Die vier Reiter mu?ten, obgleich es noch nicht weit uber Mittag war, doch heute schon eine bedeutende Strecke zuruckgelegt haben und nicht nur uber weiches Grasland gekommen sein, denn sie und ihre Pferde waren tuchtig mit Staub bedeckt. Dennoch sah man weder ihnen noch den Tieren eine Ermudung an. Fuhlten sie sich ja abgespannt, so hatte man dies nur aus dem Schweigen, welches sie beobachteten, zu schlie?en vermocht. Dieses wurde zuerst von dem neben Old Shatterhand reitenden Hobble-Frank unterbrochen, welcher seinen Nachbar im heimischen Dialekte fragte:»Also am Elk-fork soll heute ubernachtet werden? Wie weit ist es denn eigentlich noch dortenhin?«
«Wir werden dieses Wasser gegen Abend erreichen, «antwortete der Gefragte.
«Gegen Abend erscht? O wehe! Wer soll das aushalten! Wir sitzen nu schon seit fruh im Sattel. Eenmal mussen wir doch anhalten, um wenigstens die Pferde verschnaufen zu lassen. Meenen Se nich ooch?«
«Allerdings. Warten wir, bis wir diese Prairie hinter uns haben; dann gibt es eine Strecke Wald, wo auch ein Wasser flie?t.«
«Schon! Da bekommen die Pferde zu trinken und Gras finden sie ooch derzu. Was aber finden denn wir? Gestern gab's das letzte Buffelfleesch und heute fruh die Knochen. Seitdem is uns keen Sperling und keen sonstiges Wild vor die Flinte gekommen; ich habe also Hunger und mu? bald etwas zu knuspern haben, sonst geh' ich zu Grunde.«
«Habe keine Sorge! Ich werde schon einen Braten besorgen.«
«Ja, aber was fur eenen! Diese alte Wiese hier is so eensam; ich glob, es leeft keen Kafer drof herum. Wo soll denn da een anstandig hungriger Westmann nur den Braten herbekommen!«
«Ich sehe ihn schon. Nimm einmal mein Pferd am Zugel und reite mit den andern langsam weiter.«
«Wirklich?«fragte Frank, indem er sich kopfschuttelnd rundum blickte.»Sie sehen den Braten schon? Ich verschpure aber gar nischt Derartiges.«
Er nahm den Zugel von Old Shatterhands Pferd und ritt mit Davy und Jemmy weiter. Der erstgenannte aber ging seitwarts ab, wo man eine Menge von Hugeln im Grase liegen sah. Dort gab es eine Kolonie von Prairiehunden, wie die amerikanischen Murmeltiere wegen ihrer klaffenden Stimme genannt werden. Sie sind harmlose, unschadliche und sehr neugierige Geschopfe und wohnen sonderbarerweise gern mit Klapperschlangen und Eulen beisammen. Wenn sich ihnen jemand naht, so richten sie sich auf, um ihn anzuaugen; dabei gibt es sehr possierliche Stellungen und Bewegungen. Schopfen sie Verdacht, so tauchen sie blitzschnell in ihre Rohren nieder und sind nicht mehr zu sehen. Der Jager, wenn er einen andern Brocken bekommen kann, verschmaht das Fleisch dieser Tiere, nicht etwa aber, weil es ungenie?bar ist, sondern weil er ein Vorurteil gegen dasselbe hat. Will er trotzdem einen Prairiehund erlegen, so darf er nicht versuchen, sich heimlich anschleichen zu konnen, denn diese Geschopfe sind zu aufmerksam, als da? ihm dies gelingen konnte. Er mu? ihre Neugierde erwecken und so lange zu fesseln suchen, bis er in Schu?weite gekommen ist. Das kann er aber nur dadurch erreichen, da? er selbst auch die lacherlichsten Stellungen annimmt und die possierlichsten Bewegungen macht. Der Prairiehund wei? dann nicht, woran er ist und was er von dem Nahenden zu halten hat. Das wu?te Old Shatterhand. Er machte also, sobald er bemerkte, da? er von den auf ihren Haufen sitzenden Tieren bemerkt worden war, allerlei Kreuz- und Quersprunge, duckte sich nieder, fuhr wieder hoch empor, drehte sich um sich selbst, bewegte die Arme wie die Flugel einer Windmuhle und hatte dabei nur den Zweck im Auge, immer naher zu kommen.
Hobble-Frank, welcher jetzt neben Jemmy und Davy ritt, sah dieses Gebaren und meinte in besorgtem Tone:»Herrjemersch nee, was fallt ihm denn da ein! Is er etwa nich bei Troste? Er thut doch ganz so, als ob er Bellamadonna getrunken hatte!«
«Belladonna meinst du wohl, «verbesserte Jemmy.
«Schweig!«gebot der Kleine.»Belladonna hat gar keenen Sinn. Es hee?t Bellamadonna; das mu? ich, der ich in Moritzburg geboren bin, doch wissen. Dort wachst die Bellamadonna wild im Walde, und ich habe sie wohl tausendmal schtehen sehen. Horcht! Er schie?t.«
Old Shatterhand hatte jetzt zwei Schusse so schnell hintereinander abgefeuert, da? sie fast wie einer klangen. Sie sahen ihn eine Strecke aufwarts rennen und sich zweimal bucken, um etwas aufzuheben. Dann kam er zu ihnen zuruck. Er hatte zwei Prairiehunde erlegt, steckte sie in die Satteltasche und stieg dann wieder auf. Hobble-Frank machte ein sehr zweifelhaftes Gesicht und fragte im Weiterreiten:»Soll das etwa der Braten sein? Da dank ich ganz ergebenst!«
«Warum?«
«Solch Zeug verzehr' ich nich!«
«Hast du es denn schon einmal gekostet?«
«Nee! Das ist mir nich im Troome eingefallen!«
«So hast du auch kein Urteil daruber, ob ein Prairiehund genie?bar ist oder nicht. Hast du vielleicht einmal eine junge Ziege gegessen?«
«Een junges Zikkel?«antwortete Frank, indem er mit der Zunge schnalzte.
«Naturlich habe ich das gegessen. Horen Sie, das is was ganz und gar Apartes!«
«Wirklich?«lachelte Old Shatterhand.
«Off Ehre! Eene Delikatesse, die wirklich ihresgleichen sucht.«
«Und Tausende lachen daruber!«
«Ja; aber diese Tausende sind dumm. Ich sage Ihnen, wir Sachsen sind helle und verschtehen uns off impragnierte Genusse wie keene andre europaische Nation. Een junges Zikkel in die Pfanne, eene kleene Zehe Knobloch und een paar Schtengeln Majoran hinein und das recht braun und knusperig gebraten, das is Sie een wahres Gotteressen fur die Herren und Damen des Olymps. Ich kenne das, denn so um Ostern 'rum, wenn's junge Ziegen gibt, da i?t ganz Sachsen Sonn- und Feiertags nur Zikkelbraten.«
«Sehr wohl! Aber sage mir, ob du auch schon einmal Lapin gegessen hast!«
«Lapang? Was ist denn das?«
«Zahmer Hase, Kuhhase oder Karnickel, wie ihr in Sachsen sagt. Eigentlich hei?t es Kaninchen.«
«Karnickel? Alabonnor! Das ist ooch etwas ganz Expansives. In Moritzburg und Umgegend gab's meiner Zeit zur Kirchweih schtets Karnickel. Das Fleesch is zart wie Butter und zerleeft eenem geradezu off der Zunge.«
«Es gibt aber viele, welche dich auslachen wurden, wenn du ihnen dies sagtest.«
«So sind sie nicht recht gescheit im Koppe. So een Karnickel, welches nur die besten und feinsten Krauterspitzen fri?t, mu? een durchaus obligates Fleesch haben; das verschteht sich ganz von selbst. Oder glooben ooch Sie es nich?«
«Ich glaube es; aber dafur verlange ich, da? du mir nun auch meinen Prairiehund nicht schandest. Du wirst sehen, da? er gerade wie junge Ziege und fast wie Kaninchen schmeckt.«
«Davon hab' ich noch nie etwas gehort!«
«So hast du es heute gehort und wirst es auch schmecken. Ich sage dir, da? — halt, sind das nicht Reiter, welche dort kommen?«
Er deutete nach Sudwest, wo eine Anzahl Gestalten sich bewegten. Sie waren noch so entfernt, da? man noch nicht zu unterscheiden vermochte, ob es Tiere, vielleicht Buffel, oder Reiter seien. Die vier Jager ritten langsam weiter und hielten die Augen auf diese Gruppe gerichtet. Nach einiger Zeit erkannte man, da? es Reiter seien, und bald darauf zeigte es sich, da? dieselben Uniformen trugen; es waren Soldaten.
Diese hatten eigentlich eine nordostliche Richtung eingehalten; nun aber sahen sie die vier und anderten ihren Kurs, um im Galopp heranzukommen. Es waren ihrer zwolf, von einem Lieutenant angefuhrt. Sie naherten sich bis auf vielleicht drei?ig Schritte und blieben da halten. Der Offizier musterte die vier Reiter mit finsterem Blicke und fragte dann:»Woher des Weges, Boys?«
«Alle Wetter!«brummte Hobble-Frank.»Wollen wir uns wirklich mit» Boys «anreden lassen? Dieser Kerl mu? doch sehen, da? wir den bessern Schtanden angehoren!«
«Was gibt's zu flustern!«rief der Lieutenant in strengem Tone.»Ich will wissen, woher ihr kommt!«
Frank, Jemmy und Davy sahen auf Old Shatterhand, was dieser thue oder sagen werde. Er antwortete in ruhigstem Tone:»Aus Leadville.«
«Und wohin wollt ihr?«
«Nach den Elk Mountains.«
«Das ist eine Luge!«
Old Shatterhand trieb sein Pferd an, bis es neben demjenigen des Offiziers stand, und fragte noch immer in demselben ruhigen Tone:»Habt Ihr einen Grund, mich Lugner zu nennen?«
«Ja!«