erfahren.

Am Tag nach der warmen Mahlzeit holte ein Kapo Daniel und einen noch jungeren Tischler aus der Werkstatt:

»Mitkommen!«

Sie legten ihre Werkzeuge nieder und hatten Muhe, ihm zu folgen, da er im Gegensatz zu ihnen richtige Schuhe trug und sich deshalb ohne Beeintrachtigung bewegte.

»Schnell, schnell!« Er wandte den Kopf und drangte sie zur Eile.

»Marsch, ihr Faulpelze! Wir werden im Haus des Sturmbannfuhrers erwartet, ein Lieferwagen ist abzuladen.«

Er bereut es schon, mich begluckwunscht zu haben, dachte der Geigenbauer, und nun soll ich die Mahlzeit abgelten, indem er mich Kisten abladen lasst und mir so zeigt, dass ich durch den Bau der Geige keinerlei Privilegien habe. Nicht zum ersten Mal unterbrachen ihn derartige Befehle bei der Arbeit. Er wunderte sich allerdings, dass Sauckel mit dem Hund an seiner Seite auf dem Treppenabsatz vor dem schon zum Teil bepflanzten Wintergarten stand und das Treiben uberwachte. Doch bald verstand er, warum, es waren namlich neue Pflanzen eingetroffen. Also gingen sie zum Lieferwagen, und Daniel lud, den Anweisungen folgend, drei gro?e Rosenstocke ab, einen nach dem anderen. Ihr Gewicht lie? ihn in die Knie gehen; er war es nicht gewohnt, solche Lasten zu tragen, und es strengte ihn sehr an. Als er zum dritten Mal mit einem schweren Blumentopf die Treppe hinaufstieg, mit diesen Holzschuhen an den Fu?en, schwankte er, und beim Hinuntergehen wurde ihm so schwindlig, dass er stehen bleiben musste, um Luft zu holen. Der Adjutant schlug ihn mit dem Knuppel – wenigstens nicht sehr fest.

»Gut so, Markus.« Das Monster lachelte zustimmend: »Lass sie blo? nicht faul werden, die Arbeit ist noch nicht getan.«

Daniel nahm die wenige ihm noch verbliebene Kraft zusammen und kroch in das Innere des Lieferwagens, um die ganz hinten liegende, sperrige Kiste hervorzuholen, wahrend sein Kamerad den letzten Pflanzentrog ablud. Als er sie aufhob, erstarrte er. Seine Augen lasen die gro?en roten Buchstaben, und er horte das Klirren der Flaschen. Es war in der Tat eine KISTE BURGUNDER. Ihm wurde schwarz vor Augen, und er fiel der Lange nach zu Boden.

Wir haben gewonnen.«

»Du bist es, der gewonnen hat.«

Sie konnten sich erst am Abend treffen; und nun sa?en sie auf einer Steinbank, umarmten sich und lachten und weinten ohne Scham. Nein, dachte Bronislaw, nicht der Schei?kerl hatte die Wette gewonnen, sondern Daniel, wenn auch, wie er mit Sorge feststellte, um den Preis der absoluten Erschopfung. Die weiteren Einzelheiten, die der Geiger geduldig und aufmerksam anhorte, wahrend er seinen Arm um die schmale Schulter seines Freundes legte, waren eigentlich nicht mehr so wichtig. Er erfuhr, wie Daniel immer noch benommen und schwach wieder zu Bewusstsein gekommen war, nachdem sie ihm kaltes Wasser ins Gesicht geschuttet hatten, wie er, noch immer am Boden liegend, das Lachen des Kommandanten und seines Adjutanten gehort hatte, wie sie schlie?lich seinem Mithaftling erlaubt hatten, nachdem die restlichen Kisten abgeladen waren, ihm aufzuhelfen und ihn in die Krankenstation zu begleiten, damit man die Platzwunde auf der Stirn versorgte, wobei er sich auf den Arm seines Kameraden hatte stutzen mussen.

»Lass ihn verarzten, am Nachmittag soll er wieder an die Arbeit, dieser Schwachling.«

Doch diese hamischen Worte machten Daniel nichts mehr aus. Er hatte gewonnen, er hatte die Geige, seine Daniel Cracoviensis rechtzeitig fertiggebaut. Seit Rascher fort war, herrschte in der Krankenbaracke ein angenehmeres Klima, und es gab Anweisungen, die Haftlinge mit »heilbaren« Krankheiten entsprechend zu behandeln. Und der judische Arzt, der unter Aufsicht des deutschen Stabsarztes arbeitete, tat sein Bestes. Wahrend er die Wunde desinfizierte und versorgte, flusterte Daniel:

»Ich habe gewonnen! Ich brauche das Zyankali nicht mehr, das du mir gegeben hast.«

Den schweigsamen und hilfsbereiten Arzt hatten sie als Einzigen in das Geheimnis eingeweiht. An dem Tag, als Daniels Geige endlich vollendet war, hatte ihn der Geigenbauer unter dem Vorwand einer selbst zugefugten Wunde am Handrucken aufgesucht, und der Arzt war bereit gewesen, ihm eine Giftkapsel zu uberlassen. Nun druckte der Arzt Daniel die Hand und steckte ihm eine Vitamintablette zu: »Du hast sie dringend notig.«

Er hatte das Gift nicht schlucken mussen. Sie wurden ihn nicht an einen Ort bringen, der schlimmer war als der Tod, ihn nicht den Kalte-Versuchen und auch nicht den stahlernen Augen Raschers ausliefern, die samtliche Qualen des Todeskampfes auszuforschen trachteten.

»Es war wohl ganz schon knapp mit der vereinbarten Frist«, sagte Bronislaw. »Deshalb haben sie mich auch ein paar Tage von der Kuchenarbeit freigestellt und befahlen mir, dir in der Werkstatt zur Hand zu gehen.«

Er hatte ihm nicht wirklich helfen konnen, abgesehen vom Zureichen der Werkzeuge und bei den Versuchen, den richtigen Lack zu finden, oder beim Zersto?en des Aloepulvers im Morser; aber Daniel hatte stets betont, dass ihm schon seine blo?e Anwesenheit Mut machte. Sie durften bei der Arbeit in der Tischlerei uber nichts sprechen, au?er der Geige. Den Gro?teil der Arbeiten am Instrument hatte der Geigenbauer selbst ubernommen, der Musiker war blo? sein Gehilfe gewesen, hatte den feinen Pinsel in den mit Alkohol gefullten Topf getaucht, ihn mit einem Lappen gereinigt, wann immer Daniel ihn darum bat, oder Wasser erhitzt, um den Leim abzutupfen, kleine Handgriffe, die ihn mit Befriedigung erfullten.

Er hatte auf die Auswahl des Geigenbauers vertraut, als es darum ging, sich fur einen Lack auf Olbasis zu entscheiden, dessen Zutaten es auf einer winzigen Waage abzuwiegen galt, die Daniel zuvor vermengt hatte: Aloe, Sandarak, venezianisches Terpentin, die farbende Substanz – eine auf kleiner Flamme hergestellte Mischung, die er langsam auf das dunne Tuch goss, das ihm als Filter diente. Wahrend Daniel den verschiedenen Teilen des Instruments noch den letzten Schliff gab, hatten sie so gemeinsam unendlich viele Proben vorgenommen! Davon zeugten spater all die Fichten- und Ahornholzer, die sie beide, sobald sie trocken waren, pruften und leicht an ihnen schabten, bis ihnen durch die Erfahrung des Geigenbauers, und nicht die des Musikers, die Auswahl der geeigneten, von winzigen Details abhangigen Mischung gelungen war, von deren genauer Zusammensetzung Bronislaw nichts verstand. Zuletzt hatte er ihm geholfen, die Saiten aufzuziehen, und ihren Klang ausprobiert.

Er sah seinen Freund an und stellte fest, dass dieser, nachdem die Euphorie voruber war, muder wirkte als sonst: »Lass dich bitte jetzt nicht gehen!« Es war hochste Zeit, dass er sich ausruhte, denn er hatte dunkle Ringe unter den Augen und war extrem blass. Bronislaw wurde versuchen, ihm ein paar Essensreste aus der Kuche mitzubringen, obwohl sie jetzt streng beaufsichtigt wurden.

An diesem Abend verabschiedeten sie sich trotz allem zufrieden, und Daniel wurde hoffentlich die Nacht durchschlafen konnen, nachdem ihn die Angst wegen der ungewissen Frist nicht langer qualte und er sich wenigstens sicher sein konnte, nicht Raschers eiskalten Fesseln ausgeliefert zu werden.

Es lag kein Nebel, und die Spitze eines kleinen Sterns blinkte.

VIII

SO WIE IN DEN WALDERN,

RAFFT DIE ERSTE KALTE

DES HERBSTES

DIE BLATTER HINWEG.

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