Er streichelte Catherines Arm, und es lief ihr kalt den Rucken hinunter, genau wie es in den Buchern stand. Vielleicht wurde sie nach dieser Nacht einen Leitfaden uber Sex fur all die armen dummen Jungfern schreiben, die nichts vom Leben wussten. Nach dem zweiten Drink begann Catherine, sie zu bemitleiden.

»Es ist ein Jammer.«

»Was ist ein Jammer?«

Wieder hatte sie laut gesprochen. Sie beschloss, dreist zu sein. »Ich bedauerte alle Jungfrauen in der Welt«, sagte sie.

Ron grinste Catherine an. »Darauf trinke ich einen Schluck.« Er hob sein Glas. Sie sah ihn dasitzen und offensichtlich ihre Gesellschaft genie?en. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Alles wurde gro?artig verlaufen. Er fragte, ob sie noch einen Drink haben wolle, aber Catherine lehnte ab. Sie wollte nicht alkoholisiert sein, wenn sie defloriert wurde. Defloriert? Gebrauchte man solche Worte heute noch? Ganz egal, sie wollte sich an jeden Augenblick, an jedes Gefuhl erinnern. Oh, mein Gott, sie hatte keinen Schutz! Ob er? Sicherlich wurde ein so erfahrener Mann wie Ron Peterson sich etwas uberziehen, damit sie nicht schwanger wurde. Und wenn er nun von ihr dasselbe erwartete? Wenn er etwa dachte, ein so erfahrenes Madchen wie Catherine Alexander wurde sicherlich etwas zu ihrem Schutz tragen? Ob sie ihn direkt darauf ansprechen konnte? Nein, eher sterben, hier am Tisch. Man konnte ihre Leiche dann wegtragen und ein feierliches chinesisches Begrabnis veranstalten.

Ron bestellte das Sechs-Gange-Menu fur $ 1,75, und Catherine tat so, als a?e sie es, aber es hatte genauso gut chinesische Pappe sein konnen. Sie wurde allmahlich so nervos, dass sie uberhaupt nichts schmecken konnte. Ihre Zunge war plotzlich trocken, und ihr Gaumen fuhlte sich seltsam erstarrt an. Wenn sie nun gerade einen Schlaganfall gehabt hatte? Sex nach einem Schlag, das wurde sie wahrscheinlich toten. Vielleicht sollte sie Ron warnen. Es wurde seinem Ruf schaden, wenn man in seinem Bett ein totes Madchen fande. Oder vielleicht wurde es ihn noch heben.

»Was ist los?« fragte Ron. »Du siehst blass aus.«

»Ich fuhle mich gro?artig«, sagte Catherine unbekummert.

»Ich bin ganz einfach nur sehr aufgeregt, weil ich mit dir zusammen bin.«

Ron sah sie beifallig an, seine braunen Augen nahmen jede Einzelheit ihres Gesichtes wahr, wanderten dann zu ihren Brusten und blieben da haften. »Mir geht es genauso«, erwiderte er.

Der Ober hatte abgeraumt, und Ron hatte bezahlt. Er sah sie an, aber Catherine konnte sich nicht bewegen.

»Mochtest du noch etwas?« fragte Ron.

Ich? O ja! Ich mochte auf einem Bummelschiff nach China sein. Ich mochte in einem Kannibalenkessel sitzen und zum Dinner gekocht werden. Ich mochte meine Mutter!

Ron beobachtete sie, wartete. Catherine holte tief Atem. »Ich – ich wusste nicht.«

»Gut.« Er dehnte die Silbe, lang und anhaltend, so dass sie ein Bett zwischen sie auf den Tisch zu stellen schien. »Gehen wir.« Er stand auf, und Catherine folgte. Das euphorische Gefuhl, das die Drinks hervorgerufen hatten, war vollkommen verschwunden, und ihre Beine begannen zu zittern.

Als sie drau?en in der milden Nachtluft waren, kam Catherine plotzlich ein Gedanke, der sie mit Erleichterung erfullte. Er wird mich heute Nacht nicht ins Bett nehmen. Die Manner tun das nie bei der ersten Verabredung. Er wird mich wieder zum Abendessen einladen, und das nachste Mal gehen wir zu Henrici, und wir werden uns besser kennen lernen. Wirklich kennen lernen. Und wahrscheinlich werden wir uns verlieben – wahnsinnig -, und er wird mich seinen Eltern vorstellen, und dann wird alles gut sein ... und ich werde dieses dumme Angstgefuhl nicht haben.

»Hast du ein besonderes Motel im Sinn?« fragte Ron.

Catherine starrte sprachlos zu ihm auf. Aus war's mit den Traumen von einem wohlerzogenen Musikabend bei seinen Eltern. Der Halunke plante, sie in einem Motel ins Bett zu nehmen! Nun, das wollte sie doch, oder nicht? War das nicht der Grund, weshalb sie diesen damlichen Zettel geschrieben hatte ?

Rons Hand lag jetzt auf Catherines Schulter, glitt ihren Arm hinunter. Sie spurte ein warmes Gefuhl in der Leistengegend. Sie schluckte und sagte: »Ein Motel ist wie das andere.«

Ron sah sie merkwurdig an, sagte aber nur: »O. K. Gehen wir.«

Sie stiegen in den Wagen und fuhren nach Westen. Catheri-nes Korper war zu Eis erstarrt, aber ihre Gedanken rasten. Das letzte Mal war sie als Achtjahrige in einem Motel gewesen, als sie mit ihrer Mutter und ihrem Vater uber Land gefahren war. Jetzt ging sie in eins, um mit einem Mann ins Bett zu gehen, der ihr vollig fremd war. Was wusste sie schon von ihm? Nur, dass er gut aussah, beliebt war und eine Nase fur leichte Eroberungen hatte.

Ron griff nach ihrer Hand. »Deine Hande sind kalt«, sagte er.

»Kalte Hande, hei?e Beine.« Oh, Jesus, dachte sie. Schon wieder. Aus irgendeinem Grund kam Catherine der Text von »Ah, Sweet Mystery of Life« in den Sinn. Nun, sie war dabei, das Geheimnis zu ergrunden. Sie war dabei herauszufinden, was alles bedeutete. Die Bucher, die scharfen Anzeigen, die kaum verschleierten Liebestexte – »Schaukle mich in der Liebeswiege«, »Mach's noch mal«, »Vogel tun's«. O. K., dachte sie. Jetzt wird Catherine es tun.

Ron bog nach Suden in die Clark Street ein.

Beiderseits der Stra?e leuchteten riesige flimmernde rote Neonschilder in die Nacht und schrieen ihre Angebote billiger und zeitweiliger Zufluchtsorte fur ungeduldige junge Liebespaare hinaus. »EASY REST MOTEL«, »OVERNIGHT MOTEL«, »COME INN«. (Das musste ein Freudsches Wortspiel sein!) »THE TRAVELLERS REST.« Der Mangel an Phantasie war erschutternd, andererseits aber waren die Besitzer solcher Etablissements wahrscheinlich zu sehr damit beschaftigt, Unzucht treibende junge Paare schnellstens ins Bett und wieder hinauszubefordern, als dass sie sich um eine gewahlte Ausdrucksweise Gedanken machen konnten.

»Das ist ungefahr das beste«, sagte Ron und wies auf ein Schild vor ihnen.

»PARADISE INN – VACANCY.«

Es war symbolisch. Im Paradies war eine Stelle frei, und sie, Catherine Alexander, wurde sie ausfullen.

Ron fuhr den Wagen in den Hof neben ein kleines wei? gekalktes Buro mit einem Schild: LAUTEN UND EINTRETEN. Der Hof bestand aus etwa zwei Dutzend nummerier-ten Holzbungalows.

»Wie sieht das aus?« fragte Ron.

Wie Dantes Inferno. Wie das Kolosseum in Rom, wenn die Christen den Lowen vorgeworfen werden sollten. Wie der Tempel von Delphi, wenn eine Vestalin aufs Kreuz gelegt werden sollte.

Catherine hatte wieder das prickelnde Gefuhl in ihrer Leistengegend. »Phantastisch«, sagte sie. »Einfach phantastisch.«

Ron lachelte wissend. »Ich bin gleich wieder da.« Er legte Catherine die Hand aufs Knie, glitt ihren Schenkel hoch, gab ihr einen schnellen, unpersonlichen Kuss, stieg aus und ging in das Buro. Sie blickte ihm nach und versuchte, an nichts zu denken.

In der Ferne horte sie eine Sirene heulen. Oh, mein Gott, dachte sie wutend. Eine Razzia! Die machen hier immer Razzien!

Die Tur des Buros offnete sich, und Ron trat heraus, einen

Schlussel in der Hand. Das naher kommende Sirenengeheul schien er nicht zu horen. Er kam zum Wagen, ging auf Catherines Seite und offnete die Tur. »Alles erledigt«, sagte er. Die Sirene war jetzt eine kreischende Todesfee, die auf sie hinunter stie?. Ob die Polizei sie verhaften konnte, blo? weil sie hier auf dem Hof waren?

»Komm«, sagte Ron.

»Horst du das nicht?«

»Was?«

Die Sirene fuhr an ihnen vorbei, heulte die Stra?e hinunter und entfernte sich. Verdammt! »Die Knulche«, sagte sie schwach.

Ein Ausdruck der Ungeduld trat auf Rons Gesicht.

»Wenn was nicht in Ordnung ist.« sagte er.

»Nein, nein«, unterbrach Catherine schnell. »Ich komme schon.« Sie stieg aus dem Wagen, und sie gingen auf einen der Bungalows zu. »Hoffentlich hast du meine Gluckszahl«, sagte sie frohlich.

»Was sagtest du?«

Catherine sah zu ihm auf und merkte plotzlich, dass kein Wort herausgekommen war. Ihr Mund war

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