letzteren Beurteiler jedenfalls beachtenswerter sind als die ersteren.

Mein elfter Sohn ist zart, wohl der schwachste unter meinen Sohnen; aber tauschend in seiner Schwache; er kann namlich zu Zeiten kraftig und bestimmt sein, doch ist allerdings selbst dann die Schwache irgendwie grundlegend. Es ist aber keine beschamende Schwache, son­dern etwas, das nur auf diesem unsern Erdboden als Schwache erscheint. Ist nicht zum Beispiel auch Flugbe­reitschaft Schwache, da sie doch Schwanken und Unbe­ stimmtheit und Flattern ist? Etwas Derartiges zeigt mein Sohn. Den Vater freuen naturlich solche Eigenschaften nicht; sie gehen ja offenbar auf Zerstorung der Familie aus. Manchmal blickt er mich an, als wollte er mir sagen: „Ich werde dich mitnehmen, Vater.“ Dann denke ich: „Du warst der Letzte, dem ich mich vertraue.“ Und sein Blick scheint wieder zu sagen: „Mag ich also wenigstens der Letzte sein.“

Das sind die elf Sohne.

Ein Brudermord

Es ist erwiesen, da? der Mord auf folgende Weise er­folgte:

Schmar, der Morder, stellte sich gegen neun Uhr abends in der mondklaren Nacht an jener Stra?enecke auf, wo Wese, das Opfer, aus der Gasse, in welcher sein Bureau lag, in jene Gasse einbiegen mu?te, in der er wohnte.

Kalte, jeden durchschauernde Nachtluft. Aber Schmar hatte nur ein dunnes blaues Kleid angezogen; das Rockchen war uberdies aufgeknopft. Er fuhlte keine Kalte; auch war er immerfort in Bewegung. Seine Mordwaffe, halb Bajonett, halb Kuchenmesser, hielt er ganz blo?ge legt immer fest im Griff. Betrachtete das Messer gegen das Mondlicht; die Schneide blitzte auf; nicht genug fur Schmar; er hieb mit ihr gegen die Backsteine des Pfla sters, da? es Funken gab; bereute es vielleicht; und um den Schaden gut zu machen, strich er mit ihr violinbo­genartig uber seine Stiefelsohle, wahrend er, auf einem Bein stehend, vorgebeugt, gleichzeitig dem Klang des Messers an seinem Stiefel, gleichzeitig in die schicksals volle Seitengasse lauschte.

Warum duldete das alles der Private Pallas, der in der Nahe aus seinem Fenster im zweiten Stockwerk alles beobachtete? Ergrunde die Menschennatur! Mit hochge­schlagenem Kragen, den Schlafrock um den weiten Leib gegurtet, kopfschuttelnd, blickte er hinab.

Und funf Hauser weiter, ihm schrag gegenuber, sah Frau Wese, den Fuchspelz uber ihrem Nachthemd, nach ihrem Manne aus, der heute ungewohnlich lange zo­gerte.

Endlich ertont die Turglocke vor Weses Bureau, zu laut fur eine Turglocke, uber die Stadt hin, zum Himmel auf, und Wese, der flei?ige Nachtarbeiter, tritt dort, in dieser Gasse noch unsichtbar, nur durch das Glocken­ zeichen angekundigt, aus dem Haus; gleich zahlt das Pflaster seine ruhigen Schritte.

Pallas beugt sich weit hervor; er darf nichts versau­men. Frau Wese schlie?t, beruhigt durch die Glocke, klirrend ihr Fenster. Schmar aber kniet nieder; da er augenblicklich keine anderen Blo?en hat, druckt er nur Gesicht und Hande gegen die Steine; wo alles friert, gluht Schmar.

Gerade an der Grenze, welche die Gassen scheidet, bleibt Wese stehen, nur mit dem Stock stutzt er sich in die jenseitige Gasse. Eine Laune. Der Nachthimmel hat ihn angelockt, das Dunkelblaue und das Goldene. Unwissend blickt er es an, unwissend streicht er das Haar unter dem gelupften Hut; nichts ruckt dort oben zusam­men, um ihm die allernachste Zukunft anzuzeigen; alles bleibt an seinem unsinnigen, unerforschlichen Platz. An und fur sich sehr vernunftig, da? Wese weitergeht, aber er geht ins Messer des Schmar.

„Wese!“ schreit Schmar, auf den Fu?spitzen stehend, den Arm aufgereckt, das Messer scharf gesenkt, „Wese! Vergebens wartet Julia!“ Und rechts in den Hals und links in den Hals und drittens tief in den Bauch sticht Schmar. Wasserratten, aufgeschlitzt, geben einen ahnlichen Laut von sich wie Wese.

„Getan“, sagt Schmar und wirft das Messer, den uber­flussigen blutigen Ballast, gegen die nachste Hausfront. „Seligkeit des Mordes! Erleichterung, Beflugelung durch das Flie?en des fremden Blutes! Wese, alter Nachtschat­ten, Freund, Bierbankgenosse, versickerst im dunklen Stra?engrund. Warum bist du nicht einfach eine mit Blut gefullte Blase, da? ich mich auf dich setzte und du ver­schwandest ganz und gar. Nicht alles wird erfullt, nicht alle Blutentraume reiften, dein schwerer Rest liegt hier, schon unzuganglich jedem Tritt. Was soll die stumme Frage, die du damit stellst?“

Pallas, alles Gift durcheinander wurgend in seinem Leib, steht in seiner zweiflugelig aufspringenden Haus­ tur. „Schmar! Schmar! Alles bemerkt, nichts uberse­hen.“ Pallas und Schmar prufen einander. Pallas befrie- digt’s, Schmar kommt zu keinem Ende.

Frau Wese mit einer Volksmenge zu ihren beiden Sei­ten eilt mit vor Schrecken ganz gealtertem Gesicht her­bei. Der Pelz offnet sich, sie sturzt uber Wese, der nacht­hemdbekleidete Korper gehort ihm, der uber dem Ehe­paar sich wie der Rasen eines Grabes schlie?ende Pelz gehort der Menge.

Schmar, mit Muhe die letzte Ubelkeit verbei?end, den Mund an die Schulter des Schutzmannes gedruckt, der leichtfu?ig ihn davonfuhrt.

Ein Traum

Josef K. traumte:

Es war ein schoner Tag und K. wollte spazieren gehen. Kaum aber hatte er zwei Schritte gemacht, war er schon auf dem Friedhof. Es waren dort sehr kunstliche, un­praktisch gewundene Wege, aber er glitt uber einen solchen Weg wie auf einem rei?enden Wasser in unerschut­terlich schwebender Haltung. Schon von der Ferne fa?te er einen frisch aufgeworfenen Grabhugel ins Auge, bei dem er Halt machen wollte. Dieser Grabhugel ubte fast eine Verlockung auf ihn aus und er glaubte, gar nicht eilig genug hinkommen zu konnen. Manchmal aber sah er den Grabhugel kaum, er wurde ihm verdeckt durch Fahnen, deren Tucher sich wanden und mit gro?er Kraft aneinanderschlugen; man sah die Fahnentrager nicht, aber es war, als herrsche dort viel Jubel.

Wahrend er den Blick noch in die Ferne gerichtet hatte, sah er plotzlich den gleichen Grabhugel neben sich am Weg, ja fast schon hinter sich. Er sprang eilig ins Gras. Da der Weg unter seinem abspringenden Fu? wei­ter raste, schwankte er und fiel gerade vor dem Grabhu­gel ins Knie. Zwei Manner standen hinter dem Grab und hielten zwischen sich einen Grabstein in der Luft; kaum war K. erschienen, stie?en sie den Stein in die Erde und er stand wie festgemauert. Sofort trat aus einem Gebusch ein dritter Mann hervor, den K. gleich als einen Kunstler erkannte. Er war nur mit Hosen und einem schlecht zugeknopften Hemd bekleidet; auf dem Kopf hatte er eine Samtkappe; in der Hand hielt er einen gewohnli­chen Bleistift, mit dem er schon beim Naherkommen Figuren in der Luft beschrieb.

Mit diesem Bleistift setzte er nun oben auf dem Stein an; der Stein war sehr hoch, er mu?te sich gar nicht bucken, wohl aber mu?te er sich vorbeugen, denn der Grabhugel, auf den er nicht treten wollte, trennte ihn von dem Stein. Er stand also auf den Fu?spitzen und stutzte sich mit der linken Hand auf die Flache des Stei­nes. Durch eine besonders geschickte Hantierung gelang es ihm, mit dem gewohnlichen Bleistift Goldbuchstaben zu erzielen; er schrieb: „Hier ruht - “ Jeder Buchstabe erschien rein und schon, tief geritzt und in vollkomme­nem Gold. Als er die zwei Worte geschrieben hatte, sah er nach K. zuruck; K. der sehr begierig auf das Fort­schreiten der Inschrift war, kummerte sich kaum um den Mann, sondern blickte nur auf den Stein. Tatsachlich setzte der Mann wieder zum Weiterschreiben an, aber er konnte nicht, es bestand irgendein Hindernis, er lie? den Bleistift sinken und drehte sich wieder nach K. um. Nun sah auch K. den Kunstler an und merkte, da? dieser in gro?er Verlegenheit war, aber die Ursache dessen nicht sagen konnte. Alle seine fruhere Lebhaftigkeit war ver­ schwunden. Auch K. geriet dadurch in Verlegenheit; sie wechselten hilflose Blicke; es lag ein ha?liches Mi?ver­ standnis vor, das keiner auflosen konnte. Zur Unzeit begann nun auch eine kleine Glocke von der Grabkapelle zu lauten, aber der Kunstler fuchtelte mit der erhobe­nen Hand und sie horte auf. Nach einem Weilchen be­gann sie wieder; diesmal ganz leise und, ohne besondere Aufforderung, gleich abbrechend; es war, als wolle sie nur ihren Klang prufen. K. war untrostlich uber die Lage des Kunstlers, er begann zu weinen und schluchzte lange in die vorgehaltenen Hande. Der Kunstler wartete, bis K. sich beruhigt hatte, und entschlo? sich dann, da er keinen andern Ausweg fand, dennoch zum Weiterschrei­ben. Der erste kleine Strich, den er machte, war fur K. eine Erlosung, der Kunstler brachte ihn aber offenbar nur mit dem au?ersten Widerstreben zustande; die Schrift war auch nicht mehr so schon, vor allem schien es an Gold zu fehlen, bla? und unsicher zog sich der Strich hin, nur

Вы читаете Ein Landarzt
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×