einen Irrweg beschriften haben. Daher haben wir durch die Verhaftung dieser Frau die Moglichkeit, das Amoralische dieser Handlungsweise zu korrigieren. Hier geht es um Wiedergutmachung. Durch den Austausch von Gefangenen konnen beide Seiten davon ausgehen, dass ein Dialog noch immer moglich ist. Das ist vernunftig, Hawkwood. Und vor allem eine zivilisierte Art, mit dem Feind umzugehen.«
Hawkwood war au?erstande, dem Obersten Richter darauf zu antworten. Er fragte sich, was James Read unter »zivilisiert« verstand. War es zivilisiert, die franzosischen Gefangenen zu opfern? Oder den schwachsinnigen Eli Gant? Diese Seite an James Read war ihm neu. Unter der kultivierten au?eren Erscheinung des Richters verbarg sich eine Skrupellosigkeit, die besser zu manchem
Ihm war jetzt klar, dass zur Verteidigung des Konigreichs jede Regel gebrochen werden konnte, jedes Mittel recht war. Dann erinnerte er sich an das von James Read so abrupt beendete Gesprach im Haus des Kommissars und wusste intuitiv, dass noch mehr hinter den Erklarungen des Richters steckte.
»Die von Lieutenant Ramillies angefertigten Zeichnungen haben uns bewiesen, dass Lee das Unterseeboot entscheidend verbessert hat«, ergriff jetzt Colonel Congreve das Wort. »Wir mussten herausfinden, ob dieses Boot tatsachlich als Kriegsgerat benutzt werden kann. Und Lees erfolgreicher Angriff auf die
»Und wenn ich es geschafft hatte, das Unterseeboot zu zerstoren?«, fragte Hawkwood.
»Wir haben ja noch die Zeichnungen, die Master Woodburn Officer Warlock gegeben hat. Damit und mit den Informationen, die Lieutenant Ramillies uns aus Frankreich hat zukommen lassen, haben wir eine gute Ausgangsbasis fur eigene Plane.«
»Eigene Plane wofur?«, fragte Hawkwood, obwohl er bereits ahnte, worauf der Colonel hinauswollte.
»Fur den Bau eines eigenen Unterseeboots naturlich.«
Hawkwood wurde schwindelig.
»Und ich muss zugeben«, sagte der Colonel strahlend, »wir waren verdammt beeindruckt. Sagen Sie, Hawkwood, stimmt es, dass Lee ein Gerat konstruiert hat, mit dem man uber Wasser sehen kann, wenn das Boot untergetaucht ist?«
»Er nannte es ›das Auge‹«, sagte Hawkwood holzern und fragte sich, welcher Wahnsinn da entfesselt wurde.
»Gro?artig!«, verkundete der Colonel. »Ich kann es kaum erwarten, mir dieses Gerat bis ins kleinste Detail anzusehen.«
Hawkwood starrte ihn fassungslos an.
»Sie glauben doch nicht, dass wir dieses verdammte Ding auf dem Grund der Themse liegen lassen, oder?«
»Dieses
»Richtig«, stimmte Congreve zu und nickte. »Weil es explodieren sollte.«
Ohne auf Hawkwoods Verwirrung zu achten, ergriff James Read jetzt das Wort. »Master Woodburn hat dafur gesorgt. Er hat wahrend seiner Gefangenschaft im Lagerhaus ein Tagebuch gefuhrt, das wir bei dem Toten gefunden haben. Es waren nur ein paar Zettel, auf denen er beschrieb, wie er den Zeitregler an der Bombe repariert und gleichzeitig einen eigenen Sabotageakt vorbereitet hat. Wie es scheint, konnte er nachts seine Zelle verlassen, weil sein Wachter Sparrow die Angewohnheit hatte, sich in einer Kneipe zu besaufen. Er glaubte wohl, der alte Mann sei sicher in seiner Zelle eingeschlossen. Und wahrend Sparrows Abwesenheit hat Master Woodburn einige Veranderungen am Unterseeboot vorgenommen. Irgendwie muss es ihm gelungen sein, sich Sprengstoff zu besorgen und eine Bombe zu konstruieren, die durch eine Art Uhrwerkszunder zu einem bestimmten Zeitpunkt – nachdem der Torpedo vom Heck des Boots abgefeuert worden war – zur Detonation gebracht wurde.«
Hawkwood erinnerte sich daran, dass Josiah Woodburn ihm etwas ins Ohr hatte flustern wollen, als Lee und die Frau die Zelle betreten hatten. Wahrscheinlich hatte er ihm das Geheimnis um seine eigene Bombe anvertrauen wollen. Der Uhrmacher war also nicht nur aus Sorge um seine Enkelin zuruckgeblieben, als er Officer Warlock zur Flucht verholfen hatte, sondern weil er geplant hatte, Lees Unterseeboot nach dem erfolgten Angriff auf die
»Sie wollen die
Cogreve nickte. »Ja. Und wir haben auch schon einen Mann, der sich mit Unterseebooten auskennt.«
Jetzt wurde fur Hawkwood aus den Puzzlesteinchen allmahlich ein fertiges Bild. »Captain Johnstone«, sagte er nur.
»Stimmt. Der Mann ist zwar ein Schurke, aber ein begabter. Er hat mit Fulton an der Konstruktion der
Ich habe also Congreves Miene vorhin, als Captain Johnstone das Zimmer verlassen hat, richtig gedeutet, dachte Hawkwood. Der Colonel halt nicht viel von den Qualitaten dieses Mannes.
»Also sind Sie jetzt am Zug«, sagte Hawkwood. Er konnte seine Wut nicht mehr unterdrucken. »Was soll’s denn werden? Wollen Sie jetzt Napoleons Staatsbarkasse auf der Seine torpedieren? Dann sind wir keinen Deut besser als die Froschfresser. Worum, zum Teufel, geht es hier eigentlich?«
James Read sah ihm in die Augen und sagte: »Um den Sieg naturlich, Hawkwood – worum denn sonst?«
Runner Jeremiah Lightfoot dachte an sein Bett. Und an seine rundliche Frau Ettie, mit der er gern dieses Bett geteilt hatte. In letzter Zeit hatten sie nicht viel voneinander gehabt. Zuerst war er zum Begleitschutz des Goldtransports der Bank von England abkommandiert worden, und dann hatte der Oberste Richter ihn in den Norden geschickt, wo er Lord Mandrake hatte festnehmen sollen. Reine Zeitverschwendung, denn der Vogel war bereits ausgeflogen. Und kaum war er wieder in London und hatte sich auf einen geruhsamen Abend gefreut, war er wieder losgeschickt worden und sa? jetzt an Bord eines Schiffs an einem dunklen Kai. Nur die Schiffskatze und eine kleine Flasche Brandy vertrieben ihm die Langeweile.
Die Katze war ein freundliches Tier. Sie rieb sich an seinen Beinen und schnurrte, wenn er sie streichelte. Aber er glaubte, dass die Katze eher an einem guten Bissen als an ihm interessiert war. Leider hatte Lightfoot nichts zu essen dabei.
Au?er einem Matrosen, der, statt Wache zu schieben, in seiner Hangematte auf dem Vorderdeck schnarchte, war niemand an Bord. Die Mannschaft war an Land gegangen und verbrachte den letzten Abend vor dem Auslaufen in verschiedenen Kneipen. Die
Als sich die schone Frau abends an Deck ein wenig ihre Fu?e vertreten hatte, war es Jeremiah Lightfoot ein Vergnugen und eine willkommene Abwechslung zugleich gewesen, sie zu beobachten. Naturlich waren ihr seine bewundernden Blicke nicht entgangen, und sie hatte ihn mehrmals mit einem Lacheln in den dunklen Augen angesehen. Lightfoot hatte sich vorgestellt, wie es wohl ware, mit einer solchen Frau zusammen zu sein. Aber es blieb bei der Illusion.
Die Abenddammerung senkte sich uber den Kai, als eine kleine, hurtige Gestalt in Richtung Schiff rannte. Lightfoot sah den Jungen naher kommen und stand auf.
Auf der Gangway blieb der Junge stehen und hielt einen gefalteten Zettel in die Hohe. »Ich habe eine Nachricht fur die Lady.«
»Ach, tatsachlich? Und wie hei?t du?«
»Man nennt mich Tooler.«
