dem Finger auf etwas weit Entferntes deutete. »Ich sagte Ihnen doch vorhin, da? ich Kameraden habe; dort hinten ist einer von ihnen.«

Ich folgte mit den Augen ihrem ausgestreckten Arm - und zum ersten Mal sah ich den majestatischen Gipfel des Mount Kenia. Bisher war der Berg die ganze Zeit uber im Dunst verborgen gewesen, doch jetzt erstrahlte seine Schonheit unverhullt aus vielen tausend Fu? Entfernung zu uns heruber, auch wenn der Fu? des Berges noch immer von Dunst umgeben war, so da? der stolze Gipfel, der fast zwanzigtausend Fu? in den Himmel ragt, sich wie eine Vision aus einem Marchen ausnahm, wie er dort zwischen Himmel und Erde schwebte, wie auf einem luftigen Wolkenbette. Die wurdevolle Erhabenheit und die strahlende Schonheit dieses wei?en Gipfels zu beschreiben vermag meine Feder nicht. Da stand er, aufrecht, erhaben und rein - eine glei?ende wei?e Pracht, deren spitze Krone gleichsam das Blau des Himmels zu durchbohren schien. Und wie ich so stand und gemeinsam mit dem kleinen Madchen den Anblick jenes gewaltigen Berges in mich aufnahm, da fuhlte ich, wie mein Herz gleichsam einen Sprung tat vor unbeschreiblicher Freude, und fur einen Augenblick durchstromten meinen Geist gro?e, wundervolle Gedanken, wahrend die Strahlen der untergehenden Sonne den schneebedeckten Gipfel in Licht badeten. Mr. Mackenzies Eingeborene nennen den Berg den »Finger Gottes«, und fur mich war er ein Zeichen des ewigen Friedens und der reinen, erhabenen Stille, die gewi? hoch uber unserer fieberkranken Welt ruht. Irgendwo hatte ich einmal eine Zeile aus einem Gedicht gelesen:

»Schon ist, was ewige Freude gewahrt.«

Diese Stelle fiel mir in diesem Moment ein, und zum erstenmal wurde mir vollkommen bewu?t, was der Dichter damit aussagen wollte. Armselig ware in der Tat der Mensch, der jenen machtigen, schneebedeckten Gipfel - jenes alte wei?e Grab der Jahrtausende -betrachten konnte, ohne dabei seine eigene, ganzliche Bedeutungslosigkeit zu spuren, und den nicht der Wunsch uberkommen wurde, Gott - oder wie immer auch er Ihn nennt - aus tiefstem Herzen zu lobpreisen. Solche hehren Momente sind wie Visionen des Geistes; weit rei?en sie das Fenster der Kammer auf, welche unser eigenes kleines, selbstsuchtiges Ich ist. Sie lassen etwas von dem Atemhauch in uns herein, der in den wogenden Spharen wallt, und fur einen Moment wird unsere Dunkelheit erhellt vom weit entfernten Schein jenes wei?en Lichts, in dem der Thron des Herrn erstrahlt.

O ja, schone Dinge sind in der Tat ein ewiger Quell der Freude, und ich kann gut verstehen, was die kleine Flossie damit meinte, als sie vom Mount Kenia als ihrem Kameraden sprach. Ebenso wie Umslopogaas, der wilde, alte Zulu, als ich ihm den Gipfel zeigte, der da in weiter Ferne leuchtete, als er sagte: »Ein Mann konnte ihn tausend Jahre betrachten, ohne da? sein Durst, ihn zu sehen, gestillt ware.« Er gab jedoch sogleich dieser seiner poetischen Empfindung eine etwas andere Einfarbung, als er in einer Art Singsang, und mit einem Anflug jener seltsam anmutenden Imagination, die fur ihn so bemerkenswert war, hinzufugte, er wunschte, wenn er einst tot ware, da? sein Geist fur immer auf dem schneebedeckten Gipfel sitzen solle und mit dem unheimlichen Heulen des Wirbelwindes oder auf einem Blitzstrahl hinabfahren moge und »toten, toten, toten«.

»Wen willst du denn dann noch toten, du alter Bluthund?« wollte ich wissen.

Diese Frage verwirrte ihn, aber nach einem Augenblick des Nachdenkens antwortete er: »Die anderen Schatten.«

»Du wurdest also sogar nach deinem Tode noch fortfahren zu morden?«

»Ich morde nicht«, erwiderte er hitzig; »ich tote in fairem Zweikampf. Ein Mann ist dazu geboren, zu toten. Wer nicht totet, wenn das Blut in ihm kocht, ist eine Frau und kein Mann. Die, die nicht toten, sind Sklaven. Ich sage, ich tote in fairem Kampfe. Und wenn ich einmal im >Reich der Schatten< bin, wie ihr Wei?en es nennt, dann hoffe ich, auch dort in fairem Kampfe toten zu konnen. Moge mein Schatten verflucht sein und bis ins Mark verdorren, wenn er anfangt, hinterrucks zu morden wie ein Buschmann mit seinen giftigen Pfeilen!« Mit diesen Worten schritt er stolz und wurdevoll davon und lie? mich betreten zuruck.

Jetzt kehrten auch die Spaher, die unser Gastgeber am fruhen Morgen ausgeschickt hatte, um nach den Masai Ausschau zu halten, zuruck und berichteten, sie hatten die ganze Umgebung in einem Umkreis von funfzehn Meilen durchkammt, ohne auch nur einen einzigen Elmoran gesehen zu haben. Sie glaubten, diese wilden Gesellen hatten die Verfolgung aufgegeben und waren wieder dahin zuruckgekehrt, woher sie gekommen waren. Mr. Mackenzie seufzte erleichtert, als er das horte, und auch wir waren beruhigt, denn von den Masai hatten wir wirklich einstweilen genug. Es herrschte bei allen die Auffassung vor, die Masai hatten eine weitere Verfolgung als aussichtslos angesehen, als sie feststellen mu?ten, da? wir die Missionsstation, deren Wehrhaftigkeit sie offensichtlich kannten, erreicht hatten. Wie irrig diese Auffassung war, sollte sich bald herausstellen. Nachdem die Spaher wieder gegangen waren und auch Flossie und Mrs. Mackenzie sich zur Nachtruhe begeben hatten, kam Alphonse, der kleine Franzose, zu uns, und Sir Henry, der sehr gut Franzosisch spricht, bat ihn, zu erzahlen, was ihn nach Zentralafrika verschlagen hatte. Er tat es auch, aber in einem so herrlichen Kauderwelsch, da? es mir schwerfallt, es hier wiederzugeben.

»Mein Gro?vater«, begann er, »war Soldat der Garde und diente unter Napoleon. Er war bei dem Ruckzug aus Moskau dabei und lebte zehn Tage von seine eigene Gamaschen und ein Paar, das er hatte gestohlen von eine Kamerad. Er war immer betrun-ken - er starb betrunken, und ich kann mich erinnern, da? isch 'abe gespielt Trommel auf seinem Sarg. Mein Vater ... «

An dieser Stelle machten wir den Vorschlag, er solle doch die Geschichte seiner Vorfahren nicht in allzu epischer Breite vortragen und lieber etwas schneller auf seine eigene Geschichte zu sprechen kommen.

»Bien, messieurs!« sagte der drollige kleine Mann und machte eine hofliche Verbeugung. »Isch wollte nur demonstrieren, da? das militarische Prinzip nischt vererbbar ist. Meine Gro?vater war ein gro?artige Mann, eine Fresser von Feuer und Gamaschen, mehr als sechs Fu? gro?, breite Proportion. Sein Erkennungszeichen war sein Moustache. Isch 'abe geerbt den Moustache und - und sonst nichts.

Messieurs, isch bin eine Koch und isch bin geboren in Marseille. In diese schone Stadt isch 'abe verbracht meine gluckliche Jugend. Viele Jahre isch 'abe gespult die Teller in Hotel Continental. Ah, das war goldene Zeit!« Er gab einen tiefen Seufzer von sich. »Isch bin ein Franzose. Mu? isch noch sagen, Messieurs, da? isch bewundere Schonheit? Nein; isch bewundere alles, was ist schon. Messieurs, wir lieben alle Rosen in einem Garten, aber wir pflucken nur eine. Isch pfluckte eine, Messieurs, aber sie stach mir in den Finger. Sie war eine Zimmermadchen und hie? Annette. Sie 'atte eine 'inrei?ende Figur und das Gesischt von eine Engel, und ihr 'erz - helas, Messieurs, das isch 'atte gern besessen! - war schwarz und glitschig wie eine frischgefettete Stiefel. Isch liebte sie bis zur Raserei isch betete sie an bis zur Verzweiflung. Sie er'ob misch - in jeder 'insicht; sie inspirierte misch.

Nie zuvor 'atte isch gekocht wie isch jetzt kochte (denn in 'otel sie 'atten misch befordert), wo Annette, meine 'ei?geliebte Annette, misch anlaschelte. Nie ...«

- seine mannliche Stimme verfiel in ein herzzerrei?endes Schluchzen - »nie isch werde wieder so gut kochen.« Dann brach er in Tranen aus.

»Kopf hoch!« versuchte Sir Henry ihn aufzumuntern und klopfte ihm kraftig auf den Rucken. »Man wei? nie, was noch alles passieren kann. Ihrem Essen von heute nach zu urteilen, sind Sie jedenfalls schon wieder auf dem besten Wege der Genesung.«

Alphonse horte auf zu weinen und begann seinen Rucken zu massieren. »Monsieur will bestimmt misch trosten, aber seine 'and ist sehr schwer. Isch erzahle weiter: Wir liebten uns, und wir waren beide gluck-lisch mit der Liebe von die andere. Die Vogel in ihre kleine Nester konnten nicht glucklischer sein als Alphonse und seine Annette. Dann kam der Schlag -sapristi! - isch darf nischt daran denken! Messieurs werden vergeben, wenn isch weine. Isch hatte eine schleschte Los; ich wurde 'erangezogen zu Militardienst. So wollte Schicksal sisch raschen an misch, weil isch Herz von Annette gewonnen hatte.

Der schrecklische Moment kam; isch mu?te gehen. Isch versuchte wegzulaufen, aber brutale Soldaten fingen misch wieder ein und schlugen misch mit Kolben von Muskete, bis sisch die Spitzen von meinem Moustache vor Schmerz aufrollten. Isch 'atte eine Cousin, eine Tuch'andler, wohl'abend, aber sehr 'a?-lisch. Er 'atte eine gute Nummer gezogen, und er 'atte Mitleid mit mir, als sie misch mit dem Gewehr knufften. >Dir, mein liebe Cousin<, sagte isch zu ihm, >dir, in dessen Adern flie?t das blaue Blut von unserem 'elden'aften Gro?vater, dir vertraue isch Annette an. Wache gut uber sie, wahrend isch jage nach Ruhm auf dem Feld der Ehre.<

>Sei guten Mutes<, sagte er, >das werde isch tun.< Und - verdammt - das tat er auch; und wie!

Isch ging fort. Isch lebte in die Kaserne und a? schwarze Suppe. Isch bin eine feinfuhlige Mann und von Natur aus ein Poet, und isch litt 'ollenqualen in dieser scheu?lichen, rauhen Umgebung. Da war eine Feldwebel,

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