derartigen Festen wurde gewohnlich ein Gendarm zum Schutz der Gaste vor Dieben und anderen Ubeltatern angefordert.
Lord Mandrake war ein angesehenes Mitglied der vornehmen Gesellschaft mit Landereien in Cheshire und in Nord- und Sudamerika. Sein Vermogen hatte er im Handels- und Bankengeschaft gemacht. Er war ein Vertrauter mehrerer Parlamentsmitglieder und ein Freund des Au?enministers. Es hie? sogar, der Prinzregent werde den Gastgeber mit seiner Anwesenheit beehren, instruierte Read Hawkwood.
Worauf dieser innerlich stohnte. Zutiefst hasste er derartige Veranstaltungen, zu denen er regelma?ig abkommandiert wurde. Er hatte lieber dem Angriff eines Trupps franzosischer Lanzenreiter getrotzt.
»Was ist mit Redfern?«
»Redfern ist in Manchester«, antwortete Read, diesmal ohne aufzusehen. »Er ermittelt in einem Fall, bei dem es um Falschungen in gro?em Stil geht. Mit seiner Ruckkehr ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen.«
»Und Lightfoot?«
»Ist zum Schutz eines Goldtransports der Bank von England abgestellt worden«, erklarte James Read. Mit ubertriebener Bedachtigkeit legte er die Feder auf seinen Schreibtisch und seufzte horbar, bevor er fortfuhr: »Hawkwood, Sie wissen doch genau, wie viele Gendarmen mir zur Verfugung stehen. Herzlich wenige. Genau sieben, mit Ihnen. Und obwohl ich nicht verpflichtet bin, Ihnen Einzelheiten uber die Falle zu verraten, die Ihre Kollegen bearbeiten, will ich es tun, wenn es Sie denn beruhigt.
Uber Redfern und Lightfoot haben wir schon gesprochen. George Ruthven ist in Dublin, um den per Haftbefehl gesuchten Patrick Doherty, der der Unterschlagung verdachtigt wird, festzunehmen. McNiece ermittelt in einem Mordfall in York. Lacey ist bei der Festnahme der Taplin-Bruder verwundet worden und noch nicht wieder auf den Beinen …«
»Und Warlock?«, erkundigte sich Hawkwood verzweifelt, obwohl er wusste, dass es vergeblich war.
»Auch nicht verfugbar. Ich habe ihm den Woodburn-Fall ubertragen.«
»Woodburn?«, fragte Hawkwood verwirrt, obwohl es keinen Grund gab, warum er diesen Namen kennen sollte. Bei der Vielzahl der Falle, in denen die Runner ermittelten, war jeder Gendarm zu sehr mit Arbeit uberlastet, um uber die Falle seiner Kollegen Bescheid zu wissen.
»Der vermisste Uhrmacher.«
Hawkwood glaubte, sich verhort zu haben. »Sie haben Warlock auf die Suche nach einem
»Woodburn ist nicht irgendein Uhrmacher«, wies Read ihn scharf zurecht. »Er ist ein Meister seines Fachs und genie?t hochstes Ansehen in Adelskreisen. Seine Uhren zieren die Halfte hochherrschaftlicher Landhauser und aller Salons in London.«
»Und er ist verschwunden?«, fragte Hawkwood mit hohler Stimme.
»Wie es scheint, ist er gestern Abend nicht aus seiner Werkstatt nach Hause gekommen.«
»Wahrscheinlich hat er sich mit einer Dirne vom Haymarket vergnugt und jegliches Zeitgefuhl verloren.«
Schweigen. In der linken Wange des Obersten Richters zuckte ein Nerv. »Wohl kaum«, entgegnete Read. »Der Mann ist achtundsechzig und glaubiger Presbyterianer.«
Der Oberste Richter runzelte plotzlich missbilligend die Stirn, zog seine Uhr aus der Tasche und verglich die Zeit mit der hohen Standuhr in der Ecke des Raums. »Aber vielleicht hat Officer Warlock das Zeitgefuhl verloren. Er sollte langst hier sein und mir Bericht erstatten. Er kommt sonst nie zu spat.« Das Stirnrunzeln wich einem strahlenden Lacheln. »Wie Sie sehen, Hawkwood, bleibt Ihnen keine Wahl. Sie werden zu dem Ball gehen.«
Hawkwoods Miene sprach Bande.
»Ehrlich gesagt«, fugte Read hinzu und steckte seine Uhr wieder ein, »habe ich erwartet, dass Sie sich geschmeichelt fuhlen.«
»Warum sollte ich?«
»Weil Sie auf Empfehlung von Sir John Belverdere personlich angefordert wurden. Anscheinend war Sir John von Ihrem Einsatz bei der Geburtstagsfeier zu Ehren seiner Frau hochst beeindruckt.«
Hawkwood konnte sich noch gut an den Abend vor einem Monat erinnern. Der Empfang war gut besucht, aber langweilig gewesen, bis ein Dieb bei dem fehlgeschlagenen Versuch ertappt wurde, Sir Johns Geburtstagsgeschenk fur seine Frau – ein pomposes, wertvolles Kollier, das angeblich einmal der Gattin des ersten Herzogs von Marlborough gehort hatte – zu stehlen.
Hawkwood hatte sich bei der Verfolgung des Diebs und wahrend der Festnahme im Park ein Paar gute Kniehosen ruiniert. Im Nachhinein musste er jedoch zugeben, dass sein Einsatz von Sir John gro?zugig und nicht nur mit Dankesworten belohnt worden war. Trotzdem war ihm der pratentiose Pomp von Veranstaltungen dieser Art zuwider.
»Aber ich stecke doch mitten in den Ermittlungen uber den Uberfall auf die Kutsche«, versuchte es Hawkwood noch einmal. Er klammerte sich an den letzten Strohhalm.
»Ich halte es fur sehr unwahrscheinlich, dass es dabei zwischen jetzt und morgen fruh zu einem Durchbruch kommt«, sagte Read. »Meinen Sie nicht auch?«
Dann schurzte der Oberste Richter die Lippen und lehnte sich zuruck. »Gelinde gesagt, erstaunt mich Ihr Mangel an Enthusiasmus, Hawkwood. Jeder andere Beamte hatte sich mit seinen Kollegen um diesen Auftrag geprugelt.«
Hinter diesen Worten verbarg sich der nicht zu subtile Hinweis auf ein stillschweigend geduldetes Abkommen. Runner erhielten ein jammerliches Gehalt von einem Guinea die Woche und einen ebenso karglichen Spesenersatz fur Dienstreisen in andere Orte oder Stadte. Fur die Festnahme und Verurteilung von Verbrechern erhielten die daran beteiligten Beamten zwar Pramien, von denen nach der Verteilung aber hochstens ein paar Munzen fur jeden ubrig blieben. Die meisten Runner verdienten ihr Geld mit Privatauftragen als Leibwachter fur Mitglieder des Konigshauses und fur Politiker, oder sie arbeiteten als Detektive und Beschutzer fur Institutionen, Adelige und reiche Burger.
»Also«, fuhr James Read fort, ohne Hawkwoods gequalten Gesichtsausdruck zu beachten, »obwohl Sie bestimmt Grunde fur Ihre Abneigung gegen derartige Festivitaten haben, sind diese im Augenblick irrelevant, denn auch wenn mir ein anderer Mann zur Verfugung gestanden hatte, ware mir nichts anderes ubrig geblieben, als Ihnen den Auftrag zu erteilen, weil Sie mein einziger Mitarbeiter sind, der franzosisch spricht.«
Jetzt runzelte Hawkwood erstaunt die Stirn.
Der Oberste Richter lehnte sich in seinem Stuhl zuruck.
»Wie Sie vielleicht wissen oder auch nicht, hat sich Lord Mandrake einen gewissen Ruf als Wohltater fur die weniger Begunstigten unserer Gesellschaft erworben. Er kummert sich um Waisen und Witwen, die der Gemeinde zur Last fallen, um Kriegsveteranen und andere Bedurftige. Seine guten Werke beschranken sich jedoch nicht allein auf unser Heimatland, sondern sie reichen uber die nationalen Grenzen hinaus.«
Hawkwood bemuhte sich vergeblich, Interesse an diesem Thema zu heucheln.
»Ich spreche von Emigranten, Hawkwood. Und einer der gluhendsten Kampfer fur die Monarchie ist der Comte d’Artois.«
Hawkwood kannte die Geschichte. Der Comte d’Artois, der Bruder Louis XVIII., des Konigs von Frankreich, war vor der Guillotine nach England geflohen und hatte sich dort als Fuhrer der Exilfranzosen etabliert. Mit den Geldern britischer Sympathisanten hatten d’Artois und seine Landsleute militarische Ausbildungslager in Romsey, an der Sudkuste Englands, eingerichtet, und bereiteten dort einen moglichen Sturz Kaiser Napoleons vor.
»Wie mir mitgeteilt wurde, will Lord Mandrake mit diesem Ball heute Abend die Verbundenheit Britanniens mit der legitimen Bourbonen-Regierung betonen. Mehrere Mitglieder des inneren Kreises um den Comte werden zugegen sein. Daher die Anforderung eines franzosisch sprechenden Gendarmen. Ich muss Sie wohl nicht daran erinnern«, fugte Read streng hinzu, »dass von Ihnen ein tadelloses Benehmen erwartet wird.«
Dann kritzelte der Oberste Richter etwas auf eine Karte. »Hier ist die Adresse. Begeben Sie sich unverzuglich dorthin.«
Mandrake House an der Ecke St. James’s Square strahlte trotz der fruhen Abendstunde bereits im Glanz der Lichter wie ein Kronleuchter. Nachdem sich Hawkwood bei Lord Mandrakes Sekretar ausgewiesen hatte, beobachtete er amusiert die hektisch umhereilenden Dienstboten. Bald wurden die ersten Gaste eintreffen und die Reihe der Kutschen bis zur Pall Mall und daruber hinaus reichen. Dieser festliche Anlass gebot es, dass sich Mandrake House in seiner ganzen Pracht prasentierte.