»Wenn sich keine andere Losung finden la?t, dann werde ich gehen!« sagte ich in einem Ton, der keinen Widerspruch zulie?.

»Diese Angelegenheit ist zu wichtig, als da? wir sie auf der Stelle entscheiden konnten«, sagte Mackenzie, an den Elmoran gewandt. »Wir mussen die Sache erst uberdenken. Du wirst unsere Antwort noch vor dem Morgengrauen erhalten.«

»Wie du willst, wei?er Mann«, sagte der Wilde in gleichgultigem Ton. »Aber vergi? nicht: Wenn deine Antwort zu spat eintrifft, dann wird die kleine wei?e Knospe niemals zu einer Blume heranwachsen. Denn hiermit werde ich die Knospe abschneiden.« Bei diesen Worten fa?te er an den Speer, der neben ihm im Boden steckte. »Wenn ich nicht genau wu?te, da? deine Manner nicht hier sind, wurde ich glauben, da? du uns hereinlegen und in der Nacht angreifen willst. Aber ich wei? von der Frau, die bei dem Madchen ist, da? alle deine Manner bis auf zwanzig unten an der Kuste sind. Es ist nicht klug, wei?er Mann«, fugte er mit einem hohnischen Lachen hinzu, »fur deinen >Boma< (Kraal) nur eine so kleine Besatzung zu haben. Ich wunsche dir eine gute Nacht, wei?er Mann, und auch euch, ihr anderen wei?en Manner, deren Augen ich bald fur immer schlie?en werde, wunsche ich eine gute Nacht. Beim Morgengrauen erwarte ich eure Antwort. Wenn nicht, dann wird alles so geschehen, wie ich es gesagt habe; verge?t das nicht.« Dann wandte er sich Umslopogaas zu, der die ganze Zeit hinter ihm gestanden und ihn beaugt hatte. »Offne mir die Tur, Bursche, aber schnell!«

Das war zuviel fur den Geduldsfaden des alten Hauptlings. Wahrend der letzten zehn Minuten hatte es ihm schon gewaltig in den Fingern gejuckt, und bei dem Gedanken, es dem Masai Lygonani zu geben, war ihm buchstablich das Wasser im Munde zusammengelaufen. Und jetzt das - da war das Ma? voll. Er legte seine gro?e Hand auf die Schulter des Elmorans und drehte den Masai so zu sich herum, da? sie sich Auge in Auge gegenuberstanden. Dann schob er sein wutverzerrtes Gesicht ganz nahe an die hohnisch grinsende, bosartige federumrahmte Fratze des Masai und knurrte leise:

»Siehst du mich?«

»Ja, Bursche, ich sehe dich.«

»Und siehst du das hier?« Bei diesen Worten hielt er ihm Inkosi-kaas ganz dicht vor das Gesicht.

»Ja, Bursche, auch dein Spielzeug sehe ich; und was ist damit?«

»Du raudiger Hund von einem Masai, du jammerlicher, prahlerischer Windbeutel, du elende Memme, die sich an kleinen Kindern vergreift, mit diesem >Spielzeug< werde ich dir deine Gliedma?en der Reihe nach abhacken. Sei froh, da? du als Bote hier bist, sonst wurde ich hier, auf der Stelle, deine stinkenden Glieder uber das Gras verstreuen.«

Der Masai schuttelte seinen gro?en Speer und lachte laut und ausgiebig. »Ich wunschte, wir konnten uns Mann gegen Mann gegenuberstehen. Dann wurden wir ja sehen.« Dann wandte er sich ab und ging, immer noch lachend, auf die Tur zu.

»Du wirst mir noch fruh genug Mann gegen Mann gegenuberstehen, hab keine Angst«, erwiderte Ums- lopogaas, immer noch in demselben drohenden Tonfall. »Du wirst mir Auge in Auge gegenuberstehen, mir, Umslopogaas, vom Blute des Chaka, aus dem Volke der Amazulu, Hauptmann im Regiment der Nkomabakosi! Du wirst mir gegenuberstehen wie schon so viele vor dir, und du wirst dich Inkosi-kaas beugen, wie ebenfalls schon viele vor dir. Ja, lache nur weiter! In der ubernachsten Nacht werden die Schakale lachen, wenn sie dir mit ihren Zahnen das Fleisch von den Rippen rei?en!«

Als der Lygonani fort war, hatte einer von uns die Idee, den Korb zu offnen, den er als Beweis dafur mitgebracht hatte, da? Flossie sich in seiner Hand befand. Als wir den Deckel hoben, fanden wir ein wunderschones, vollstandiges Exemplar der Goyalilie, die ich ja schon ausfuhrlich beschrieben habe. Sie war voll aufgebluht und ganzlich unversehrt. Darunter lag eine Botschaft in Flossies kindlicher Handschrift. Sie war mit Bleistift auf einen Fetzen fettiges Papier geschrieben, in das der Proviant eingepackt gewesen war:

Liebste Eltern! lautete die Anrede. Die Masai haben uns gefangen, als wir mit der Lilie auf dem Heimweg waren. Ich versuchte ihnen zu entkommen, aber es ist mir nicht gelungen. Sie haben Tom umgebracht; der andere Mann ist fortgelaufen. Dem Kindermadchen und mir haben sie nichts getan, aber sie sagen, sie wollen uns gegen einen von Mr. Quatermains Begleitern eintauschen. Das will ich auf keinen Fall! La?t nicht zu, da? irgend jemand sein Leben fur meines opfert. Versucht, sie wahrend der Nacht anzugreifen. Sie wollen drei der Ochsen, die sie gestohlen haben, schlachten und damit ein Festmahl abhalten. Ich habe ja meine Pistole, und wenn bis zum Morgengrauen keine Hilfe gekommen ist, werde ich mich erschie?en. Sie sollen mich nicht toten! Wenn ich sterben sollte, dann verge?t mich nie, liebste Eltern. Ich habe schreckliche Angst, aber ich vertraue auf Gott. Ich wage nicht, noch mehr zu schreiben, weil sie anfangen, es zu merken. Lebt wohl.

Flossie

Quer uber die Ruckseite war gekritzelt: Liebe Gru?e an Mr. Quatermain. Sie werden den Korb zu euch bringen, und er wird die Lilie bekommen.

Als ich diese Zeilen las, die jenes kleine, tapfere Madchen in einer Lage geschrieben hatte, die schrecklich und aussichtslos genug gewesen ware, selbst einen starken Mann in tiefste Verzweiflung sinken zu lassen, da traten mir Tranen in die Augen, und in meinem Innersten schwor ich, sie nicht dem Tode auszuliefern, wenn mein Leben doch reichen sollte, sie zu retten.

Unmittelbar nachdem wir die Nachricht gelesen hatten, begannen wir eifrig und leidenschaftlich, ja heftig, uber die Situation zu diskutieren. Wieder sagte ich, da? ich gehen wurde, und wieder lehnte Mak-kenzie es strikt ab, und Curtis und Good legten als die wahrhaft treuen Manner, die sie sind, feierlich das Versprechen ab, mitzugehen, wenn ich wirklich gehen sollte, und Seite an Seite mit mir zu sterben.

»Jedenfalls«, sagte ich schlie?lich, »mussen wir unbedingt noch vor der Morgendammerung etwas unternehmen.«

»Dann la?t uns unsere Chance wahrnehmen und sie mit allen verfugbaren Leuten angreifen!« schlug Sir Henry vor.

»Ja, das ist gut!« knurrte Umslopogaas auf Zulu. »Du hast gesprochen wie ein Mann, Incubu. Wovor sollen wir uns furchten? Zweihundertfunfzig Masai, furwahr! Wie viele sind wir? Der Hauptling dort« - er deutete auf Mr. Mackenzie - »hat zwanzig Mann. Du, Macumazahn, hast funf Manner, und dazu kommen funf wei?e Manner. Das sind insgesamt drei?ig Mann - wahrlich genug. Hore, Macumazahn, der du schlau und erfahren im Kriege bist. Was sagt das Madchen? Diese Manner essen und feiern; so soll es denn ihr Totenmahl sein! Was sagte der Hund, den ich beim Morgengrauen in Stucke zu hauen gedenke? Da? er keinen Angriff befurchte, weil wir so wenige seien. Kennst du den alten Kraal, in dem die Masai ihr Lager aufgeschlagen haben? Ich habe ihn heute morgen gesehen; er sieht so aus«; er beschrieb mit dem Finger ein Oval auf dem Fu?boden. »Hier ist der gro?e Eingang. Er ist angefullt mit Dornengestrupp und offnet sich zu einer steilen Anhohe hin. Nun, Incubu, du und ich, wir werden ihn mit Axten gegen hundert Mann halten, die versuchen, auszubrechen! Nun seht; so soll die Schlacht gehen: Wenn das Licht auf den Hornern der Ochsen zu schimmern beginnt - nicht vorher, sonst ist es zu dunkel, und nicht spater, sonst wachen sie auf und erblicken uns -, soll Bougwan mit zehn Mannern um den Kraal herumkriechen bis zu der Stelle am anderen Ende des Kraals, wo der schmale Eingang ist. Dort toten sie lautlos den Wachtposten, so da? er keinen Laut von sich gibt, und halten sich bereit. Dann kriechen Incubu, ich und einer der Askari - der mit der breiten Brust, er ist ein tapferer Mann - zu dem breiten Eingang, der mit Dornenbuschen gefullt ist, und toten auch dort den Wachtposten, und dann beziehen wir, mit Streitaxten bewaffnet, unsere Stellung - jeder an einer Seite des Pfades, der zum Eingang fuhrt, und der dritte ein paar Schritte vom Eingang entfernt, um die zu toten, die es schaffen, an den beiden am Tor vorbeizukommen. An der Stelle wird der gro?te Ansturm kommen. Es bleiben sechzehn Mann ubrig. La?t uns diese Manner in zwei Gruppen aufteilen. Mit einer davon sollst du gehen, Macumazahn, und mit einer der >Betmann< (Mr. Mackenzie). Sie sollen, mit Gewehren bewaffnet, auf die Seiten des Kraals gehen; eine Gruppe zur Rechten und eine zur Linken. Und wenn du, Macumazahn, wie ein Ochse brullst, dann sollen alle aus ihren Gewehren das Feuer auf die schlafenden Masai eroffnen; sie mussen dabei aufpassen, da? sie nicht das kleine Madchen treffen. Dann soll Bougwan am anderen Ende des Kraals seinen Kriegsschrei aussto?en, uber die Mauer springen und mit seinen zehn Mannern die Masai zum Zweikampf stellen. Und es wird so sein, da? die Soldaten, benommen von der Speise und dem Schlaf, verwirrt vom Feuer der Gewehre, vom Fallen der Manner und von den Speeren Bougwans, aufspringen und wie gehetztes Wild auf den dornenbewehrten Eingang zusturzen. Und dann werden von beiden Seiten die Kugeln in sie hineinfahren, und am Eingang stehen Incubu und ich und warten auf jene, die den Feuerhagel uberstanden haben

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