Von Zeit zu Zeit sah Catherine Ron durch den Campus schlendern, immer mit einem anderen Madchen und manchmal mit zwei oder drei. Mein Gott, kriegt er's nicht endlich mal satt? fragte sie sich. Sie stellte sich immer noch vor, dass er eines Tages zu ihr kommen wurde, um sich in Latein von ihr helfen zu lassen, aber er sprach sie nie mehr an.

Nachts, einsam in ihrem Bett, dachte Catherine an all die anderen Madchen, die in den Armen ihrer Boyfriends lagen, und der Boy, der zu ihr kam, war stets Ron Peterson. In ihrer Vorstellung zog er sie aus, und dann zog sie ihn langsam aus, wie sie's immer in den Liebesromanen machten; zuerst sein Hemd, und dann strich sie ihm sanft uber die Brust, dann machte sie ihm die Hose auf und zog ihm die Shorts herunter. Er hob sie auf und trug sie zum Bett. Und hier pflegte Catheri-nes Sinn fur Komik die Oberhand zu gewinnen: Er verrenkte sich den Rucken und klappte zusammen, vor Schmerz stohnend und jammernd. Idiotin, sagte sie sich, du kannst es nicht mal in der Phantasie richtig machen. Vielleicht sollte sie ins Kloster gehen. Ob Nonnen auch sexuelle Vorstellungen hatten, und war es eine Sunde fur sie zu onanieren? Ob Priester je Geschlechtsverkehr hatten?

Sie sa? in einem kuhlen, von Baumen beschatteten Hof in einer reizenden alten Abtei au?erhalb Roms und platscherte mit den Fingern in dem Sonnen durch warmten Wasser eines uralten Fischteiches. Die Pforte offnete sich, und ein gro?er Priester betrat den Hof. Er trug einen breitrandigen Hut und eine schwarze Soutane und sah genau wie Ron Peterson aus.

Ah, scusi, signorina, sagte er leise, ich wusste nicht, dass ich einen Gast habe.

Catherine sprang schnell auf. Ich durfte eigentlich nicht hier

sein, entschuldigte sie sich. Aber es war so schon, dass ich mich setzen und es ganz in mich aufnehmen musste.

Sie sind hochst willkommen. Er trat auf sie zu, und seine dunklen Augen funkelten. Mm cara ... ich belog Sie.

Sie belogen mich?

Ja. Seine Augen bohrten sich in die ihren. Ich wusste, dass Sie hier waren, weil ich Ihnen nachging.

Sie fuhlte, wie sie innerlich bebte. Aber – aber, Sie sind Priester.

Bella signorina, ich bin zuerst ein Mann und dann ein Priester. Er sturzte vor, um sie in die Arme zu rei?en, stolperte uber den Saum seiner Soutane und fiel in den Fischteich.

Schei?e!

Ron Peterson kam jeden Tag nach den Vorlesungen ins Roost und nahm seinen Stammplatz in der Nische in der gegenuberliegenden Ecke ein. Die Nische fullte sich schnell mit seinen Freunden und wurde zum Mittelpunkt ausgelassener Unterhaltungen. Catherine stand hinter der Theke neben der Registrierkasse, und wenn Ron eintrat, nickte er ihr freundlich und abwesend zu und ging weiter. Er redete sie nie mit ihrem Namen an. Er hat ihn vergessen, dachte Catherine.

Aber jeden Tag schenkte sie ihm, wenn er hereinkam, ein breites Lacheln und wartete darauf, dass er Hallo sagte, sie um ein Rendezvous, ein Glas Wasser, ihre Jungfernschaft oder was immer bat. Sie hatte genauso gut ein Mobelstuck sein konnen. Wenn sie die anwesenden Madchen mit absoluter Objektivitat musterte, kam sie zu dem Schluss, dass sie hubscher war als alle, au?er einer, der phantastisch aussehenden Jean-Anne, der Blondine aus den Sudstaaten, mit der Ron am haufigsten gesehen wurde. Au?erdem war sie bestimmt intelligenter als alle zusammen. Was also um Himmels willen stimmte nicht mit ihr? Warum bat kein einziger Junge sie um ein Rendezvous? Die Antwort sollte sie am nachsten Tag erhalten.

Sie ging eilig durch den Campus zum Roost hinuber, als sie

Jean-Anne und eine Brunette, die sie nicht kannte, uber den Rasen auf sich zukommen sah.

»Ach, da ist ja Miss Geistreich«, sagte Jean-Anne.

Und Miss Dussel, dachte Catherine neidisch. Laut sagte sie: »Was fur ein morderisches Literatur-Quiz, nicht wahr?«

»Sei nicht so herablassend«, entgegnete Jean-Anne. »Du kannst genug, um den Literaturkurs abzuhalten. Und das ist noch nicht alles, was du uns beibringen konntest, nicht wahr, Su?e?«

Etwas in ihrem Ton trieb Catherine die Rote in die Wangen.

»Ich – ah – verstehe nicht.«

»Lass sie in Ruhe«, sagte die Brunette.

»Warum denn?« fragte Jean-Anne. »Fur wen zum Teufel halt sie sich eigentlich?« Sie wandte sich an Catherine. »Willst du wissen, was alle von dir sagen?«

Gott, nein. »Ja.«

»Du seiest eine Lesbierin.«

Catherine starrte sie unglaubig an. »Ich soll was sein?«

»Eine Lesbierin, Baby. Du tauschst niemanden mit deinem Heiligenschein-Getue.«

»Das – das ist lacherlich«, stammelte Catherine.

»Glaubtest du wirklich, du konntest die Leute zum Narren halten?« fragte Jean-Anne. »Fehlt blo? noch, dass du ein Schild um den Hals tragst.«

»Aber ich – ich habe nie«

»Die Jungs bringen ihn fur dich hoch, aber du lasst sie ihn nie reinstecken.«

»Wirklich«, platzte Catherine heraus.

»Hau ab«, sagte Jean-Anne. »Du bist nicht unser Typ.«

Sie gingen weiter, und sie sah ihnen wie betaubt nach.

In jener Nacht lag Catherine schlaflos im Bett.

Wie alt sind Sie, MISS Alexander?

Neunzehn.

Haben Sie je Geschlechtsverkehr mit einem Mann gehabt?

Noch nie.

Mogen Sie Manner?

Naturlich, wer mag sie nicht?

Haben Sie je das Verlangen gehabt, eine Frau zu lieben?

Catherine dachte lange und intensiv daruber nach. Naturlich war sie gelegentlich in andere Madchen verschossen gewesen, in Lehrerinnen, aber das war Teil ihrer Entwicklung gewesen. Jetzt uberlegte sie, wie es ware, mit einer Frau Zartlichkeiten auszutauschen, eng umschlungen, ihre Lippen auf die einer anderen Frau gepresst, ihr Korper von weichen, weiblichen Handen liebkost. Es schauderte sie. Nein! »Ich bin normal«, sagte sie laut. Aber wenn sie normal war, warum lag sie dann hier, allein? Warum war sie nicht irgendwo drau?en und lie? sich aufs Kreuz legen wie alle anderen in der Welt? Vielleicht war sie frigide. Vielleicht musste sie sich operieren lassen? Eine Leukotomie wahrscheinlich.

Als sich der Himmel im Osten hinter dem Schlafsaalfenster zu lichten begann, waren Catherines Augen immer noch offen, aber sie hatte einen Entschluss gefasst. Sie wurde ihre Jungfernschaft verlieren. Und der Gluckliche wurde der Hans Dampf in jedem Madchenbett sein – Ron Peterson.

Marseille-Paris

1919-1939

Sie wurde als Prinzessin geboren.

Ihre fruhesten Erinnerungen gingen auf eine wei?e, mit einem Spitzenhimmel versehene Korbwiege zuruck, die mit rosa Bandern verziert und mit weichen Stofftieren und schonen Puppen und goldenen Klappern gefullt war. Schnell merkte sie, dass, wenn sie den Mund auftat und aus Leibeskraften schrie, jemand eilends herbeikam, um sie zu halten und zu trosten. Als sie ein halbes Jahr alt war, fuhr ihr Vater sie im Kinderwagen in den Garten, lie? sie die Blumen anruhren und sagte: »Sie sind schon, Prinzessin, aber du bist schoner als alle von ihnen.«

Sie hatte es gern, wenn ihr Vater sie zu Hause in seinen starken Armen hochhob und an ein Fenster trug, wo sie hinausblicken und die Dacher der hohen Gebaude sehen konnte. Und dann sagte er immer: »Das ist dein Konigreich da drau?en, Prinzessin.« Er zeigte auf die Masten der in der Bucht vor Anker schaukelnden Schiffe. »Siehst du diese gro?en Schiffe? Eines Tages wirst du sie alle unter deinem Kommando haben.«

Gaste kamen manchmal ins Schloss, um sie zu sehen, doch nur wenigen war es erlaubt, sie zu halten. Die

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