Chr.) baute er den kleinen Stadtstaat Babylon zu einem Flachenstaat und zur fuhrenden Macht in Mesopotamien aus. Die Erlasse an seine Stadthalter in Nord- und Sudbabylonien bezeugen Energie und Umsicht eines Herrschers, der die von den Akkadern konzipierte Vergottlichung des Konigtums ablehnt.
Ob der vielseitige und weitsichtige Konig auch ohne seinen Gesetzeskodex, der 1902 auf einer Dioritstele in Susa gefunden wurde, zu einem der bedeutendsten altorientalischen Herrscher geworden ware, steht freilich dahin. Der in Keilschrift verfasste und vollstandig erhaltene »Codex Hammurabi«, Dokument der Sorge und Fursorge des Konigs um Leben und Eigentum seiner Untertanen, gilt auch heute noch als das beruhmteste Gesetzeswerk der vorromischen Antike.
Sie brauchen nicht nach Paris, in das »Seinebabel« zu reisen, um einen Blick auf die Steinstele mit den Gesetzen zu werfen. Sie konnen im Bannkreis des Ischtar-Tors bleiben, denn eine Kopie befindet sich im Pergamon-Museum in Berlin. Ein Flachrelief uber dem Text zeigt an, wie der Gro?konig die Gesetze von dem Gott Schamasch entgegennimmt.
Aus heutiger Sicht fallt es allerdings schwer, das hier kodifizierte Talionsrecht als Reform zu bezeichnen. Moglicherweise ist es aber in seiner - zuvor extrem martialischen - Auslegung abgeschwacht worden.
Nachdenklich stimmt auch der Vergleich mit der Rechtspraxis der Hethiter, die zwei Jahrhunderte spater die Dynastie Hammurabis ausloschen werden. Die hethitische Kultur zeichnete sich durch eine auffallende Milde aus. Das alte Talionsprinzip nach dem Grundsatz »Auge um Auge, Zahn um Zahn«, das im ganzen Orient galt, war hier bereits vollstandig uberwunden.
Ihr feinsinniges Rechtssystem, das eine in der Antike einzigartige und dem Orient sonst eher fremde Achtung vor dem Individuum offenbart, hat die Hethiter naturlich nicht daran gehindert, aus ihren Kerngebieten an den Flussen Halys und Chabur heraus aktive Eroberungspolitik zu betreiben. Ihr Konigreich Hatti erstreckte sich um die Hauptstadt Hattusa herum in Zentralanatolien, aber zwischen dem 17. und 13. Jahrhundert v. Chr. verschoben sich seine Grenzen standig. Zeitweilig reichte es bis nach Syrien, zum Schwarzen Meer und zur Agais.
Der Zugriff auf Babylon erfolgte 1530 v. Chr. unter dem hethit-ischen Konig Mursili. Nach der Einnahme plunderten die Hethiter die Stadt und setzten sie dann in Brand. Aber die Eroberung brachte ihnen kein Gluck. Einige Zeit nach der Ruckkehr wurde Mursili ermordet, und die hethitische Politik wurde durch Machtkampfe zwischen rivalisierenden Zweigen der koniglichen Familie geschwacht.
Der Uberfall der Hethiter hatte ausgereicht, um das altbabylonische Reich zu Fall zu bringen. Jahrhunderte hindurch herrschten nun im Gebiet Babylons die Kassiten, kriegerische Halbnomaden aus den iranischen Bergen. Um 900 v. Chr. gelang es dann den Assyrern, deren Zentrum Assur schon seit einem Jahrtausend Drehscheibe des Handels gewesen war, ein neues Gro?reich aufzubauen und die Vormacht im Alten Orient zu ubernehmen. Das glanzende, luxuriose, mondane Ninive am Oberlauf des Tigris loste das traditionsreiche Assur als Metropole ab.
Die Armeen der wegen ihrer beispiellosen Brutalitat beruchtigten Assyrer verfugten uber Streitwagen, Fu?soldaten, Reiter und auch schon uber die neuen Eisenwaffen. Ihre Feinde terrorisierten sie mit Massenhinrichtungen und Verschleppungen. Die Strafen waren barbarisch, von Zwangsarbeit zum Ausbau der Stadte und ihrer Riesenpalaste angefangen.
In der Regierungszeit von Assurbanipal (668 - 627 v. Chr.) eroberten die Assyrer auch Teile Agyptens, darunter die Pharaonenhauptstadt Theben mit dem Tempel von Karnak. Dies war die gro?te Ausdehnung des Reiches, aber damit hatten sich die Assyrer ubernommen. 612 v. Chr. sturmten Meder und Babylonier gemeinsam die Hauptstadt Ninive.
Die beruhmte Bibliothek von Ninive bewahrt das andere Antlitz der assyrischen Herrschaft. Konig Assurbanipal, der sie ab 650 v. Chr. erbauen lie?, war aufgeschlossen fur Literatur und Wissenschaft. Ohne seine Initiative mussten viele Dokumente aus der fruhen mesopotamischen Geschichte als verloren gelten. Unter den 25 000 Keilschrifttafeln des Archivs von Ninive findet sich auch das Gilgamesch-Epos.
Nach der Zerschlagung des assyrischen Imperiums setzten die sudmesopotamischen Chaldaer die Gro?machtpolitik ihrer Vorganger fort. Nebukadnezar II., der das Neubabylonische Reich grundet und den gesamten Nahen Osten von der Euphrat-Mundung bis zum Mittelmeer beherrscht, wird zum bedeutendsten Feldherrn und Staatsmann seiner Epoche.
Seinen guten Ruf hat er dennoch nicht retten konnen. Das liegt vor allem an der Bibel. Massendeportationen und Umsiedlungen gro?er Menschengruppen gehorten zwar sowohl bei den Assyrern als auch bei den Babyloniern zum Herrschaftssystem, und allein in assyrischer Zeit sollen viereinhalb Millionen Menschen verschleppt worden sein. Aber dass Nebukadnezar nach der Eroberung Jerusalems 587 v. Chr. nicht nur den Salomon-Tempel zerstorte und ausraubte, sondern auch die Angehorigen der judischen Oberschicht als Geiseln mitnahm, hat ihm die Geschichte nicht verziehen. Ausfuhrlich halt die Bibel im Buch Daniel das Sundenregister Nebukadnez-ars fest und beschreibt die »Babylonische Gefangenschaft« des Volkes Israel, das sich seiner Religion beraubt fuhlte und sich nun damit wehrte, die eigenen Uberlieferungen schriftlich festzuhalten.
Auch die geheimnisvolle Hand, die bei einem wusten Ess- und Trinkgelage des Nebukadnezar-Nachkommen Belsazar in Erscheinung tritt und ratselhafte Worte an die Wand schreibt, wird im Alten Testament erwahnt. Wahrend die einheimischen Gelehrten bei der Deutung des
»Belsazar ward aber in selbiger Nacht / von seinen Knechten umgebracht«, notiert Heinrich Heine lakonisch und endgultig.
Babylon aber darf noch einmal eine schmale Zeit glanzen. Ne-bukadnezar hat die Stadt wieder gro?er und prachtiger ausbauen, neue Kanalsysteme und gewaltige Stadtmauern errichten lassen. Ihre Lange schatzte der Babel-Spezialist Koldewey auf etwa 18 Kilometer und blieb damit deutlich hinter den Angaben der meisten antiken Autoren zuruck. Man vermutet heute, dass sie eine zweite babylonische »Mauer« einrechneten, eine Art Schutzwall von nachweislich etwa funfzig Kilometern Lange, die nordlich der Stadt zwischen den Flussen Euphrat und Tigris verlief und so den Zugang aus dieser Richtung abriegelte.
Allein das Zentrum der altorientalischen Metropole, die Jahrtausende lang als gro?te Stadt der Welt galt und in der zwischen 50 000 und 80 000 Menschen gelebt haben, nahm einst mehr als zweieinhalb Quadratkilomer ein. Die Ummauerung konnte eine Hohe von bis zu drei?ig Metern erreicht haben. Angesichts der riesigen Flache der Ruinenstatte und der Dichte der archaologischen Schichten war an eine vollstandige Ausgrabung Babylons nie zu denken.
Auch der legendare Hochtempel des Stadtgottes Marduk, gewisserma?en der spatbabylonische Anteil am Turmbau-Mythos, entsteht unter Nebukadnezar neu. Mit insgesamt sieben ubereinander gestellten Plattformen uberragt er das Zwischenstromland. Und ein weiterer Mythos darf sich entfalten, der es sogar bis in die offizielle Liste der antiken Weltwunder schafft. Es sind die Hangenden Garten der Semiramis, von denen mehrere Autoren der Spatantike uberschwanglich berichten.
Die Bibel allerdings schweigt sich daruber aus. Auch zeitgenossische Quellen oder eindeutige archaologische Funde sind nicht vorhanden. Wahrscheinlich handelt es sich um die begrunten Terrassen babylonischer Hochbauten oder um eine im Konigspalast versteckte Park- und Blumenlandschaft. Auf jeden Fall aber um eine weitere schone Spatblute des mythischen Babylon.
Als letzter Konig des Neubabylonischen Reiches unterliegt Na-bonid 539 v. Chr. dem Perserkonig Kyros II. Ihm verdanken die Juden die Befreiung aus der Gefangenschaft und die Ruckkehr in ihr Land. Viele der Geiseln, darunter erfolgreiche Kauf- und Geschaftsleute, verbleiben aber in Babylon, das nun fur anderthalb Jahrtausende ein bluhendes Zentrum judischer Kultur wird.
Gehen Sie nicht nach Babylon. Dort finden Sie nur Ruinen. Und einen zweifelhaften Archaologiepark, mit dem sich der prestigesuchtige irakische Diktator Saddam Hussein als neuer Ne-bukadnezar feiern lassen wollte. Diese Nachbauten konnen zwar ein Bild von den einstigen Dimensionen vermitteln, gefahrden aber die antiken Mauerreste und blockieren weitere Untersuchungen.
Gehen Sie lieber noch einmal durch das Ischtar-Tor in Berlin. Und bewundern Sie, bevor Sie sich verabschieden, die Tierfiguren, die die babylonischen Gotter darstellen. Am besten nehmen Sie die Lowen, die einst die 230 Meter lange Prozessionsstra?e der untergegangenen Metropole geschmuckt haben. Schon 1902 konnte der erste Babel-Ausgraber Robert Koldewey einen von ihnen aus den glasierten Ziegelfragmenten, die er in den Ruinen Babylons gefunden hatte, rekonstruieren.
Seither haben die makellos komponierten blau-gelben Mosaiken der Raubtiere Millionen Menschen aus aller