Niemand lie? sich auf dem Innenhof sehen. Nicht, da? er etwas Verbotenes plante, doch war es ihm lieber, keine Zeugen zu haben. Mit einem Schritt war er an der Hauswand und stie? die Tur zum Zimmer des Mundschenks auf. Der Arzt huschte durch den schmalen Spalt in den Raum und schlo? die rotbemalte Holztur sofort wieder hinter sich.

Das Zimmer, das Buphagos bewohnt hatte, war auch nicht gro?er als seine eigene Kammer, stellte der Grieche zufrieden fest. Potheinos, der die Raume der weitlaufigen Villa an die Mitglieder des Hofstaates aufgeteilt hatte, hatte sie beide also als gleichbedeutend eingeschatzt. Nun, Buphagos hatte nicht mehr viel von dieser Ehre.

Das kleine Zimmer war sauber und ordentlich aufgeraumt. Nirgends lag ein zerknulltes Waschestuck oder eine achtlos zur Seite gelegte Schriftrolle. Es gab keine Blumen oder versteckte Hinweise darauf, da? der Mundschenk hier einmal eine Frau empfangen hatte. Es war das Zimmer eines Langeweilers, dachte Philippos spottisch. Genau das, was er vorzufinden erwartet hatte! Und doch mu?te es um den Mundschenk ein Geheimnis geben, denn sonst wurde er gewi? noch unter den Lebenden weilen.

Wahrend er sich langsam um die eigene Achse drehte, musterte der Grieche das Zimmer. An der Wand, rechts neben der Tur, stand eine niedrige Kline und daneben ein kleines Tischchen auf schlanken Beinen. Neben einer Ollampe mit sorgsam zuruckgestutztem Docht lag, in eine Lederhulle geschoben, eine Pergamentrolle. Was der Mundschenk wohl gelesen haben mochte? Neugierig nestelte Philippos am Verschlu? der Hulle herum und zog das Pergament heraus. Aufgeregt uberflog er die ersten Zeilen des Dokuments.

»Da bewaffnete sich Athene, legte den schimmernden Agispanzer an, in dessen Mitte das Gorgonenhaupt mit den feurigen Schlangenhaaren starrte, und fa?te eines der Geschosse des Vaters. Dann lie? sie den Olymp von Donnerschlagen erheben, go? Wolken rings um die Berge und hullte Meer und Land in Finsternis. Hierauf schickte sie ihre Botin Iris zu Aiolos hinab, dorthin, wo in den Abgrunden der Erde die Hohle der Winde sich befindet, an welche die Wohnung des Aiolos sto?t. Der Furst der Sturme vernahm .«

Nachdenklich kratzte sich Philippos seinen kurzgeschorenen Bart. Er kannte diesen Text. Er stammte aus dem letzten Buch von Homers Ilias. Es war die Stelle, an der die heimkehrenden Griechen der Zorn der Athene traf, weil der Lokrer Aias die schone troische Seherin Kassandra vom Altar der Athene hinweggezerrt hatte, um ihr Gewalt anzutun. Dabei war das Bildnis der Gottin zu Boden gesturzt. Es hie?, da? Kassandra in ihrer Jugend eine fur ihre Keuschheit beruhmte Priesterin des Apollon war. Gab es hier eine Verbindung zum Tod des Buphagos? Hatte der vorgeblich so langweilige Mundschenk vielleicht ein heimliches Verhaltnis zu einer der Artemisprie-sterinnen unterhalten? Nachdenklich rollte der Arzt das Pergament zusammen und schob es sich in den Gurtel.

Wurde ein Mann, der genau wu?te, da? man ihn fur den Umgang mit einer Priesterin mit dem Tod bestrafen wurde, einen so verraterischen Text offen herumliegen lassen? So leichtfertig wurde doch niemand sein, der seine Sinne noch beieinander hatte! Aber waren Verliebte noch bei Sinnen? Nachdenklich setzte der Arzt die Durchsuchung des Zimmers fort.

An der Wand links von der Tur stand eine mit schonen Schnitzereien versehene Truhe. Der einzige Ort, an dem man in dieser winzigen, ubersichtlichen Kammer etwas verstecken konnte. Der Deckel knirschte leise, als Philippos ihn offnete, und ein Duft nach Zedern und Wacholder schlug ihm entgegen. In der Truhe lagen einige ordentlich gefaltete Gewander, an denen noch der Geruch der Ole haftete, mit denen sich Buphagos zu Lebzeiten gesalbt hatte. Vorsichtig hob der Grieche die Gewander aus der Truhe und stapelte sie neben sich auf dem Boden. Ganz zu unterst fand er einen Papyrusbogen, der um einen mit Lowenkopfen geschmuckten Holzstab gewickelt war.

Hatte er gefunden, was er suchte?

Vor Erregung zitterten die Finger des Arztes, als er die purpurne Wollschnur loste, die die Schriftrolle zusammenhielt.

Um so gro?er war seine Enttauschung, als er auf dem Papyrus nichts als eine Auflistung von Mobeln, Stoffen, Schmuck und Salbolen fand. Wieder nichts! Verdrossen rollte Philippos den Papyrus zusammen, legte ihn in die Truhe zuruck und stapelte die Kleider wieder daruber. Was war das fur ein Mann, dessen gro?tes Geheimnis eine langweilige Liste von Tributgeschenken an den Pharao war!

Ziellos schweiften die Blicke des Griechen durch das Zimmer.

Dicht neben dem Fenster, an der Wand gegenuber der Tur, stand ein Tisch, auf dem ordentlich aufgereiht die Schminkutensilien des Toten verteilt waren. Philippos schlenderte hinuber und betrachtete kopfschuttelnd die kleinen Topfchen und Tiegel. Was fur merkwurdige Gefa?e! Der Arzt griff nach einer kleinen Holzstatue, die einen knienden Sklaven im Lendenschurz zeigte. Auf dem Rucken trug der Mann einen riesigen Korb, der sich mit einem holzernen Deckel verschlie?en lie?. Neugierig schob der Grieche den Deckel zur Seite. Eine schwarzsilberne Salbe glanzte darunter. Das Zeug, das sich diese agyptischen Narren unter die Augen strichen.

Philippos verschlo? das Gefa? wieder und stellte es auf den Tisch zuruck. Dicht daneben lag eine schwarze Schieferpalette, die mit Kranichkopfen verziert war. Ein kleiner Rest von gruner Paste klebte in einem Winkel der Palette. Hinter ihr stand ein geoffnetes Holzkastchen, aus dem drei schlanke Alabasterphiolen ragten. Vermutlich Behaltnisse fur Duftol. In einer flachen Schale aus Bronze lagen zwei fingerdicke, rotliche Stifte. Sie waren aus Bienenwachs und rotem Ocker, der Farbe, die die Agypter fur Wangen und Lippen verwendeten.

Daneben waren einige Spatel und langstielige Loffel aus Elfenbein sauber nebeneinander aufgereiht. Instrumente, die man zum Anruhren und Auftragen der Schminken brauchte. Alle Gefa?e uberragend stand mitten auf dem Tisch ein Handspiegel. Sein Griff, der in einen breiten Sockel mundete, zeigte eine fein modellierte Frauengestalt in einem langen, vor der Brust verknoteten, Gewand. Zwischen den langen Haaren der Gestalt wuchsen seltsame Tierohren hervor, und ein Hornerpaar umrahmte die gro?e, leicht ovale Silberscheibe, die aus dem Haupt der Frau wuchs.

Philippos betrachtete sein Antlitz in dem polierten Silber. Die grauen Haare an seinen Schlafen waren dichter geworden, seit er zum letzten Mal in einen Spiegel geblickt hatte. Vielleicht sollte er sie farben? Sie machten einen alten Mann aus ihm. Der Metallgriff des Spiegels lag kalt in der Hand des Griechen.

Diese Agypter! Alle ihre Gotter hatten irgend etwas von Tieren an sich. Was fur ein merkwurdiges Volk! Philippos spreizte seinen Daumen zur Seite und blickte der Gotterfigur ins Gesicht. Tierohren ... Sein Atem stockte. Jetzt, von nahem, erkannte er, aus welchem Metall der Griff gefertigt war. Es war keine polierte Bronze, wie er zuerst angenommen hatte, sondern lauteres Gold! Erschrocken stellte er den Spiegel auf den Tisch zuruck. Woher beim Zeus hatte Buphagos das Geld, sich einen solchen Spiegel zu leisten?

Ein Gerausch an der Tur lie? Philippos herumfahren. Eine schlanke, junge Frau war in das Zimmer getreten. Philippos kannte sie nur zu gut. Thais, die einflu?reichste Dame am Hof des Ptolemaios. Auf Wunsch des Konigs mu?te sie mit allen Ehren behandelt werden, doch war sie in den Augen des Griechen nichts weiter als eine Hetaire. Niemand wu?te, woher sie kam, und sie selbst hatte mindestens ein Dutzend widersprechender Geruchte uber ihre Herkunft verbreitet. Soweit Philippos wu?te, war sie vor der Flucht aus Alexandria an den Hof des Konigs gekommen und hatte mit ihrem kunstfertigen Flotenspiel seine Gunst errungen. Wie Aspasia, die einst das Herz des Perikles gewonnen hatte, so verstand sich auch Thais durchaus auf mehr als nur die Kunste der Liebe. Trotz ihrer Jugend war sie erstaunlich gebildet, kannte die Schriften der Philosophen, beherrschte mehrere Sprachen und Instrumente und war ein steter Quell der Kurzweil. Doch obwohl sie nicht allein dem Konig ihre Zuneigung schenkte, hatte sie sich Philippos bislang immer verweigert.

Thais schien einen Augenblick lang nicht minder uberrascht als er zu sein. Dann hoben sich drohend ihre Augenbrauen.

»Bist du hierhergekommen, um einen Toten zu bestehlen?«

»Du solltest nicht von dir auf andere schlie?en, schone Tochter der Nacht«, entgegnete Philippos. »Darf ich erfahren, was mir die Ehre verschafft, dir hier zu begegnen?«

»Allein die Tatsache, da? ich nicht um deine Anwesenheit wu?te, alter Bock. Ich hoffe fur dich, da? du dich nicht zu irgendwelchen Dummheiten hinrei?en la?t. Ich wei? sehr wohl, was Buphagos in seinem Zimmer verwahrte, und wie ich sehe, hast du seinen Homer bereits an dich genommen.«

Philippos rausperte sich. »Ich bin im Auftrag des Konigs hier. Ich soll mich um die ...«

»Im Auftrag des Neuen Osiris?« Thais lachte schallend. »Du solltest nicht Gotter in deine Lugen verstricken, Grieche. Ich selbst habe den ganzen Morgen an der Seite des Gottlichen verbracht. Hatte

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