»Und du hast nein gesagt?«
Ehe sie antworten konnte, hatte ihr Vater auch schon die Hand gehoben und ihr eine schallende Ohrfeige gegeben. Sie stand in unglaubiger Verbluffung da, die Ohren klangen ihr, und wie durch einen truben Nebel horte sie ihren Vater sagen: »Du dumme Gans! Es wird Zeit, dass du anfangst, auch mal an andere zu denken, du egoistisches kleines Luder!« Und er gab ihr wieder eine Ohrfeige.
Drei?ig Minuten spater stand ihr Vater am Rinnstein und sah Noelle und Monsieur Lanchon nach Vienne abfahren.
Das Hotelzimmer bestand aus einem gro?en Doppelbett, billigen Mobeln und einem Waschstander mit Becken in einer Ecke. Monsieur Lanchon war nicht der Mann, der sein Geld zum Fenster hinauswarf. Er gab dem Hotelpagen ein kleines Trinkgeld, und sobald der drau?en war, drehte Lanchon sich zu Noelle um und riss ihr die Kleider herunter. Er nahm ihre Bruste in seine hei?en, feuchten Hande und presste sie.
»Mein Gott, bist du schon«, sagte er keuchend. Er zog ihr Unterrock und Hoschen aus und stie? sie aufs Bett. Noelle lag bewegungslos, gleichgultig da, als stunde sie unter einem Schock. Auf der ganzen Fahrt hatte sie kein Wort gesprochen. Lanchon hoffte, sie war nicht krank. Er konnte es der Polizei oder, Gott verhute es, seiner Frau nicht erklaren. Hastig zog er sich aus, warf die Kleidungsstucke auf den Boden und stieg dann neben Noelle aufs Bett. Ihr Korper war noch herrlicher, als er erwartet hatte.
»Dein Vater sagt mir, du seiest noch nie gefickt worden.« Er grinste. »Nun, ich werde dir zeigen, wie ein Mann sich anfuhlt.« Er walzte seinen plumpen Leib auf sie und stie? ihr sein Organ zwischen die Beine. Er begann, immer starker zuzusto?en, drangte sich in sie. Noelle fuhlte nichts. In Gedanken horte sie, wie ihr Vater sie anbrullte. Du solltest dankbar sein, einen so freundlichen Herrn wie Monsieur Lanchon zu haben, der fur dich sorgen will. Du brauchst blo? nett zu ihm zu sein. Du wir st es fur mich tun. Und fur dich selbst. Die ganze Szene war ein Alpdruck gewesen. Sie war sicher, dass ihr Vater sie irgendwie missverstanden hatte, aber als sie erklaren wollte, hatte er sie wieder geschlagen und geschrieen: »Du wirst tun, was man dir sagt. Andere Madchen waren dankbar fur eine solche Chance.« Eine solche Chance. Sie blickte zu Lanchon auf, zu dem vierschrotigen hasslichen Korper, dem keuchenden Tiergesicht mit den Schweinsauglein. Das war also der Prinz, an den ihr Vater sie verkauft hatte, ihr geliebter Vater, der sie wie seinen Augapfel hutete und es nicht ertrug, dass sie sich an einen Unwurdigen verschwendete. Und die Steaks, die plotzlich auf dem Tisch erschienen waren, kamen ihr in den Sinn und die neuen Pfeifen ihres Vaters und sein neuer Anzug – und sie wollte sich ubergeben.
Es schien Noelle, dass sie in den nachsten paar Stunden starb und wiedergeboren wurde. Sie war als Prinzessin gestorben und als Hure wiedergeboren. Langsam war sie sich ihrer Umgebung, und was mit ihr geschah, bewusst geworden. Sie war von einem Hass erfullt, wie sie ihn nicht fur moglich gehalten hatte. Ihrem Vater wurde sie seinen Verrat nie vergeben. Seltsamerweise hasste sie Lanchon nicht, denn sie verstand ihn. Er war ein Mann mit der allen Mannern gemeinsamen Schwache. Von jetzt an, beschloss Noelle, sollte diese Schwache ihre Starke werden. Sie wurde lernen, sie zu benutzen. Ihr Vater hatte eigentlich recht gehabt. Sie war eine Prinzessin, und die Welt gehorte wirklich ihr. Und jetzt wusste sie, wie sie sie erobern konnte. Es war so einfach. Die Manner beherrschten die Welt, weil sie die Kraft, das Geld und die Macht hatten; daher musste man die Manner, oder zumindest einen, beherrschen. Aber dafur musste man gerustet sein. Sie hatte noch viel zu lernen. Und das war der Anfang.
Sie wandte ihre Aufmerksamkeit Monsieur Lanchon zu. Sie lag unter ihm, erlebte das mannliche Organ in sich und was es einer Frau bedeuten konnte.
In seiner Raserei uber dieses schone Geschopf unter seinem dicken, rammelnden Korper merkte Lanchon gar nicht, dass Noelle blo? dalag, aber es war ihm auch gleichgultig. Es genugte, dass sich seine Augen an ihr weideten, um ihn zu den hochsten Hohen der Leidenschaft zu fuhren, wie er es in Jahren nicht erlebt hatte. Er war an den auf ihn eingespielten Korper seiner Frau und die mude Ware der Huren von Marseille gewohnt, und dieses frische junge Madchen unter ihm war wie ein plotzliches Wunder in seinem Leben.
Aber fur Lanchon begann das Wunder erst. Nachdem er Noelle zum zweiten Mal umarmt und sich ausgegeben hatte, sagte sie: »Lieg still.« Sie begann, mit ihrer Zunge, ihrem Mund und ihren Handen an ihm zu experimentieren, versuchte neue Varianten, fand die weichen, empfindlichen Stellen seines Korpers und machte sich an ihnen zu schaffen, bis Lanchon vor Lust laut aufschrie. Es war, als druckte sie eine Reihe von Knopfen. Wenn Noelle dies tat, stohnte er, und wenn sie das machte, wand er sich in Verzuckung. Es war so leicht. Dies war ihre Schule, ihre Erziehung. Es war der Anfang der Macht.
Sie verbrachten drei Tage da und gingen nicht ein einziges Mal in Le Pyramide, und in diesen Tagen und Nachten brachte Lanchon ihr das wenige bei, das er von Sex kannte, und Noelle entdeckte sehr viel mehr.
Als sie nach Marseille zuruckfuhren, war Lanchon der glucklichste Mann von ganz Frankreich. Fruher hatte er fluchtige Liebschaften mit Ladenmadchen in den Chambres separees eines Restaurants gehabt; er hatte mit Prostituierten gefeilscht, war knickerig mit Geschenken fur seine Geliebten und notorisch knauserig gegenuber Frau und Kindern gewesen. Jetzt erklarte er gro?mutig: »Ich werde dich in einem Appartement unterbringen, Noelle. Kannst du kochen?«
»Ja«, erwiderte Noelle.
»Gut. Ich werde jeden Tag zum Mittagessen zu dir kommen, und dann umarmen wir uns. Und an zwei oder drei Abenden der Woche komme ich zum Abendessen.« Er legte ihr die Hand aufs Knie, tatschelte es. »Wie klingt das?«
»Es klingt wundervoll«, entgegnete Noelle.
»Ich werde dir sogar ein Taschengeld geben. Kein gro?es«, fugte er schnell hinzu, »aber genug, dass du von Zeit zu Zeit ausgehen und dir hubsche Sachen kaufen kannst. Ich verlange nur, dass du niemanden au?er mir empfangst. Du gehorst jetzt mir.«
»Wie du wunschst, Auguste«, sagte sie.
Lanchon seufzte zufrieden, und als er sprach, klang seine Stimme zartlich: »Ich habe noch bei niemand je ein solches Gefuhl gehabt. Und wei?t du, warum?«
»Nein, Auguste.«
»Weil du mich wieder jung machst. Du und ich werden ein wundervolles Leben zusammen haben.«
Sie kamen spatabends in Marseille an, fuhren schweigend, Lanchon mit seinen Traumen beschaftigt, Noelle mit den ihren.
»Ich sehe dich morgen um neun Uhr im Geschaft wieder«, sagte Lanchon. Er uberlegte. »Wenn du aber morgen fruh mude bist, dann schlaf ein bisschen langer. Komm um halb zehn.«
»Danke, Auguste.«
Er zog eine Handvoll Francs aus der Tasche und hielt sie ihr hin.
»Da. Morgen Nachmittag siehst du dich nach einer Wohnung um. Damit leistest du eine Anzahlung, um sie uns zu sichern,
bis ich sie besichtigen kann.«
Sie starrte die Francs in seiner Hand an.
»Ist was nicht in Ordnung?« fragte Lanchon.
»Ich mochte, dass wir eine wirklich schone Wohnung haben«, sagte Noelle, »in der wir uns wohl fuhlen.«
»Ich bin kein reicher Mann«, wandte er ein.
Noelle lachelte verstandnisvoll und legte ihm die Hand auf den Schenkel. Lanchon sah sie lange an und nickte dann.
»Du hast recht«, sagte er. Er fasste in seine Brieftasche und begann, Francnoten herunterzublattern, wobei er ihr Gesicht aufmerksam beobachtete.
Als sie zufrieden schien, horte er auf, uber seine eigene Gro?zugigkeit errotend. Was spielte es schlie?lich fur eine Rolle? Lanchon war ein geriebener Geschaftsmann; er wusste, dies wurde sicherstellen, dass Noelle ihn nie verlie?.
Noelle sah ihm nach, als er glucklich davonfuhr, dann ging sie nach oben, packte ihre Sachen und nahm ihre Ersparnisse aus einem Versteck. Um zehn Uhr nachts sa? sie im Zug nach Paris.
Als der Zug am fruhen Morgen in Paris einfuhr, wimmelte die PLM-Station von ungeduldigen Reisenden, die soeben angekommen waren, und solchen, die ebenso ungeduldig aus der Stadt fluchteten. Der Larm auf dem Bahnhof war betaubend, die Leute schrieen durcheinander, begru?ten sich frohlich oder nahmen tranenreichen Abschied voneinander, stie?en und schoben sich grob durch die Menge, aber Noelle hatte nichts dagegen. In dem Augenblick, in dem sie den Fu? vom Trittbrett des Zuges setzte, ehe sie uberhaupt eine Moglichkeit hatte, die