Uber diese Geste und das »monsieur noir« mu?ten wir alle laut lachen, und Umslopogaas, der inzwischen bemerkt hatte, da? es um ihn ging, legte grimmig die Stirn in Falten; denn nichts argerte ihn mehr, als wenn seine Wurde durch eine personliche Frechheit angekratzt wurde.

»Parbleu!« rief Alphonse. »Er ist wutend - er macht eine Grimasse. Sein Gesicht gefallt mir nischt. Isch verschwinde.« Und das tat er auch mit bemerkenswerter Geschwindigkeit.

Mr. Mackenzie fiel herzlich in unser lautes Gelachter ein, von dem wir uns noch immer nicht erholt hatten. »Er ist schon ein eigentumlicher Mensch, dieser Alphonse. Ich werde Ihnen nach und nach mal seine Geschichte erzahlen; in der Zwischenzeit wollen wir erst einmal das Ergebnis seiner Kochkunste probieren.«

»Durfte ich fragen«, sagte Sir Henry, nachdem wir das wirklich ausgezeichnete Mittagessen beendet hatten, »wie Sie in dieser Einode an einen franzosischen Koch geraten sind?«

»Oh«, antwortete Mrs. Mackenzie, »er kam aus freien Stucken vor einem Jahr zu uns und fragte, ob wir irgendeine Verwendung fur ihn hatten. Er hatte in Frankreich in irgendwelchen Schwierigkeiten gesteckt und war dann nach Sansibar geflohen, wo er feststellte, da? die franzosische Regierung schon um seine Auslieferung nachgesucht hatte. Daraufhin schlug er sich Hals uber Kopf in die Busche, floh ins Landesinnere und wurde halbverhungert von der Karawane aufgelesen, die gerade auf dem Weg war, uns unseren alljahrlichen Warenvorrat zu liefern. Die Manner brachten ihn dann zu uns. Sie sollten ihn einmal dazu bringen, Ihnen die Geschichte selbst zu erzahlen.«

Nach dem Essen zundeten wir unsere Pfeifen an, und Sir Henry gab unserem Gastgeber eine ausfuhrli-che Beschreibung unserer Fahrt bis zur Missionsstation. Als er fertig war, machte Mr. Mackenzie ein ernstes Gesicht.

»Es ist ganz offensichtlich, da? diese schurkischen Masai Sie verfolgen, und ich danke dem Herrn, da? Sie dieses Haus sicher erreicht haben. Ich glaube nicht, da? sie es wagen werden, Sie hier anzugreifen. Dennoch ist es sehr ungunstig, da? fast alle meine Manner zur Kuste hinuntergefahren sind mit Elfenbein und anderen Waren. Die Karawane besteht aus zweihundert Mannern, und aus diesem Grund habe ich im Augenblick nicht mehr als zwanzig Manner zu Verteidigungszwecken zur Verfugung, falls die Masai uns wirklich angreifen sollten. Ich will trotzdem sofort die notigen Anweisungen geben.« Er ging ans Fenster, rief einen Schwarzen, der gerade drau?en im Garten zu tun hatte, und redete mit ihm in einem Suaheli-Dialekt. Der Mann horte genau zu, nickte und verschwand.

»Ich hoffe inbrunstig, da? wir Sie in keinerlei Schwierigkeiten bringen«, sagte ich sehr beunruhigt, als er sich wieder hingesetzt hatte. »Ehe wir Ihnen durch unsere Anwesenheit diese blutrunstigen Schurken auf den Hals locken, ziehen wir lieber weiter und versuchen, so durchzukommen.«

»Das werden Sie gefalligst bleibenlassen. Wenn die Masai kommen, dann kommen sie eben, und dann ist die Sache ein fur allemal erledigt. Ich denke, da? wir ihnen einen warmen Empfang bereiten konnen. Nicht fur alle Masai auf der Welt wurde ich einem Menschen die Tur weisen.«

»Das erinnert mich daran«, sagte ich, »da? der Konsul in Lamu mir erzahlt hat, er hatte von Ihnen einen Brief erhalten, in dem Sie schrieben, in Ihrer Station sei ein Mann eingetroffen, der behauptet habe, er ware mit einem wei?en Volk im Innern des Landes in Beruhrung gekommen. Glauben Sie, da? an dieser Geschichte etwas Wahres dran war? Ich frage deshalb, weil ich ein- oder zweimal in meinem Leben Geruchte von Eingeborenen, die von weit oben aus dem Norden kamen, gehort habe, da? eine solche Rasse existiere.«

Anstelle einer Antwort ging Mr. Mackenzie kurz aus dem Raum und kam mit einem sehr merkwurdigen Schwert wieder. Es war lang, und die gesamte Klinge, die sehr dick und schwer war, war bis auf einen Rand, der von der Scheide nach innen gemessen etwa ein Viertelzoll breit war, mit Ornamenten geschmuckt, und zwar so, wie wir mit einer Laubsage dunne Holzplatten bearbeiten, also durchbrochen. Hier jedoch handelte es sich um Stahl! Er war auf sehr kunstvolle Art so durchbrochen, da? die Festigkeit des Schwertes nicht beeintrachtigt war. Allein diese Tatsache war schon merkwurdig genug, aber noch weitaus beeindruckender war die Tatsache, da? alle Kanten der Locher, die man in die Klinge geschnitten hatte, mit wunderschonen Einlegearbeiten aus Gold versehen waren, das man auf eine mir vollig unerklarliche Weise auf den Stahl aufgeschwei?t hatte[7].

»Haben Sie jemals ein solches Schwert gesehen?« fragte Mr. Mackenzie.

Wir alle betrachteten es mit prufenden Blicken und schuttelten den Kopf.

»Nun, ich zeige es Ihnen deswegen, weil der Mann, der es mitbrachte, behauptete, es von jenem wei?en Volk zu haben, und weil es mehr oder weniger ein Hinweis dafur ist, da? an der Geschichte, die ich sonst als glatte Luge angesehen hatte, wohl doch etwas Wahres ist. Passen Sie auf: Ich werde Ihnen alles erzahlen, was ich uber diese Angelegenheit wei?; es ist nicht viel. Eines spaten Nachmittags - es war kurz vor Sonnenuntergang - sa? ich gerade auf der Veranda, als ein Mann auf mich zugehumpelt kam und sich vor mir niederkauerte. Er sah elend, abgerissen und halb verhungert aus. Auf meine Frage, woher er kame und was er wolle, antwortete er mit einer langen, unzusammenhangend erscheinenden Erzahlung. Er erzahlte etwas von einem Stamm weit oben im Norden, dem er angehort habe, und da? dieser Stamm von einem anderen vernichtet worden ware. Er und ein paar andere Uberlebende waren dann noch weiter nach Norden getrieben worden bis an einen See namens Laga. Von dort aus schlug er sich anscheinend zu einem anderen See durch, der irgendwo in den Bergen liegen soll. Er nannte ihn >einen See ohne Bo-den<. Dort seien seine Frau und sein Bruder an einer Infektionskrankheit gestorben - vermutlich Pocken -, woraufhin die Leute ihn wieder aus ihrem Dorf hinaus in die Wildnis gejagt hatten. Zehn Tage lang sei er halbverhungert in den Bergen herumgeirrt, bis er in einen dichten Dornenwald geraten sei. Dort fanden ihn eines Tages einige Wei?e, die dort zufallig auf der Jagd waren. Sie nahmen ihn mit in eine Stadt, in der alle Leute wei? waren und in Steinhausern lebten. Dort hielt man ihn eine Woche in einem Haus eingeschlossen, bis eines Nachts ein Mann mit wei?em Bart, den er wohl fur eine Art >Medizinmann< hielt, zu ihm kam und ihn untersuchte. Daraufhin wurde er fortgefuhrt und wieder zuruck durch den Dornen-wald gebracht, an dessen Rand man ihn mit Lebensmitteln versorgte, ihm dieses Schwert gab (das behauptete er zumindest) und ihn laufen lie?.«

»Und was machte er dann?« fragte Sir Henry, der mit atemlosem Interesse zugehort hatte.

»Oh! Seiner Erzahlung nach scheint er noch furchterliche Strapazen und Entbehrungen durchgemacht zu haben. Er mu? wochenlang von Wurzeln und Beeren gelebt haben und von ein paar Tieren, die er ab und zu fangen und toten konnte. Irgendwie schaffte er es dann doch, zu uberleben, und schlie?lich schlug er sich in kleinen Etappen nach Suden durch und kam hierher. Von den Einzelheiten seiner langen Reise konnte ich leider nichts mehr erfahren; ich sagte ihm, er solle am nachsten Morgen wieder zu mir kommen, und beauftragte einen meiner Eingeborenenhauptlinge, die Nacht uber fur ihn zu sorgen. Der Hauptling nahm den Mann mit, aber da der Mann an Kratze litt, weigerte sich die Frau des Hauptlings, ihn in die Hutte zu lassen, aus Furcht, sie konne sich anstecken. Man gab ihm ein paar Decken und sagte ihm, er solle drau?en ubernachten. Zufallig trieb sich gerade zu der Zeit ein Lowe in der Gegend herum. Wie es der Teufel will, wittert er den ungluckseligen Wanderer, springt ihn an und bei?t ihm fast den Kopf ab, ohne da? die Leute auch nur das Geringste davon merken. Das war sein Ende und das Ende seiner Geschichte von dem wei?en Volk. Ob sie nun wahr ist oder nicht, vermag ich auch nicht zu sagen. Was halten Sie davon, Mr. Quatermain?«

Ich schuttelte den Kopf und antwortete: »Ich wei? es nicht. Dieser gro?e Kontinent halt so viele merkwurdige Dinge in seinem Herzen versteckt, da? ich mich huten werde, ein Urteil abzugeben. Es tate mir leid, sagen zu mussen, da? an der Geschichte nichts Wahres ist. Nun denn, wir haben jedenfalls die feste Absicht, es herauszufinden. Wir haben vor, zum Le-kakisera zu reisen. Vorausgesetzt, wir kommen uberhaupt so weit, wollen wir von dort aus zu diesem Laga-See vorsto?en. Und wenn jenseits dieses Sees tatsachlich Wei?e leben, dann werden wir alles daransetzen, sie zu finden.«

»Sie sind sehr wagemutig«, sagte Mr. Mackenzie mit einem Lacheln, und damit war das Thema beendet.

4

Alphonse und seine Annette

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