und Laden umlagerten.
Die Szenerie, die sich ihnen bot, hatte sich ebenso gut in jeder beliebigen Stadt in Sudengland abspielen konnen, wenn man einmal von der Kleidung und dem Uberangebot an allen moglichen Kasesorten an den Standen absah.
Sie stiegen ab und banden die Pferde an einem Zaun fest. Sie lie?en die Tiere nur ungern zuruck, aber irgendjemand wurde sich schon um sie kummern. Sherlocks Sprachkenntnisse wurden aufs Au?erste getestet, als er sich erkundigte, ob sich ein Telegraphenamt in der Nahe befinde. Doch die Auskunft, die er bekam, war absolut niederschmetternd: Das nachste Telegraphenamt befand sich in Paris. Wie sollten sie Mycroft nun eine Nachricht schicken?
Also mussten sie sehen, dass sie so schnell wie moglich ein Schiff zuruck nach England bekamen. Das war ihre einzige Hoffnung.
Sie machten das Buro des Hafenmeisters ausfindig und erkundigten sich nach Schiffen oder Booten, die nach England auslaufen wurden. Laut Auskunft des Hafenmeisters gab es einige, und umstandlich ging er mit ihnen die Namen durch. Bei vieren handelte es sich um kleinere Schiffe aus der Region, die Nahrungsguter wie Kase, Fleisch und Zwiebeln zwischen England und Frankreich transportierten. Der Hafenmeister bot ihnen an, ein gutes Wort fur sie bei den Kapitanen einzulegen. Das funfte war ein britischer Fischkutter, der an diesem Morgen unerwarteterweise im Hafen festgemacht hatte.
Der Name des Kutters war
Den Namen zu horen, war, als wurde man Sherlock einen Eimer kaltes Wasser ins Gesicht schutten. Ihm lief es eiskalt den Rucken hinunter, und einen Moment lang war er fest davon uberzeugt, dass MrsEglantine – die Hauswirtschafterin seines Onkels und seiner Tante – die eigentliche Drahtzieherin hinter all dem Ganzen war. Doch dann gewann sein Verstand wieder die Oberhand.
Irgendjemand musste diesen Namen sozusagen als Signalflagge benutzt haben, um Sherlocks Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Und das hatte der- oder diejenige auch geschafft.
Die
Virginia lief ihrem Vater in die Arme. Er schwang sie hoch in die Luft und druckte sie dann fest an sich, wahrend Sherlock Matty uberglucklich auf die Schulter klopfte.
»Wie habt ihr gewusst, wo ihr uns findet?«, fragte er. »Und vor allem, in welchem Land ihr uberhaupt suchen musst?«
»Du scheinst zu vergessen, dass ich Fahrtensucher von Beruf bin«, sagte Crowe. »Als du nicht ins Hotel zuruckgekommen bist und als wir merkten, dass Ginny verschwunden war, haben wir versucht, eure Spuren zuruckzuverfolgen. Ich hab Berichte uber das Feuer im Rotherhithe-Tunnel gehort, und als ich ein bisschen herumgefragt habe, stellte sich heraus, dass ein Junge in deinem Alter gesehen worden war, wie er davonrannte. Mittlerweile hatte Matty den Droschkenkutscher aufgespurt, der Ginny zum Hafen gebracht hatte. Als wir dort angekommen sind, war Maupertuis’ Schiff schon in See gestochen. Aber wir haben einen Lademeister aufgestobert, der sich daran erinnern konnte, euch an Bord gesehen zu haben. Oder besser gesagt, wie ihr an Bord
Aber Sherlock hatte den Eindruck, dass er irgendwie alter und muder wirkte. Er hatte den Arm immer noch um Virginias Schultern geschlungen und hielt sie fest an sich gedruckt, wahrend Virginia keine Anstalten machte, sich aus der Umarmung zu losen.
»Ich habe herausgefunden, dass der Baron hier in der Nahe ein Anwesen besitzt und war gerade dabei, eine Gruppe aus Einheimischen zu rekrutieren, als ihr aufgetaucht seid. Ein gluckliches und nutzliches Zusammentreffen unserer Wege, wurde ich sagen.«
»Da haben Sie recht und jetzt wird mir einiges klar«, erwiderte Sherlock. »Wir haben uns zu dem Hafen begeben, der Maupertuis’ Chateau am nachsten liegt. Denn dort wurde ja mit gro?er Wahrscheinlichkeit sein Schiff festmachen, und ihr wiederum seid seinem Schiff gefolgt. Die Chance, dass es uns irgendwann alle nach Cherbourg verschlagt, war also gro?.« Er lachelte. »Das einzig Erstaunliche daran ist, dass ihr ein Schiff aufgetrieben habt, das nach der Hauswirtschafterin meines Onkels benannt wurde.«
»Ihr eigentlicher Name war
»Sie haben damit
Crowe nickte. »Ich ware enttauscht gewesen, wenn ihr es nicht geschafft hattet. Schlie?lich bist du mein Schuler und Ginny mein Fleisch und Blut. Was ware ich blo? fur ein Lehrer, wenn ihr beide einfach dagesessen und nichts gegen eure Gefangenschaft unternommen hattet.« Seine Worte waren scherzhaft gemeint, und auf seinem Gesicht lag ein Lacheln. Dennoch meinte Sherlock in Crowe ein tiefes, unterschwelliges Gefuhl des Unbehagens, ja vielleicht sogar der Angst zu verspuren, das sich durch ihr Auftauchen gerade erst zu verfluchtigen begonnen hatte.
Crowe streckte seine gro?e Hand aus und druckte Sherlocks Schulter. »Du hast auf sie aufgepasst«, sagte er leise. »Dafur danke ich dir.«
»Ich wei?, dass alles, was Sie unternommen haben, um hierherzukommen, aus logischen Erwagungen erfolgte«, antwortete Sherlock ebenso leise, »und es hat alles funktioniert. Aber was, wenn es das nicht hatte? Was, wenn wir gar nicht entkommen waren oder einen anderen Weg eingeschlagen hatten oder wenn Sie sich an einem Hafenende befunden hatten, wahrend wir am entgegengesetzten Ende ein anderes Schiff bestiegen hatten? Was dann?«
»Dann waren die Dinge anders gelaufen«, sagte Crowe. »Wir stehen hier zusammen, weil die Dinge so geschehen sind, wie sie es nun einmal sind. Mit Logik kannst du die Chancen zu deinen Gunsten verbessern, aber man muss immer auch mit dem Zufall rechnen. Dieses Mal hatten wir Gluck. Das nachste Mal … Wer wei??«
»Ich rechne nicht damit, dass es ein ›nachstes Mal‹ geben wird«, erwiderte Sherlock. »Aber wir mussen trotzdem die Plane des Barons durchkreuzen.«
»Ach, und wie sehen die aus?«, fragte Crowe und verzog verwundert das Gesicht. »Einen Teil des Puzzles habe ich schon zusammengesetzt, aber nicht alles.«
Rasch berichteten Sherlock und Virginia von den Bienen, den vergifteten Uniformen und dem teuflischen Plan, einen betrachtlichen Teil der britischen Armee in ihren Garnisonen in England zu toten. Crowe war hinsichtlich der Effizienz des Planes ebenso skeptisch wie Sherlock, doch er stimmte darin uberein, dass es zumindest einige Todesfalle geben wurde und selbst ein einzelner Tod schon zu viel ware. Die Bienen mussten aufgehalten werden.
»Aber wie finden die Bienen den Weg ubers Meer nach England und dann weiter zu den Garnisonen?«, fragte Crowe.
»Ich habe in der Bibliothek meines Onkels einiges uber Bienen gelesen«, antwortete Sherlock. »Bienen sind ganz erstaunliche Kreaturen. Sie konnen zwischen Hunderten verschiedener Dufte unterscheiden. Dufte von weitaus geringerer Konzentration, als sie ein Mensch wahrnehmen konnte. Auf der Suche nach diesen Duften konnen sie meilenweit fliegen. Ich ware nicht uberrascht, wenn es klappen wurde.« Er hielt kurz inne, als ihm plotzlich etwas einfiel. »Er hat von einem Fort gesprochen. Als er seinem Gehilfen – diesem MrSurd – befohlen hat, die Bienen freizulassen. Das sollte von einem Fort aus passieren. Gibt es irgendwelche Befestigungen an dieser oder an der englischen Kuste, die sie benutzen konnten?«
»Ist vielleicht nicht gerade die Art von Fort, an die du denkst«, meldete sich plotzlich Matty zu Wort.
»Was meinst du damit?«
»Rund um Southampton, Portsmouth und der Isle of Wight gibt’s Forts. Mitten im Englischen Kanal. Sind so was wie kunstliche Inseln«, sagte er. »Sind fur den Fall gebaut worden, dass Napoleon mal ’ne Invasion in England