Clifton wollte etwas entgegnen, hielt sich aber zuruck, als er Tobys Gesicht sah. Toby hatte Angst. Clifton wusste, dass Toby in Lokalen wie diesem schon fruher aufgetreten war, aber diesmal war es anders. Diesmal kam es drauf an.
Clifton sagte freundlich: »Wenn Sie die Biertrinker in die Tasche stecken, wird die Champagnerbande ein leichter Gegner fur Sie sein. Diese Leute arbeiten den ganzen Tag schwer, Toby. Wenn sie abends ausgehen, wollen sie etwas fur ihr Geld. Wenn Sie die zum Lachen bringen konnen, schaffen Sie's bei allen.«
In diesem Augenblick horte Toby, wie der gelangweilte Conferencier seinen Namen ankundigte.
»Zeig's ihnen, Tiger!« sagte O'Hanlon.
Toby machte sich auf den Weg.
Er stand auf der Buhne, auf der Hut und gespannt, schatzte das Publikum ab wie ein argwohnisches Tier, das im Wald Gefahr wittert. Das Publikum war ein Tier mit hundert Kopfen, mit hundert verschiedenen Kopfen; und er musste das Tier zum Lachen bringen. Er holte tief Atem. Liebt mich, betete er.
Er begann mit seiner Nummer.
Und niemand horte ihm zu. Keiner lachte. Toby fuhlte, wie ihm der Schwei? ausbrach. Die Nummer kam nicht an. Er behielt sein unechtes Lacheln bei und redete weiter, versuchte, den Larm und die Unterhaltung zu ubertonen. Er konnte ihre Aufmerksamkeit nicht auf sich lenken. Sie wollten wieder die nackten Weiber. Sie waren an zu vielen Sonnabendabenden zu vielen unbegabten, unkomischen Komikern ausgesetzt gewesen. Toby redete und redete, kampfte gegen ihre Gleichgultigkeit an.
Er machte weiter, weil es nichts gab, was er sonst hatte tun konnen. Er blickte hinuber zu Clifton Lawrence und den Jungs, sah, wie sie ihn besorgt beobachteten.
Toby fuhr fort. Es gab kein Publikum, nur Leute, die miteinander redeten, uber ihre Probleme und ihr Leben diskutierten. Was sie betraf, hatte Toby Temple ruhig eine Million Meilen weit weg sein konnen. Oder tot. Seine Kehle war jetzt trocken vor Furcht, und es fiel ihm schwer, die Worte auszusprechen. Aus dem Augenwinkel sah Toby den Manager zur Kapelle hinubergehen. Er wurde die Musik anfangen lassen und ihn endgultig mundtot machen. Es war alles vorbei. Tobys Handflachen waren nass, und seine Eingeweide rebellierten. Er konnte warmen Urin an seinem Bein hinunter rinnen fuhlen. Er war so nervos, dass er die Worte zu verdrehen begann. Er wagte nicht, Clifton Lawrence oder die Texter anzusehen. Er schamte sich zu sehr. Der Manager stand bei der Kapelle und sprach mit den Musikern. Sie warfen einen Blick zu Toby Temple hinuber und nickten. Toby machte weiter, redete verzweifelt, wunschte, dass es endlich vorbei ware, wollte irgendwohin rennen und sich verstecken.
Eine Frau mittleren Alters, die an einem Tisch direkt vor Toby sa?, kicherte uber einen seiner Witze. Ihre Begleiter verstummten, um zuzuhoren. Toby redete in wilder Aufregung weiter. Die anderen am Tisch horten jetzt ebenfalls zu, lachten. Dann der nachste Tisch.
Und der nachste. Und langsam ebbte die Unterhaltung ab. Sie horten ihm jetzt zu. Gelachter setzte ein, hielt an, wurde starker und wuchs. Und wuchs. Die Menschen im Raum wurden zu einem Publikum. Und er hatte sie im Griff. Er hatte sie gottverdammt im Griff! Es spielte keine Rolle mehr, dass er in einem billigen Saloon stand, vor einer Horde biertrinkender Sabbermauler.
Was eine Rolle spielte, war ihr Lachen und ihre Sympathie. Sie erreichte Toby in Wellen der Zuneigung. Zuerst brachte er sie zum Lachen, dann zum Brullen. Sie hatten noch nie so einen wie ihn gehort, weder in diesem kummerlichen Lokal noch sonstwo. Sie applaudierten, und sie jubelten ihm zu, und fast hatten sie das Lokal zu Kleinholz gemacht. Sie waren Zeugen der Geburt eines Phanomens. Naturlich konnten sie das nicht wissen. Aber Clifton Lawrence, O'Hanlon und Rainger wussten es. Und Toby Temple. Gott hatte sich endlich durchgesetzt.
Reverend Damian hielt die lodernde Fackel dicht vor Josephines Gesicht und schrie: »O allmachtiger Gott, brenne das Bose in diesem sundigen Kind aus«, und die Gemeinde brullte: »Amen!« Und Josephine fuhlte, wie die Flamme ihr ins Gesicht zungelte, und Reverend Damian schrie: »Hilf dieser Sunderin, den Teufel zu bannen, o Gott. Wir werden ihn hinausbeten, wir werden ihn hinausbrennen, wir werden ihn ertranken«, und Hande packten Josephine, und ihr Gesicht wurde in einen Zuber mit kaltem Wasser getaucht, und sie wurde niedergehalten, wah-
rend Stimmen in die Nachtluft emporstiegen, den Allmachtigen um Seine Hilfe anflehten. Josephine wand sich, um freizukommen, rang nach Atem, und als sie sie endlich halb bewusstlos herauszogen, erklarte Reverend Damian: »Wir danken Dir, su?er Jesus, fur Deine Gnade. Sie ist gerettet! Sie ist gerettet!« Und es herrschte gro?e Freude, und jeder war im Geiste erhoben. Nur Josephine nicht, deren Kopfschmerzen starker geworden waren.
10.
»Ich habe ein Engagement fur Sie in Las Vegas«, sagte Clifton Lawrence zu Toby. »Ich habe mit Dick Landry vereinbart, dass er mit Ihnen an Ihrer Nummer arbeitet. Er ist der beste Arrangeur, den es gibt.«
»Phantastisch! Welches Hotel? Das Flamingo? Das Thunderbird?«
»Das Oasis.«
»Das Oasis?« Toby blickte Cliff unglaubig an, er scherzte wohl. »Ich habe nie -«
»Ich wei?«, Cliff lachelte. »Sie haben nie davon gehort. Klar. Die haben auch nie von Ihnen gehort. Sie engagieren in Wirklichkeit nicht Sie – sie engagieren mich. Ihnen genugt mein Wort, dass Sie gut sind.«
»Keine Sorge«, versprach Toby. »Ich werde Sie nicht blamieren.«
Kurz vor seiner Abreise unterrichtete Toby Alice Tanner uber das Engagement in Las Vegas. »Ich wei?, dass du ein gro?er Star werden wirst«, sagte sie. »Deine Zeit ist gekommen. Sie werden dich anbeten, Darling.« Sie umarmte ihn und sagte: »Wann fahren wir, und was soll ich zur Premiere eines jungen Komiker-Genies anziehen?«
Toby schuttelte betrubt den Kopf. »Ich wunschte, ich konnte dich mitnehmen, Alice. Das dumme ist nur, dass ich Tag und Nacht arbeiten muss, um eine Menge neuer Texte zu proben.«
Sie versuchte, ihre Enttauschung zu verbergen. »Armer Toby.« Sie druckte ihn fester an sich. »Wie lange wirst du fortbleiben?«
»Ich wei? es noch nicht. Es ist kein zeitlich begrenztes Engagement.«
Es gab ihr einen leichten Stich, aber sie wusste, dass sie toricht war. »Ruf mich an, sobald du kannst«, sagte sie.
Toby kusste sie und sturmte zur Tur hinaus.
Es schien, als ware Las Vegas, Nevada, eigens zu Tobys Vergnugen geschaffen worden. Er spurte es, sowie er der Stadt ansichtig wurde. Sie hatte eine wunderbare kinetische Energie, auf die er ansprach, eine vibrierende Kraft, die der in ihm brennenden Kraft gleichkam. Toby flog mit O'Hanlon und Rainger hin, und als sie landeten, wartete eine Limousine vom Hotel Oasis auf sie. Es war Tobys Vorgeschmack auf eine wundervolle Welt, die bald die seine sein sollte. Er genoss es, sich in dem riesigen schwarzen Wagen zuruckzulehnen und vom Chauffeur gefragt zu werden: »Hatten Sie einen guten Flug, Mr. Temple?«
Es sind immer die kleinen Leute, die einen Erfolg riechen konnen, noch ehe er sich einstellt, dachte Toby.
»Es war wie ublich langweilig«, antwortete Toby lassig. Er fing das Lacheln auf, das O'Hanlon und Rainger tauschten, und grinste zuruck. Er fuhlte sich ihnen sehr verbunden. Sie waren alle ein Team, das gottverdammt beste Team im Showgeschaft.
Das Oasis lag abseits des glanzvollen Strip, weit weg von den beruhmteren Hotels. Als die Limousine sich dem Hotel naherte, sah Toby, dass es nicht so gro? oder so modisch war wie das Flamingo oder das Thunderbird, aber es hatte etwas Besseres, etwas viel Besseres. Es hatte eine riesige Tafel uber dem Hoteleingang, auf der stand:
AB 4. SEPTEMBER LILI WALLACE TOBY TEMPLE
Tobys Name war in Leuchtbuchstaben angebracht, die drei?ig Meter hoch zu sein schienen. Kein Anblick in der ganzen gottverdammten Welt war so schon wie dieser.
»Schauen Sie sich das an!« sagte er ehrfurchtig.
O'Hanlon warf einen Blick auf die Tafel und sagte: »Nanu? Lili Walla-ce!« Und er lachte. »Nach der Premiere werden Sie hoffentlich an erster Stelle stehen.«