beherrschen und ihre Kugeln nach allen Richtungen zu senden. Zweihundert Rote gegen vier oder hochstens sechs Wei?e! Der Sieg der ersteren war gewi?. Aber wie sollten sie ihn gewinnen? Etwa die Felsen sturmen? Es war vorauszusehen, da? dabei viele Indianer fallen wurden. Der Rote ist, wenn es sein mu?, tapfer, kuhn, ja sogar verwegen; aber wenn er sein Ziel durch List und ohne Gefahr zu erreichen vermag, so fallt es ihm nicht ein, sein Leben auf das Spiel zu setzen. Der Hauptling rief also durch einen Pfiff seine Unteranfuhrer zu sich, um sich mit ihnen zu beraten.

Das Resultat dieser Beratung war sehr bald zu sehen oder vielmehr zu horen. Es ertonte vom Rande der Lichtung her eine laute Stimme. Da der freie Platz hochstens funfzig Schritte breit war und die Entfernung zwischen den Felsen und der Stelle, an welcher diese Stimme erscholl, also nur die Halfte, funfundzwanzig Schritte, betrug, so konnte man jedes Wort deutlich vernehmen. Es war der Hauptling selbst, welcher, an einem Baum stehend, heruberrief:»Die Bleichgesichter sind von vielen roten Kriegern umringt, sie mogen herunterkommen!«

Das war so naiv, da? gar keine Antwort gegeben wurde. Der Rote wiederholte die Aufforderung noch zweimal und fugte, als er auch da noch keine Erwiderung fand, hinzu:»Wenn die wei?en Manner nicht gehorchen, werden wir sie toten.«

Darauf antwortete nun Old Shatterhand:»Was haben wir den roten Kriegern gethan, da? sie uns umringt haben und uberfallen wollen?«

«Ihr seid die Hunde, welche unsre Manner getotet und unsre Pferde geraubt haben.«

«Du irrst. Nur zwei dieser Rauber sind hier; sie kamen kurz vorher zu uns, und als ich ahnte, da? sie die Feinde der Utahs sind, habe ich sie niedergeschlagen. Sie sind nicht tot; sie werden bald wieder erwachen. Wenn ihr sie haben wollt, so holt sie euch.«

«Du willst uns hinuberlocken, um uns zu toten!«

«Nein.«

«Ich glaube dir nicht.«

«Wer bist du? Wie ist dein Name?«

«Ich bin Ovuts-avaht, der Hauptling der Utahs.«

«Ich kenne dich. Der» gro?e Wolf «ist stark vom Korper und vom Geiste. Er ist der Kriegsherr der Yampa- Utahs, welche tapfer und gerecht sind und den Unschuldigen nicht die Sunden des Schuldigen entgelten lassen werden.«

«Du redest wie ein Weib. Du jammerst um dein Leben. Du nennst dich unschuldig, aus gro?er Angst vor dem Tode. Ich verachte dich. Wie lautet dein Name? Es wird der Name eines alten, blinden Hundes sein.«

«Ist der» gro?e Wolf «nicht selber blind? Er scheint unsre Pferde nicht zu sehen. Haben diese etwa den Utahs gehort? Es ist ein Maultier dabei. Ist es ihnen gestohlen worden? Wie kann der» gro?e Wolf «uns fur Pferdediebe halten? Er sehe doch meinen Rapphengst an! Haben die Utahs jemals ein solches Pferd besessen? Es ist von dem Blute, welches nur fur Winnetou, den Apachenhauptling, und seine Freunde gezuchtet wird. Mu? der» gro?e Wolf «nicht daraus ersehen, da? ich ein Freund dieses beruhmten Mannes bin? Darf er mich da der Angst und Feigheit zeihen? Die Krieger der Utahs mogen horen, ob mein Name der eines Hundes ist. Die Bleichgesichter hei?en mich Old Shatterhand; in der Sprache der Utahs aber werde ich Pokai-mu, die» totende Hand«, genannt.«

Der Hauptling antwortete nicht gleich wieder, und die jetzt eingetretene Stille wahrte einige Minuten. Das war ein sicheres Zeichen, da? der Name des Jagers Eindruck gemacht hatte. Erst nach der angegebenen Zeit war die Stimme des» gro?en Wolfes «wieder zu vernehmen:»Das Bleichgesicht gibt sich fur Old Shatterhand aus; wir aber glauben seiner Versicherung nicht. Er wei?, da? dieser gro?e, wei?e Jager von allen roten Mannern hoch geachtet wird und nimmt dessen Namen an, um uns zu tauschen und dem Tode zu entgehen. Wir erkennen aus seinem Verhalten, da? ihm dieser Name nicht gehort.«

«Wieso?«fragte der Jager.

«Old Shatterhand kennt keine Furcht; dir aber hat die Angst den Mut benommen, dich uns zu zeigen.«

«Ware das wahr, so besa?en die Krieger der Utahs noch mehr Angst als ich. Ich lasse mich nicht sehen, und ihr zahlt viele, viele Bewaffnete; sie aber verstecken sich, und du mit ihnen, vor nur vier Mannern. Wer hat da gro?ere Furcht, ich oder ihr? Ubrigens will ich dir beweisen, da? ich keine Bangigkeit kenne. Ihr sollt mich sehen.«

Er trat aus seinem Verstecke hervor, stieg auf den hochsten Punkt des Felsen, blickte langsam rundum und stand so frei und unbesorgt da oben, als ob es nicht ein einziges Gewehr gebe, dessen Kugel ihn zu treffen vermoge.

«Ing Pokai-mu, ing Pokai-mu, howgh!«erklangen mehrere laute Stimmen —»er ist die» totende Hand«, er ist die» totende Hand«, gewi?!«

Das waren Leute, welche ihn kannten, weil sie ihn gesehen hatten. Er blieb furchtlos stehen und rief dem Hauptlinge zu:»Hast du das Zeugnis deiner Krieger vernommen? Glaubst du nun, da? ich Old Shatterhand wirklich bin?«

«Ich glaube es. Dein Mut ist gro?. Unsre Kugeln treffen viel, viel weiter als zu dir. Wie leicht kann eins unsrer Gewehre losgehen!«

«Das wird nicht geschehen, denn die Krieger der Utah sind tapfre Helden, aber keine Morder. Und wenn ihr mich totet, so wurde mein Tod schwer an euch geracht werden.«

«Wir furchten keine Rache!«

«Sie wurde euch ereilen und auffressen, ohne zu fragen, ob ihr euch vor ihr furchtet. Ich habe den Wunsch des» gro?en Wolfes «erfullt und mich ihm gezeigt. Warum bleibt er noch im Verborgenen? Hat er noch Angst oder halt er mich fur einen Meuchelmorder, der ihn toten will?«

«Der Hauptling der Utahs hat keine Sorge. Er wei?, da? Old Shatterhand nur dann zur Waffe greift, wenn er angegriffen wird, und wird sich ihm zeigen.«

Er trat hinter dem Baume hervor, so da? seine gro?e Gestalt vollstandig zu sehen war.

«Ist Old Shatterhand nun zufrieden?«fragte er.

«Nein.«

«Was verlangt er noch?«

«Ich will mit dir in gro?erer Nahe sprechen, um eure Wunsche bequemer zu erfahren. Komm also naher herbei, bis zur Halfte der jetzigen Entfernung; ich werde vom Felsen steigen und dir entgegengehen. Dann setzen wir uns, wie es wurdigen Kriegern und Hauptlingen geziemt, nieder, um zu beraten.«

«Willst du nicht lieber zu uns kommen?«

«Nein; es soll der eine den andern dadurch ehren, da? sie einander gleichweit entgegenkommen.«

«Dann wurde ich mit dir auf der freien Lichtung sitzen und den Schussen deiner Leute ohne Schutz ausgesetzt sein.«

«Ich gebe dir mein Wort, da? dir nichts geschehen soll. Sie werden nur dann schie?en, wenn deine Krieger mir eine Kugel senden. Dann warest du freilich verloren.«

«Wenn Old Shatterhand sein Wort gibt, so darf man vertrauen; es gilt ihm ebenso heilig wie der gro?te Schwur. Ich werde also kommen. Wie wird der gro?e wei?e Jager bewaffnet sein?«

«Ich werde alle meine Waffen ablegen und hier zurucklassen; dir aber steht es frei, zu thun, was dir beliebt.«

«Der» gro?e Wolf «wird sich nicht dadurch schanden, da? er weniger Mut und Vertrauen zeigt. Komm also herab!«

Der Hauptling legte seine Waffen da, wo er stand, in das Gras und wartete dann auf Old Shatterhand.

«Sie wagen zu viel, «wurde dieser von Jemmy gewarnt.»Sind Sie wirklich der Uberzeugung, da? Sie es thun durfen?«

«Ja. Wenn der Hauptling vorher zuruckgetreten ware, um sich mit seinen Leuten zu beraten oder ihnen einen Befehl, einen Wink zu geben, so wurde ich freilich Verdacht schopfen. Da er das aber nicht gethan hat, so mu? ich ihm Vertrauen schenken.«

«Und was sollen wir inzwischen thun?«

«Nichts. Ihr legt, doch ohne da? man es unten bemerkt, die Gewehre auf ihn an und schie?t ihn sofort nieder, falls ich angegriffen werden sollte.«

Er stieg hinab und dann schritten die beiden langsam aufeinander zu. Als sie sich erreichten, hielt Old Shatterhand dem Hauptling die Hand hin und sagte:»Ich habe den» gro?en Wolf «noch nie gesehen, aber oft

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