In der Nahe des Herrschers war Unruhe unter den Hofbeamten entstanden. Philippos konnte von seinem Platz aus nicht genau einsehen, was geschah. Es schien, als sei jemand gesturzt, und Batis, der nubische Leibwachter, baute sich schutzend neben Ptolemaios auf. Es konnte keinen Zweifel mehr geben, da? es auf der Treppe zu einem Handgemenge gekommen war! Wild um sich schlagend bahnte sich einer der Hofbeamten seinen Weg zur Prozessionsstra?e. Schon waren auch einige der Tempelsklaven, die an blumenumwundenen Stricken die Opferstiere fuhrten, auf den Mann aufmerksam geworden.

Was zum Zeus ging dort vor sich! Philippos reckte den Hals, um den Mann besser erkennen zu konnen, der sich wie ein Besessener gebardete. Wie fast alle Beamten trug auch er eine Perucke, dazu Goldschmuck und ein langes wei?es Gewand.

Sein Gesicht jedoch war von Philippos abgewandt. So als sei er betrunken, taumelte der Agypter hin und her. Mit wilden Schreien pre?te er sich die Hande auf das Gesicht. Jetzt rempelte er einen der Tempelsklaven an. Einer der Stiere schnaubte unruhig. Man hatte den Tieren vor der Prozession ein wenig Schlafmohn unter das Futter gemischt, damit sie sich nicht vor dem Larm und den Menschenmassen erschreckten, doch mit einer solchen Situation hatte keiner rechnen konnen.

Endlich konnte Philippos einen Moment lang das Gesicht des Tobenden sehen. Es war blutuberstromt, so als habe er sich die Haut von den Wangen gezogen. Offenbar konnte er nicht mehr sehen. Er taumelte direkt auf einen Stier zu und begann, mit seinen Fausten auf den Rucken des Tieres einzuschlagen.

Wild schnaubend ri? der Stier seinen Kopf hoch, und dem Sklaven, der ihn begleitete, glitt das Seil aus den Handen, an dem er das machtige Tier gefuhrt hatte. Ungestum mit den Hufen auskeilend, verschaffte sich die Bestie Platz. Panik breitete sich unter den Tempelsklaven aus. Auch andere Stiere zerrten schon an ihren Halsschlingen. Das von dem Wahnsinnigen aufgescheuchte Tier verfiel in Trab und sturmte die Prozessionsstra?e hinunter auf das Gotterbild zu.

Philippos hielt den Atem an. Wenn der Stier das Bild der Artemis zum Sturzen brachte, dann hatten vermutlich alle Agypter in der Stadt ihr Leben verwirkt! Diese Schmach wurden die Gottin und die Epheser nicht ungestraft hinnehmen! Die Jubelrufe waren verstummt. Einige beherzte Manner versuchten, sich dem Stier in den Weg zu stellen. Der erste von ihnen wurde von den Hornern der Bestie zu Boden geschleudert. Kreischend stoben die Tanzerinnen auseinander, die die Marschkolonne hinter der Artemisstatue bildeten. Keine zehn Schritt trennten den tobenden Stier jetzt noch von der Trage. Funf oder sechs Manner hingen an seinem Hals, um das Ungetum zum Stehen zu bringen.

Von weiter vorne waren jetzt einige Priesterinnen herbeigeeilt, und selbst der Larm, den die Kureten an der Spitze des Zuges veranstaltet hatten, war mittlerweile verstummt. Endlich gelang es, den Stier aufzuhalten!

Eine riesige Gestalt drangte sich die Tempelstufen hinab und lief auf die Stra?e. Es war Batis, der Leibwachter des Konigs! Der hunenhafte Nubier setzte dem Storenfried nach, wahrend gleichzeitig von allen Seiten Manner aus der Menge herbeieilten, um den Wahnsinnigen zu ergreifen. Doch noch bevor einer von ihnen den Agypter erreichte, brach der Wahnsinnige plotzlich in die Knie und schlug lang auf den Boden, so als habe ihn ein Donnerkeil des Zeus gefallt. Erschrocken wichen die Burger und Kureten ein Stuck vor ihm zuruck. Nur Batis kniete sich an seiner Seite nieder und legte seine machtige Hand auf die Brust des Wahnsinnigen.

Was mochte nur mit dem Mann los sein? Auch Pothei-nos, der oberste Eunuch des Pharaos, war inzwischen die Treppe des Tempels hinabgestiegen. Unterwurfig verbeugte er sich vor den Priestern und begann dann, gestikulierend auf die Kureten einzureden.

Ringsherum war das Larmen der Burger verstummt. Diejenigen, die den Agypter aus der Nahe gesehen hatten, wirkten verstort. Andere wiederum hatten die Gesichter angstlich zum Himmel erhoben, so als sahen sie in der Unterbrechung der feierlichen Prozession ein Vorzeichen der Artemis. Nur das schrille Kreischen der Mowen, die unablassig um den von himmelhohen Saulen getragenen Tempel der Gottin kreisten, und die Stimme des Potheinos waren zu horen.

Schlie?lich breitete einer der Kureten mit gebieterischer Geste die Arme aus. »Der Frevler ist tot! Die Ehre der Gottin ist wiederhergestellt. So ruhmet nun die Artemesia Ephesia, die Herrin unserer Stadt!« Die Stimme des Mannes klang durch seine tonerne Daimonenmaske so dunkel und unheimlich, als sprache ein Bote des Hades.

Einen Augenblick noch wahrte Stille. Die Menschen konnten die Worte des Priesters kaum fassen. Dann rief irgendwo in der Menschenmenge eine Frau den Namen der Gottin, und als sei ein Bann gebrochen, stimmten Hunderte in ihren Jubelschrei ein.

Inzwischen hatte Batis den gesturzten Hofbeamten auf seine Arme genommen. Zwei Kureten geleiteten ihn an den Stufen des Tempels vorbei durch die Reihen der dichtgedrangten Zuschauer. Leblos hing der Korper des Hofbeamten in den Armen des Nubiers, und jetzt endlich konnte der Arzt das Gesicht des Mannes erkennen, der fur die ganze Aufregung gesorgt hatte. Es war Buphagos, der Mundschenk des Pharaos. Der Makedone mit seinem runden Gesicht war Philippos nie sonderlich aufgefallen. Er war ein unscheinbarer Mann gewesen, und soweit der Grieche dies beurteilen konnte, war Buphagos auch nicht in die Intrigen am Konigshof verwickelt. Was, bei den Gottern, mochte ihn nur dazu gebracht haben, sich wie ein Besessener zu gebarden und die Prozession zu storen? Die Epheser hatten dem Konig und seinem Hofstaat Asyl gewahrt, nachdem Ptolemaios wegen der Morde an den Gesandten seiner Tochter Berenike gezwungen gewesen war, Italien zu verlassen. Doch wurden sie ihn nach diesem Zwischenfall noch langer in ihrer Stadt dulden?

Der Prozessionszug hatte sich inzwischen neu formiert. Einmal noch sollte das Bild der Gottin um den riesigen Tempel herumgetragen werden, dann wurde man Artemis wieder in ihre kostbaren Gewander hullen und zum Giebel des Tempels hinauftragen, von wo aus sie der Opferung der ihr geweihten Stiere und Ziegen beiwohnen wurde.

Den ganzen Weg uber hatte Philippos kein Wort herausgebracht. Verargert musterte Samu den murrischen Griechen aus den Augenwinkeln. Wenn er glaubte, er konne seine schlechte Laune an ihr auslassen, dann hatte er sich geirrt. Sie war erst vor zwei Wochen aus Pompeji nach Ephesos gekommen, doch hatte sie sich in der kurzen Zeit schon mehr als genug uber ihn geargert. Dieser aufgeblasene ehemalige Legionsarzt spielte sich auf, als sei er Hippokrates personlich.

Als neuer Leibarzt des Ptolemaios glaubte er, sie gangeln zu konnen, und wann immer sie auch nur einen Krautertrunk gegen eine Magenverstimmung ansetzte, meinte er, sich einmischen zu mussen. Selbst in die Erziehung Kleopatras hatte er ihr schon hineingeredet! Der Grieche hatte doch tatsachlich die Unverschamtheit besessen, der Kleinen zu erklaren, als Prinzessin mit makedonischem Blut sei es viel wichtiger fur sie, Zeus und Athene zu opfern, statt den tierkopfigen Gottern eines Barbarenlandes.

Da? sie beide jetzt nicht an dem Bankett teilnehmen konnten, von dem Philippos schon seit Tagen redete, bereitete Samu eine gewisse Genugtuung. Ihr bedeutete der Festschmaus nichts, doch dem Griechen war das Gelage aus ihr unerklarlichen Grunden sehr wichtig gewesen.

Potheinos hatte ihnen beiden den Befehl gegeben, sich den toten Mundschenk noch einmal genauer anzusehen. Samu kannte den Berater des Pharaos als kaltblutigen Machtmenschen, der auch vor Morden nicht zuruckschreckte, wenn es fur ihn darum ging, seine Ziele zu erreichen. Doch als er ihnen den Befehl zur Leichenschau gegeben hatte, wirkte er aufgewuhlt, ja sogar regelrecht erschuttert. Ganz so, als habe er etwas Unglaubliches gesehen! Der Eunuch war leichenbla? gewesen, und wahrend er mit ihnen sprach, hatte Samu bemerkt, wie seine Hande zitterten.

»Hier ist es!« Der Priester, der sie und Philippos gefuhrt hatte, wies auf einen niedrigen Stall. »Dort drinnen haben wir ihn aufgebahrt.«

»Na schon«, rief Philippos. »Dann schauen wir uns Buphagos kurz an und erledigen unsere leidige Pflicht. Wir mussen hier ja nicht mehr Zeit verbringen als unbedingt notwendig. Ich bin Arzt: mit Toten habe ich nichts zu schaffen!« Ein wenig steif trat er in den Stall, aus dem ihnen der herbe Geruch von Stroh und Urin entgegenschlug.

»Was ist mit dir? Willst du hier drau?en warten?« fragte Samu den jungen Priester.

Der Mann wich ihrem Blick aus. »Ich mu? dort nicht hinein. Ich habe ihn schon gesehen ... Meine Aufgabe

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