Andererseits ist es aber doch wieder zweifellos, da? zum Beispiel der Achte unvergleichlich mehr als diese, ja mehr als alle anderen Herren bei der Sache ist. Er mu? alles anfassen und mit einem kleinen Hammer, den er immer wieder aus der Tasche zieht und immer wieder dort verwahrt, beklopfen. Manchmal kniet er trotz sei­ner eleganten Kleidung in den Schmutz nieder und be­klopft den Boden, dann wieder nur im Gehen die Wande oder die Decke uber seinem Kopf. Einmal hat er sich lang hingelegt und lag dort still; wir dachten schon, es sei ein Ungluck geschehen; aber dann sprang er mit ei­nem kleinen Zusammenzucken seines schlanken Kor­pers auf. Er hatte also wieder nur eine Untersuchung gemacht. Wir glauben unser Bergwerk und seine Steine zu kennen, aber was dieser Ingenieur auf diese Weise hier immerfort untersucht, ist uns unverstandlich.

Ein Neunter schiebt vor sich eine Art Kinderwagen, in welchem die Me?apparate liegen. Au?erst kostbare Ap­parate, tief in zarteste Watte eingelegt. Diesen Wagen sollte ja eigentlich der Diener schieben, aber es wird ihm nicht anvertraut; ein Ingenieur mu?te heran und er tut es gern, wie man sieht. Er ist wohl der Jungste, vielleicht versteht er noch gar nicht alle Apparate, aber sein Blick ruht immerfort auf ihnen, fast kommt er dadurch manchmal in Gefahr, mit dem Wagen an eine Wand zu sto?en.

Aber da ist ein anderer Ingenieur, der neben dem Wa­gen hergeht und es verhindert. Dieser versteht offenbar die Apparate von Grund aus und scheint ihr eigentlicher Verwahrer zu sein. Von Zeit zu Zeit nimmt er, ohne den Wagen anzuhalten, einen Bestandteil der Apparate her­aus, blickt hindurch, schraubt auf oder zu, schuttelt und wahrend der Wagenfuhrer meist stillsteht, das kleine, von der Ferne kaum sichtbare Ding mit aller Vorsicht wieder in den Wagen. Ein wenig herrschsuchtig ist dieser Ingenieur, aber doch nur im Namen der Apparate. Zehn Schritte vor dem Wagen sollen wir schon, auf ein wort loses Fingerzeichen hin, zur Seite weichen, selbst dort, wo kein Platz zum Ausweichen ist.

Hinter diesen zwei Herren geht der unbeschaftigte Diener. Die Herren haben, wie es bei ihrem gro?en Wissen selbstverstandlich ist, langst jeden Hochmut abgelegt, der Diener dagegen scheint ihn in sich aufge­ sammelt zu haben. Die eine Hand im Rucken, mit der anderen vorn uber seine vergoldeten Knopfe oder das feine Tuch seines Livreerockes streichend, nickt er ofters nach rechts und links, so als ob wir gegru?t hatten und er antwortete, oder so, als nehme er an, da? wir gegru?t hatten, konne es aber von seiner Hohe aus nicht nach­ prufen. Naturlich gru?en wir ihn nicht, aber doch mochte man bei seinem Anblick fast glauben, es sei et­was Ungeheures, Kanzleidiener der Bergdirektion zu sein. Hinter ihm lachen wir allerdings, aber da auch ein Donnerschlag ihn nicht veranlassen konnte, sich umzu­drehen, bleibt er doch als etwas Unverstandliches in un­ serer Achtung.

Heute wird wenig mehr gearbeitet; die Unterbrechung war zu ausgiebig; ein solcher Besuch nimmt alle Gedanken an Arbeit mit sich fort. Allzu verlockend ist es, den Herren in das Dunkel des Probestollens nachzu­ blicken, in dem sie alle verschwunden sind. Auch geht unsere Arbeitsschicht bald zu Ende; wir werden die Ruckkehr der Herren nicht mehr mit ansehen.

Das nachste Dorf

Mein Gro?vater pflegte zu sagen: „Das Leben ist er­staunlich kurz. Jetzt in der Erinnerung drangt es sich mir so zusammen, da? ich zum Beispiel kaum begreife, wie ein junger Mensch sich entschlie?en kann ins nachste Dorf zu reiten, ohne zu furchten, da? - von ungluck­lichen Zufallen ganz abgesehen - schon die Zeit des ge­wohnlichen, glucklich ablaufenden Lebens fur einen sol­chen Ritt bei weitem nicht hinreicht.“

Eine kaiserliche Botschaft

Der Kaiser - so hei?t es - hat Dir, dem Einzelnen, dem jammerlichen Untertanen, dem winzig vor der kaiserli­chen Sonne in die fernste Ferne gefluchteten Schatten, gerade Dir hat der Kaiser von seinem Sterbebett aus eine Botschaft gesendet. Den Boten hat er beim Bett niederknieen lassen und ihm die Botschaft ins Ohr zugeflu­stert; so sehr war ihm an ihr gelegen, da? er sich sie noch ins Ohr wiedersagen lie?. Durch Kopfnicken hat er die Richtigkeit des Gesagten bestatigt. Und vor der ganzen Zuschauerschaft seines Todes - alle hindernden Wande werden niedergebrochen und auf den weit und hoch sich schwingenden Freitreppen stehen im Ring die Gro?en des Reichs - vor allen diesen hat er den Boten abgefertigt. Der Bote hat sich gleich auf den Weg gemacht; ein kraftiger, ein unermudlicher Mann; einmal diesen, ein­mal den andern Arm vorstreckend schafft er sich Bahn durch die Menge; findet er Widerstand, zeigt er auf die Brust, wo das Zeichen der Sonne ist; er kommt auch leicht vorwarts, wie kein anderer. Aber die Menge ist so gro?; ihre Wohnstatten nehmen kein Ende. Offnete sich freies Feld, wie wurde er fliegen und bald wohl hortest Du das herrliche Schlagen seiner Fauste an Deiner Tur. Aber statt dessen, wie nutzlos muht er sich ab; immer noch zwangt er sich durch die Gemacher des innersten Palastes; niemals wird er sie uberwinden; und gelange ihm dies, nichts ware gewonnen; die Treppen hinab mu?te er sich kampfen; und gelange ihm dies, nichts ware gewonnen; die Hofe waren zu durchmessen; und nach den Hofen der zweite umschlie?ende Palast; und wieder Treppen und Hofe; und wieder ein Palast; und so weiter durch Jahrtausende; und sturzte er endlich aus dem au?ersten Tor - aber niemals, niemals kann es ge­schehen - liegt erst die Residenzstadt vor ihm, die Mitte der Welt, hochgeschuttet voll ihres Bodensatzes. Niemand dringt hier durch und gar mit der Botschaft eines Toten. - Du aber sitzt an Deinem Fenster und ertraumst sie Dir, wenn der Abend kommt.

Die Sorge des Hausvaters

Die einen sagen, das Wort Odradek stamme aus dem Slawischen und sie suchen auf Grund dessen die Bildung des Wortes nachzuweisen. Andere wieder meinen, es stamme aus dem Deutschen, vom Slawischen sei es nur beeinflu?t. Die Unsicherheit beider Deutungen aber la?t wohl mit Recht darauf schlie?en, da? keine zutrifft, zumal man auch mit keiner von ihnen einen Sinn des Wor­tes finden kann.

Naturlich wurde sich niemand mit solchen Studien beschaftigen, wenn es nicht wirklich ein Wesen gabe, das Odradek hei?t. Es sieht zunachst aus wie eine flache sternartige Zwirnspule, und tatsachlich scheint es auch mit Zwirn bezogen; allerdings durften es nur abgerisse­ne, alte, aneinander geknotete, aber auch ineinander ver­fitzte Zwirnstucke von verschiedenster Art und Farbe sein. Es ist aber nicht nur eine Spule, sondern aus der Mitte des Sternes kommt ein kleines Querstabchen her­vor und an dieses Stabchen fugt sich dann im rechten Winkel noch eines. Mit Hilfe dieses letzteren Stabchens auf der einen Seite, und einer der Ausstrahlungen des Sternes auf der anderen Seite, kann das Ganze wie auf zwei Beinen aufrecht stehen.

Man ware versucht zu glauben, dieses Gebilde hatte fruher irgendeine zweckma?ige Form gehabt und jetzt sei es nur zerbrochen. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein; wenigstens findet sich kein Anzeichen dafur; nir­ gends sind Ansatze oder Bruchstellen zu sehen, die auf etwas Derartiges hinweisen wurden; das Ganze er­scheint zwar sinnlos, aber in seiner Art abgeschlossen. Naheres la?t sich ubrigens nicht daruber sagen, da Odradek au?erordentlich beweglich und nicht zu fangen ist.

Er halt sich abwechselnd auf dem Dachboden, im Treppenhaus, auf den Gangen, im Flur auf. Manchmal ist er monatelang nicht zu sehen; da ist er wohl in andere Hauser ubersiedelt; doch kehrt er dann unweigerlich wieder in unser Haus zuruck. Manchmal, wenn man aus der Tur tritt und er lehnt gerade unten am Treppenge­ lander, hat man Lust, ihn anzusprechen. Naturlich stellt man an ihn keine schwierigen Fragen, sondern behandelt ihn - schon seine Winzigkeit verfuhrt dazu - wie ein Kind. „Wie hei?t du denn?“ fragt man ihn. „Odradek“, sagt er. „Und wo wohnst du?“ „Unbestimmter Wohn­sitz“, sagt er und lacht; es ist aber nur ein Lachen, wie man es ohne Lungen hervorbringen kann. Es klingt etwa so, wie das Rascheln in gefallenen Blattern. Damit ist die Unterhaltung meist zu Ende. Ubrigens sind selbst diese Antworten nicht immer zu erhalten; oft ist er lange stumm, wie das Holz, das er zu sein scheint.

Vergeblich frage ich mich, was mit ihm geschehen wird. Kann er denn sterben? Alles, was stirbt, hat vorher eine Art Ziel, eine Art Tatigkeit gehabt und daran hat es sich zerrieben; das trifft bei Odradek nicht zu. Sollte er also einstmals etwa noch vor den Fu?en meiner Kinder und Kindeskinder mit nachschleifendem Zwirnsfaden die

Вы читаете Ein Landarzt
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×