einem Zipfel der Pferdedecke, spuckte darauf und machte sich daran, das Blut und die dicke, schwarze Schminkpaste um die Augen das Mundschenks abzuwischen.

»Die Gottin. Er hat sie beleidigt ...«

Die Priesterin blickte zu Philippos auf. Die Stimme des Griechen war kaum mehr als ein Flustern, und er machte ein Gesicht, als sa?en ihm die Erinnyen im Nacken. »Du glaubst, Artemis hat ihn getotet?«

Der Arzt nickte. »Man sagt, da? Menschen, die plotzlich sterben, ohne da? es irgendeine erkennbare Ursache fur ihren Tod gibt, von den Pfeilen der Artemis getroffen wurden. Sie ist eine Jagerin und oft launisch. Kein Gott des Olymp versteht es, mit Pfeil und Bogen so umzugehen wie sie. Sieh dir nur Buphagos an! Schau in seine Augen! Sie bluten, ohne da? er eine Wunde hatte. Die Pfeile der Gottin haben ihn in die Augen getroffen. Vielleicht hatte er getrunken und ist deshalb auf den Prozessionsweg getaumelt? Das ware fur die Jagerin sicher schon Grund genug, ihn zu richten.«

Samu beugte sich uber das Gesicht des Toten. »Er riecht nicht nach Wein. Es pa?t auch nicht zu ihm. Solange ich Buphagos kenne, habe ich ihn noch nie betrunken erlebt.«

»Vielleicht hat er irgend etwas anderes eingenommen? Du wei?t nur zu gut, wie viele Krauter es gibt, die einem noch wesentlich mehr die Sinne verwirren als ein paar Becher Wein.«

Die Priesterin schuttelte den Kopf. »Diese Krauter, wie du sie nennst, bringen die Menschen den Gottern naher. Au?erdem hat der Mundschenk schon vor Schmerzen geschrien, als er von den Stufen des Tempels taumelte. Wenn er wirklich durch die Pfeile der Artemis gestorben ist, dann hat die Gottin ihn jedenfalls nicht dafur bestraft, da? er die Prozession gestort hat.«

Philippos strich sich uber den Bart und schuttelte leicht den Kopf. »Aber was konnte er getan haben? Wei?t du, ob er in die Intrigen des Potheinos verwickelt ist?«

Die Isispriesterin zuckte mit den Schultern. »Ein wirklich guter Intrigant zeichnet sich dadurch aus, da? jeder ihn fur harmlos halt.« Es war weniger der Tod des Mundschenks, der ihr Sorge machte, als vielmehr die Konsequenzen, die daraus fur Ptolemaios und alle, die mit ihm nach Ephesos gekommen waren, erwachsen konnten. Was geschah, wenn die Priesterinnen der Artemis ebenfalls zu der Uberzeugung kamen, da? Buphagos von den Pfeilen der Gottin gerichtet worden war? Wurden sie Ptolemaios dann vertreiben? Oder wurde womoglich gar Schlimmeres geschehen? Es waren keine drei?ig Jahre vergangen, seit die Epheser in einer einzigen Nacht alle Romer ermordet hatten, die sich in ihrem Herrschaftsbereich aufhielten. Auch der sonst so sichere Asylbereich rund um das Artemision hatte in dieser Blutnacht keinen Fluchtling zu schutzen vermocht. Allein die Gotter wu?ten, ob es ihnen nicht schon bald ahnlich ergehen wurde. Immerhin hatte Buphagos das heiligste Fest der Gottin gestort und hatte daraufhin auf ratselhafte Weise sein Leben verloren. Es war schon aus unbedeutenderen Anlassen zu Volksaufstanden gekommen.

Die Isispriesterin erhob sich. »Wir sollten den Leichnam des Mundschenks von hier fortbringen lassen. Es ist besser, wenn die Priester der Gottin ihn sich nicht anschauen. Sie konnten vielleicht ebenfalls zu der Uberzeugung kommen, da? Buphagos von unsichtbaren Pfeilen getotet wurde. Au?erdem mochte ich ihn mir morgen noch einmal bei besserem Licht anschauen. Vielleicht gibt es ja etwas, das wir ubersehen haben.«

Philippos nickte heftig. Er war ganz offensichtlich erleichtert, von dem Toten wegzukommen. Schweigend verlie?en die beiden den Stall. Womit nur konnte sich Buphagos den Zorn der Gottin zugezogen haben, fragte sich Samu. Soweit sie wu?te, hatte der Mundschenk auch nicht seltener als andere Hofbeamte den Gottern geopfert. Uberhaupt war er eine recht unscheinbare Gestalt gewesen. Es mochte schwerlich jemanden geben, dem Bupha- gos Anla? gegeben haben konnte, uber einen Mord nachzudenken, geschweige denn, ihn auszufuhren.

Samu uberlegte, ob vielleicht Berenike mit dem Tod des Mundschenks in Verbindung stand. Doch wenn sie uber die Macht verfugte, auf so geheimnisvolle Weise toten zu lassen, wurde sie sich dann fur ihre Anschlage nicht lohnendere Opfer suchen? Der Tod des Pharaos zum Beispiel wurde sie als alteste Tochter zur legitimen Thronfolgerin machen. Auch ihre Geschwister, die gemeinsam mit Ptolemaios aus Agypten geflohen waren, waren attraktivere Ziele fur einen Mordanschlag gewesen als ein bedeutungsloser Mundschenk. Der Mord an ihm konnte der Tyrannin keinen Vorteil bringen, und es machte folglich keinen Sinn, sie als Urheberin zu sehen. War es also doch Artemis, die Buphagos getotet hatte? Bei dem Gedanken an die zornige Gottin frostelte es Samu.

Der Mond stand schon hoch am Himmel, als Ptolemaios Samu und Philippos in einer kleinen Kammer neben seinem Schlafgemach empfing. Der Raum war schlicht eingerichtet. Es gab zwei Stuhle und einen zierlichen Tisch. Der Konig lag auf einer breiten, mit Kissen und Decken aufgepolsterten Kline, die bei jeder Bewegung seines massigen Korpers bedenklich knirschte. Zwei flackernde Ollampchen tauchten die Kammer in ein unstetes, gelbliches Licht, in dem die Wandbilder, die die Geschwister Artemis und Apollon auf der Jagd zeigten, seltsam lebendig erschienen.

Mit geubter Geste raffte Philippos den Saum seiner Toga, lie? sich auf die Knie nieder und beugte sich so weit vor, da? er mit der Stirn fast den Boden beruhrte. Noch vor einem Jahr hatte er jedem mit Prugel gedroht, der behauptet hatte, er wurde einst vor einem orientalischen Tyrannen niederknien. Doch was tat man nicht alles fur einen prall gefullten Geldbeutel . Es war halt die ubliche Art, wie man in Agypten einen Gott begru?te, denn nichts anderes war Ptolemaios nach dem Glauben des Nilvolkes. »Ich neige mein Haupt in Demut vor Euch, mein Konig und Gott.«

Einen Sterblichen Gott zu nennen, kostete Philippos immer noch Uberwindung. Diese verruckten Orientalen! Wenn er eines Tages als reicher Mann nach Athen zuruckkehrte, wurden seine Freunde mit ihm in schallendes Gelachter ausbrechen, wenn er ihnen erzahlte, da? er einmal Leibarzt eines Gottes gewesen war. Der Grieche schmunzelte und blickte verstohlen zu Samu hinuber, die neben ihm niedergekniet war. Das Gesicht der Agypterin zeigte keinerlei Regung, doch Philippos wu?te nur zu gut, da? sie den Pharao seit den Ereignissen in Rom zutiefst verachtete. Sie wurde sich zwar nie gegen ihren Gott erheben, doch vermied die Priesterin es nach Moglichkeit, dem Konig zu begegnen. Seit ihrer Ruckkehr aus Italien widmete sie sich ganz der Erziehung von Prinzessin Kleopatra. So wie die Dinge im Moment standen, wurden die Kleine und ihr jungerer Bruder Ptolemaios XIII. verheiratet, sobald der Konig nach Agypten zuruckkehrte. Insgeheim hoffte Philippos, da? es nie so weit kommen wurde. Es war schon ubel genug, sich vor einem alten Fettsack zu demutigen.

Vor diesem jungen Weib wurde er niemals auf den Knien herumrutschen!

»Erhebt euch«, schnaufte Ptolemaios mude. »Ich hoffe, ihr konnt uns erklaren, was heute nachmittag mit Buphagos geschehen ist. Unsere Gastgeber sind, gelinde gesagt, befremdet uber den Zwischenfall. Die Hohepriesterin und der Protokures, der Vorsteher der Kureten, wollen morgen den Leichnam des Mundschenks personlich in Augenschein nehmen. Wir hoffen, da? dies nicht zu weiteren Verwicklungen fuhren wird! Unser gemeinsames Opfermahl heute abend war schon unerfreulich genug. Kaum jemand hat gesprochen, und selbst die Tanzer und Flotenspielerinnen schienen bedruckt. Jedermann scheint diesen dummen Zwischenfall als ein boses Omen aufzufassen .«

Philippos schluckte. Er verspurte nicht die geringste Lust, dem Neuen Dionysos das Ergebnis ihrer Leichenschau vorzutragen. Bei diesen Agyptern wu?te man nie, wie sie reagieren wurden . Erwartungsvoll sah der Herrscher sie an. Auch Samu schwieg. Hatte sie dieselben Befurchtungen wie Philippos? Mit jedem Atemzug wurde die Stille bedruckender. Schon runzelte der Konig verargert die Stirn, da endlich

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