sehr gro? wurde der Buchstabe. Es war ein J, fast war es schon beendet, da stampfte der Kunstler wutend mit einem Fu? in den Grabhugel hinein, da? die Erde ringsum in die Hohe flog. Endlich verstand ihn K.; ihn abzubitten war keine Zeit mehr; mit allen Fin­gern grub er in die Erde, die fast keinen Widerstand leistete; alles schien vorbereitet; nur zum Schein war eine dunne Erdkruste aufgerichtet; gleich hinter ihr off­nete sich mit abschussigen Wanden ein gro?es Loch, in das K. von einer sanften Stromung auf den Rucken ge­dreht, versank. Wahrend er aber unten, den Kopf im Genick noch aufgerichtet, schon von der undurchdringlichen Tiefe aufgenommen wurde, jagte oben sein Name mit machtigen Zieraten uber den Stein.

Entzuckt von diesem Anblick erwachte er. 

Ein Bericht fur eine Akademie

Hohe Herren von der Akademie!

Sie erweisen mir die Ehre, mich aufzufordern, der Akademie einen Bericht uber mein affisches Vorleben einzureichen.

In diesem Sinne kann ich leider der Aufforderung nicht nachkommen. Nahezu funf Jahre trennen mich vom Affentum, eine Zeit, kurz vielleicht am Kalender gemessen, unendlich lang aber durchzugaloppieren, so wie ich es getan habe, streckenweise begleitet von vortrefflichen Menschen, Ratschlagen, Beifall und Orche­stralmusik, aber im Grunde allein, denn alle Begleitung hielt sich, um im Bilde zu bleiben, weit vor der Barriere. Diese Leistung ware unmoglich gewesen, wenn ich ei­gensinnig hatte an meinem Ursprung, an den Erinnerungen der Jugend festhalten wollen. Gerade Verzicht auf jeden Eigensinn war das oberste Gebot, das ich mir auf­erlegt hatte; ich, freier Affe, fugte mich diesem Joch. Dadurch verschlossen sich mir aber ihrerseits die Erin­nerungen immer mehr. War mir zuerst die Ruckkehr, wenn die Menschen gewollt hatten, freigestellt durch das ganze Tor, das der Himmel uber der Erde bildet, wurde es gleichzeitig mit meiner vorwarts gepeitschten Ent­wicklung immer niedriger und enger; wohler und einge­schlossener fuhlte ich mich in der Menschenwelt; der Sturm, der mir aus meiner Vergangenheit nachblies, sanftigte sich; heute ist es nur ein Luftzug, der mir die Fersen kuhlt; und das Loch in der Ferne, durch das er kommt und durch das ich einstmals kam, ist so klein geworden, da? ich, wenn uberhaupt die Krafte und der Wille hinreichen wurden, um bis dorthin zuruckzulau­fen, das Fell vom Leib mir schinden mu?te, um durch­ zukommen. Offen gesprochen, so gerne ich auch Bilder wahle fur diese Dinge, offen gesprochen: Ihr Affentum, meine Herren, soferne Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine. An der Ferse aber kitzelt es jeden, der hier auf Erden geht: den kleinen Schimpansen wie den gro?en Achilles.

In eingeschranktestem Sinn aber kann ich doch viel­leicht Ihre Anfrage beantworten und ich tue es sogar mit gro?er Freude. Das erste, was ich lernte, war: den Handschlag geben; Handschlag bezeugt Offenheit; mag nun heute, wo ich auf dem Hohepunkte meiner Laufbahn stehe, zu jenem ersten Handschlag auch das offene Wort hinzukommen. Es wird fur die Akademie nichts wesentlich Neues beibringen und weit hinter dem zu­ruckbleiben, was man von mir verlangt hat und was ich beim besten Willen nicht sagen kann - immerhin, es soll die Richtlinie zeigen, auf welcher ein gewesener Affe in die Menschenwelt eingedrungen ist und sich dort festge­setzt hat. Doch durfte ich selbst das Geringfugige, was sicher ware und meine Stellung auf allen gro?en Variete­buhnen der zivilisierten Welt sich nicht bis zur Unerschutterlichkeit gefestigt hatte:

Ich stamme von der Goldkuste. Daruber, wie ich ein­gefangen wurde, bin ich auf fremde Berichte angewiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck - mit dem Fuhrer habe ich ubrigens seither schon manche gute Flasche Rotwein geleert - lag im Ufergebusch auf dem Anstand, als ich am Abend inmitten eines Rudels zur Tranke lief. Man scho?; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich bekam zwei Schusse.

Einen in die Wange; der war leicht; hinterlie? aber eine gro?e ausrasierte rote Narbe, die mir den widerli­ chen, ganz und gar unzutreffenden, formlich von einem Affen erfundenen Namen Rotpeter eingetragen hat, so als unterschiede ich mich von dem unlangst krepierten, hie und da bekannten, dressierten Affentier Peter nur durch den roten Fleck auf der Wange. Dies nebenbei.

Der zweite Schu? traf mich unterhalb der Hufte. Er war schwer, er hat es verschuldet, da? ich noch heute ein wenig hinke. Letzthin las ich in einem Aufsatz irgendei­nes der zehntausend Windhunde, die sich in den Zeitun­gen uber mich auslassen: meine Affennatur sei noch nicht ganz unterdruckt; Beweis dessen sei, da? ich, wenn Besucher kommen, mit Vorliebe die Hosen ausziehe, um die Einlaufstelle jenes Schusses zu zeigen. Dem Kerl sollte jedes Fingerchen seiner schreibenden Hand einzeln weggeknallt werden. Ich, ich darf meine Hosen ausziehen, vor wem es mir beliebt; man wird dort nichts finden als einen wohlgepflegten Pelz und die Narbe nach einem - wahlen wir hier zu einem bestimmten Zwecke ein bestimmtes Wort, das aber nicht mi?verstanden wer­ den wolle - die Narbe nach einem frevelhaften Schu?. Alles liegt offen zutage; nichts ist zu verbergen; kommt es auf Wahrheit an, wirft jeder Gro?gesinnte die aller­feinsten Manieren ab. Wurde dagegen jener Schreiber die Hosen ausziehen, wenn Besuch kommt, so hatte dies allerdings ein anderes Ansehen und ich will es als Zei­chen der Vernunft gelten lassen, da? er es nicht tut. Aber dann mag er mir auch mit seinem Zartsinn vom Halse bleiben!

Nach jenen Schussen erwachte ich - und hier beginnt allmahlich meine eigene Erinnerung - in einem Kafig im Zwischendeck des Hagenbeckschen Dampfers. Es war kein vierwandiger Gitterkafig; vielmehr waren nur drei Wande an einer Kiste festgemacht; die Kiste also bildete die vierte Wand. Das Ganze war zu niedrig zum Auf­ rechtstehen und zu schmal zum Niedersitzen. Ich hock­te deshalb mit eingebogenen, ewig zitternden Knien, und zwar, da ich zunachst wahrscheinlich niemanden sehen und immer nur im Dunkel sein wollte, zur Kiste gewendet, wahrend sich mir hinten die Gitterstabe ins Fleisch einschnitten. Man halt eine solche Verwahrung wilder Tiere in der allerersten Zeit fur vorteilhaft, und ich kann heute nach meiner Erfahrung nicht leugnen, da? dies im menschlichen Sinn tatsachlich der Fall ist.

Daran dachte ich aber damals nicht. Ich war zum er­stenmal in meinem Leben ohne Ausweg; zumindest ge­radeaus ging es nicht; geradeaus vor mir war die Kiste, Brett fest an Brett gefugt. Zwar war zwischen den Bret­tern eine durchlaufende Lucke, die ich, als ich sie zuerst entdeckte, mit dem gluckseligen Heulen des Unverstan­des begru?te, aber diese Lucke reichte bei weitem nicht einmal zum Durchstecken des Schwanzes aus und war mit aller Affenkraft nicht zu verbreitern.

Ich soll, wie man mir spater sagte, ungewohnlich we­nig Larm gemacht haben, woraus man schlo?, da? ich entweder bald eingehen musse oder da? ich, falls es mir gelingt, die erste kritische Zeit zu uberleben, sehr dressurfahig sein werde. Ich uberlebte diese Zeit. Dumpfes Schluchzen, schmerzhaftes Flohesuchen, mudes Lecken einer Kokosnu?, Beklopfen der Kistenwand mit dem Schadel, Zungen-Blecken, wenn mir jemand nahekam, - das waren die ersten Beschaftigungen in dem neuen Leben. In alledem aber doch nur das eine Gefuhl: kein Ausweg. Ich kann naturlich das damals affenma?ig Ge­fuhlte heute nur mit Menschenworten nachzeichnen und verzeichne es infolgedessen, aber wenn ich auch die alte Affenwahrheit nicht mehr erreichen kann, wenigstens in der Richtung meiner Schilderung liegt sie, daran ist kein Zweifel.

Ich hatte doch so viele Auswege bisher gehabt und nun keinen mehr. Ich war festgerannt. Hatte man mich angenagelt, meine Freizugigkeit ware dadurch nicht kleiner geworden. Warum das? Kratz dir das Fleisch zwischen den Fu?zehen auf, du wirst den Grund nicht finden. Druck dich hinten gegen die Gitterstange, bis sie dich fast zweiteilt, du wirst den Grund nicht finden. Ich hatte keinen Ausweg, mu?te mir ihn aber verschaffen, denn ohne ihn konnte ich nicht leben. Immer an dieser Kistenwand - ich ware unweigerlich verreckt. Aber Af­fen gehoren bei Hagenbeck an die Kistenwand - nun, so horte ich auf, Affe zu sein. Ein klarer, schoner Gedan­kengang, den ich irgendwie mit dem Bauch ausgeheckt haben mu?, denn Affen denken mit dem Bauch.

Ich habe Angst, da? man nicht genau versteht, was ich unter Ausweg verstehe. Ich gebrauche das Wort in sei­nem gewohnlichsten und vollsten Sinn. Ich sage absicht­lich nicht Freiheit. Ich meine nicht dieses gro?e Gefuhl der Freiheit nach allen Seiten. Als Affe kannte ich es vielleicht und ich habe Menschen kennen gelernt, die sich danach sehnen. Was mich aber anlangt, verlangte ich Freiheit weder damals noch heute. Nebenbei: mit Frei­heit betrugt man sich unter Menschen allzuoft. Und so wie die Freiheit zu den erhabensten Gefuhlen zahlt, so auch die entsprechende Tauschung zu den erhabensten. Oft habe ich in den Varietes vor meinem Auftreten ir­gendein Kunstlerpaar oben an der Decke an Trapezen hantieren sehen. Sie schwangen sich, sie schaukelten, sie sprangen, sie schwebten einander in die Arme, einer trug den anderen an den Haaren mit dem Gebi?. „Auch das ist Menschenfreiheit“, dachte ich, „selbstherrliche Be­wegung.“ Du Verspottung der heiligen Natur! Kein Bau wurde standhalten vor dem Gelachter des Affentums bei diesem Anblick.

Nein, Freiheit wollte ich nicht. Nur einen Ausweg; rechts, links, wohin immer; ich stellte keine anderen

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