schlafenzugehen, nachdem sie das Blut der Ochsen getrunken und gewaltige Mengen Fleisch verzehrt hatten. An den beiden Eingangen des Kraals hatten sie Posten aufgestellt. Flossie, so sagten die Spaher, befand sich nicht weit von der auf der westlichen Seite gelegenen Mauer des Kraals entfernt, etwa in der Mitte. Bei ihr befanden sich das Kindermadchen und der wei?e Esel, den man an einen Holzpflock gebunden hatte. Ihre Fu?e hatte man zusammengebunden, und um sie herum lagen Masaikrieger.

Da wir im Augenblick absolut nichts tun konnten als warten, a?en wir etwas und gingen uns fur ein paar Stunden schlafen legen. Der gute alte Umslopo-gaas war einfach bewundernswert: So als mache der bevorstehende Kampf nicht den geringsten Eindruck auf ihn, legte er sich einfach auf die Erde und war in Sekundenschnelle in tiefen Schlaf gesunken. Ich wei? nicht, wie es den anderen erging; ich fur mein Teil fand jedenfalls keinen Schlaf. Ich mu? zu meinem Leidwesen gestehen, da? ich, wie immer bei solchen Ereignissen, Angst verspurte. Nun, da mein anfangli-cher Enthusiasmus uber Umslopogaas vortrefflichen Plan schon ein wenig verflogen war, mu? ich der Wahrheit halber zugeben, da? mir die Situation alles andere als behagte. Wir waren alles in allem drei?ig Mann; viele davon verfugten zweifellos uber nur sehr ungenugende Kampferfahrung, und mit diesen drei?ig Mann wollten wir zweihundertundfunfzig Masai angreifen! Zweihundertundfunfzig Masai, die zu den hei?blutigsten, todesmutigsten, schrecklichsten Wilden Afrikas gerechnet werden, und die zu allem Uberflu? auch noch durch eine Steinmauer geschutzt waren! Es war in der Tat ein Unternehmen, das schon an Wahnsinn grenzte. Und was das Ganze noch hirnverbrannter machte, war die Wahrscheinlichkeit, da? die Wachtposten uns bemerken und Alarm schlagen wurden, wenn wir versuchten, unsere Posten einzunehmen. Eines war sonnenklar: wenn das geschehen sollte; namlich, da? die Wachtposten uns entdeckten - und jedes kleinste Gerausch, und sei es blo? das Knacken eines Astes, konnte das schon bewirken, dann war es um uns geschehen, denn das ganze Lager wurde in Sekundenschnelle in Aufruhr geraten. Unsere einzige, wiewohl geringe Chance lag in einem Uberraschungsangriff.

Das Bett, in dem ich lag, wahrend mir diese wenig trostlichen Gedanken durch den Kopf gingen, stand dicht bei einem offenen Fenster, das auf die Veranda hinausging. Plotzlich horte ich, wie von drau?en ein seltsames Gerausch hereindrang - eine Art Stohnen, gepaart mit Weinen. Eine Weile horte ich gespannt zu, konnte mir jedoch keinen Reim darauf machen. Schlie?lich stand ich auf und ging ans Fenster. Ich lehnte mich hinaus und starrte ins Dunkel. Da sah ich die Umrisse einer menschlichen Gestalt, die am Ende der Veranda kniete und sich unablassig mit den Handen vor die Brust schlug. Es war niemand anders als Alphonse! Da ich sein franzosisches Gemurmel nicht verstehen konnte und wissen wollte, was er da uberhaupt trieb, rief ich ihn an und fragte ihn, was er da mache.

»Ah, Monsieur«, sagte er mit einem tiefen Seufzer, »isch mache Gebet fur die Seelen von denen, die isch 'eute nacht toten werde.«

»Konnten Sie das nicht ein bi?chen leiser machen?«

Alphonse machte sich davon, und ich war von seinem Gestohne befreit.

Langsam ging die Zeit herum, bis schlie?lich nach einer wahren Unendlichkeit Mr. Mackenzie den Kopf zum Fenster hereinsteckte und flusterte - denn von nun an mu?te naturlich alles in absoluter Stille geschehen: »Drei Uhr. Wir mussen um halb vier los.«

Ich bat ihn, hereinzukommen, und er kam in mein Zimmer. Und ich mu? sagen, ware die Situation eine andere, weniger traurige gewesen, dann ware ich bei seinem Anblick in schallendes Gelachter ausgebrochen, so wie er sich fur die bevorstehende Schlacht ausstaffiert hatte: er trug den schwarzen Schwalbenschwanz eines Geistlichen, dazu einen schwarzen, breitkrempigen Hut. Beides hatte er, wie er mir erklarte, aufgrund des vorzuglichen Tarneffekts angezogen. In der Hand hielt er das Winchester-Repetiergewehr, das wir ihm geliehen hatten. Und in einem elastischen Crickettgurtel von der Art, wie englische Schuljungen ihn tragen, steckten ein riesiges Schnitzmesser mit dazugehorigem Stichblatt und ein langlaufiger Colt.

»Ah, mein Freund«, sagte er, als er mich auf seinen Gurtel starren sah, »Sie fragen sich sicher, was ich mit meinem Schnitzmesser will. Ich dachte mir, es kann mir noch ganz nutzlich werden, wenn es zum Nahkampf kommen sollte. Es ist aus hervorragendem Stahl, und ich habe schon manches Schwein damit geschlachtet.«

Mittlerweile waren alle aufgestanden und zogen sich an. Ich zog eine leichte Norfolk-Jacke uber mein Panzerhemd, damit ich eine Tasche fur meine Patronen hatte, und schnallte meinen Revolver um. Good folgte meinem Beispiel. Sir Henry hingegen zog au?er seinem Kettenhemd, der Stahlkappe und einem Paar >Veldtschoonen<, das sind weiche Lederschuhe, nichts weiter an. Vom Knie abwarts waren seine Beine nackt. Seinen Revolver schnallte er uber das Hemd und die Taille.

In der Zwischenzeit inspizierte Umslopogaas die Manner, die sich im Innenhof unter dem gro?en Baum versammelt hatten. Er ging von einem zum anderen und achtete sorgfaltig darauf, da? jeder richtig bewaffnet und gekleidet war. Im letzten Augenblick nahmen wir noch eine Anderung vor. Da zwei der Manner, die eigentlich zu den beiden mit Gewehren ausgestatteten Gruppen gehorten, nur wenig bzw. uberhaupt nicht mit dem Umgang von Schu?waffen vertraut waren, sich aber als au?erordentlich geschickt mit dem Speer herausstellten, legten wir ihre Gewehre wieder fort, gaben ihnen Schilde und lange Speere von der Art, wie auch die Masai sie hatten, und teilten sie der Gruppe von Curtis, Ums-lopogaas und dem Askari zu, damit sie ihnen dabei helfen konnten, den gro?en Eingang zu halten. Es war uns namlich inzwischen klar geworden, da? drei Manner, und waren sie noch so mutig und stark, fur diese Aufgabe einfach zu wenig waren.

7

Ein gewaltiges und blutiges Gemetzel

Als alle Vorbereitungen getroffen waren, harrten wir noch eine Weile in der kalten, stummen Finsternis der Nacht aus und warteten auf den Augenblick des Aufbruchs. Diese endlos sich dahinschleppende Viertelstunde war vielleicht der Moment, der am meisten an den Nerven zerrte. Die Minuten qualten sich dahin wie auf bleiernen Fu?en, und die tiefe, weihevolle Stille, die drauendes Unheil zu verkunden schien, lastete schwer auf den Gemutern. Ich erinnere mich daran, wie ich einmal weit vor dem Morgengrauen aufstehen mu?te, um der Hinrichtung eines Mannes beizuwohnen; damals durchlebte ich sehr ahnliche Gefuhle. Der Unterschied lag jedoch darin, da? hier und jetzt meine Gefuhle weit starker aufgewuhlt waren durch das Element des Personlichen, Hautnahen, dem naturlich jemand, der selber von einer Sache betroffen ist, weit starker unterliegt als ein noch so mitfuhlender Beobachter. Die ernsten Gesichter der Manner, denen nur allzu bewu?t war, da? die heranruckende Stunde fur manch einen von ihnen, ja vielleicht sogar fur alle, die letzte sein konnte -die letzte vor der langen Reise in das Unbekannte oder in die Vergessenheit; das gleichsam atemlose Flustern, in dem sie miteinander sprachen; die Manier, in der Sir Henry unablassig und in Gedanken versunken seine Axt inspizierte; die Art, in der Good mit zittrigen Fingern immer wieder sein Monokel putzte; all dies sprach Bande daruber, wie sehr die Nerven aller Beteiligten bis zum Zerrei?en gespannt waren. Allein Umslopogaas, der, wie gewohnlich auf Inkosi-kaas gelehnt, dastand und ab und zu eine kleine Prise Schnupftabak nahm, schien von alledem nicht im geringsten beruhrt zu sein. Seinen eisernen Nerven konnte wirklich nichts auf der Welt etwas anhaben.

Der Mond sank immer weiter zum Horizont hinunter, bis er schlie?lich untergegangen war. Er lie? die Welt in totaler Dunkelheit zuruck - bis auf einen ganz schwachen, grauen Streifen am ostlichen Horizont, der bla? und matt die herannahende Morgendammerung ankundigte.

Mr. Mackenzie blickte auf die Uhr, die er in der Hand hielt. Neben ihm, an seinen Arm geklammert, stand seine Frau. Nur mit gro?er Muhe konnte sie ihr Schluchzen unterdrucken.

»Zwanzig vor vier«, sagte der Missionar. »Um zwanzig nach vier wird es hell genug sein fur einen Angriff. Captain Good sollte sich nun auf den Weg machen. Er mu? einen Vorsprung von drei oder vier Minuten haben.«

Good putzte noch einmal sein Monokel, nickte uns scherzhaft zu - was ihn, wie ich glaube, eine enorme Uberwindung kostete, nahm noch einmal - hoflich wie er war - seine stahluberzogene Mutze vor Mrs. Mackenzie ab und machte sich auf den Weg zu seinem Posten am hinteren Eingang des Kraals, den er nur auf einigen Umwegen uber Schleichpfade erreichen konnte, die jedoch den Eingeborenen bekannt waren.

Kaum war er mit seinen Leuten in der Dunkelheit verschwunden, da tauchte einer der Spaher auf und berichtete, da? dem Anschein nach nun alle in dem Masailager mit Ausnahme der beiden Wachtposten am vorderen und hinteren Eingang fest schliefen. Das war auch fur uns das Zeichen zum Aufbruch. Als erster ging der Fuhrer. Hinter ihm kamen Sir Henry, Umslopogaas, der Wakwafi Askari und die beiden Eingeborenen von Mr.

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