vor Begeisterung, leuchteten von einer uberwaltigenden, unwiderstehlichen Vitalitat.
Noelle hatte noch niemanden wie ihn kennen gelernt. Er war – Seltenheit aller Seltenheiten – ein Verschwender seiner selbst. Er war offenherzig, freundlich und lebhaft, genoss das Leben und sorgte dafur, dass jeder in seiner Umgebung es auch genoss. Er war wie ein Magnet, der jeden, der sich ihm naherte, in seine Einflusssphare zog.
Die Party, von der er gesprochen hatte, fand in einer kleinen Wohnung in der Rue Chemin Vert statt. In der Wohnung drangten sich lachende, schreiende Menschen, von denen die meisten jung waren. Larry stellte Noelle der Gastgeberin vor, einem raubvogelartigen, sexy aussehenden Rotkopf, und wurde dann von der Menge verschluckt. Dann und wann erhaschte Noelle einen fluchtigen Blick von ihm, umgeben von eifrigen jungen Madchen, von denen jede versuchte, seine Aufmerksamkeit fur sich einzufangen. Und doch hatte er nichts Egozentrisches an sich, dachte Noelle. Als ware er sich gar nicht bewusst, wie attraktiv er war. Jemand brachte Noelle etwas zu trinken, und jemand anders erbot sich, ihr vom Bufett etwas zu essen zu bringen, aber plotzlich hatte sie keinen Hunger mehr. Sie wollte bei dem Amerikaner sein, wollte ihn von den Madchen, die ihn umdrangten, weglotsen. Manner traten an sie heran und versuchten, sich mit ihr zu unterhalten, aber Noelles Gedanken waren woanders. Seit sie eingetreten waren, hatte der Amerikaner sie vollig ubersehen, hatte getan, als existiere sie nicht. Und warum nicht? dachte Noelle. Warum sollte er sich um sie kummern, wo er jedes Madchen auf der Party haben konnte. Zwei Manner versuchten, sie in eine Unterhaltung zu verwickeln, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Der Raum war plotzlich unertraglich warm geworden. Sie uberlegte sich, wie sie entkommen konnte.
Eine Stimme sagte in ihr Ohr: »Gehen wir«, und kurz darauf standen sie und der Amerikaner auf der Stra?e in der kuhlen Nachtluft. Die Stadt war dunkel und still in Erwartung der unsichtbaren Deutschen am Himmel, und die Autos glitten gerauschlos wie Fische in einer schwarzen See durch die Stra?en.
Sie konnten keine Taxe finden, also gingen sie zu Fu?, a?en in einem kleinen Bistro auf der Place des Victoires zu Abend, und Noelle entdeckte, dass sie vor Hunger fast starb. Sie betrachtete den ihr gegenubersitzenden Amerikaner prufend und fragte sich, was ihr geschehen war. Es war, als hatte er einen Quell tief in ihrem Inneren beruhrt, von dessen Vorhandensein sie nie etwas gewusst hatte. Sie war noch nie so glucklich gewesen. Sie unterhielten sich uber alles. Sie schilderte ihm ihr Milieu, und er erzahlte ihr, dass er aus SudBoston komme und Boston-Irlander sei.
»Wo haben Sie so gut Franzosisch gelernt?« fragte Noelle.
»Ich war als Band im Sommer immer in Cap d'Antibes. Mein alter Herr war ein Borsenmagnat, bis die Baren ihn erledigten.«
»Baren?«
Larry musste ihr die geheimnisvollen Techniken der Effektenborse in Amerika erklaren. Noelle war es gleich, woruber er redete, solange er nur redete.
»Wo leben Sie?«
»Nirgends.« Sie erzahlte ihm von dem Taxichauffeur und Madame Delys und dem dicken Mann, der sie tatsachlich fur eine Prinzessin hielt und vierzig Francs fur sie bot, und Larry lachte lauthals.
»Wissen Sie noch, wo das Haus ist?«
»Ja.«
»Kommen Sie, Prinzessin.«
Als sie vor dem Haus in der Rue de Provence ankamen, wurde die Tur von demselben uniformierten Dienstmadchen geoffnet. Ihre Augen leuchteten auf, als sie den gut aussehenden Amerikaner sah, und verdusterten sich, als sie sah, wer bei ihm war.
»Wir mochten Madame Delys sprechen«, sagte Larry. Er und Noelle traten in die Empfangshalle. Dahinter, im Wohnzimmer, sa?en mehrere Madchen. Das Dienstmadchen verschwand, und ein paar Minuten darauf trat Madame Delys ein. Sie wandte sich an Noelle: »Ah, ich hoffe, Sie haben sich's anders uberlegt.«
»Nein«, sagte Larry freundlich. »Sie haben hier etwas, was der Prinzessin gehort.«
Madame Delys sah ihn fragend an.
»Ihr Kofferchen und ihre Handtasche.«
Madame zogerte einen Augenblick und ging dann hinaus. Ein paar Minuten spater kehrte das Dienstmadchen mit Noelles
Handtasche und Koffer zuruck. »Merci«, sagte Larry. »Gehen wir, Prinzessin.« In jener Nacht ging Noelle mit Larry in ein kleines sauberes Hotel in der Rue Lafayette. Es gab nichts daruber zu reden, war fur beide unvermeidbar geworden. Ihre Umarmung in jener Nacht war aufregender als alles, was Noelle je gekannt hatte, ein wilder, primitiver Ausbruch, der beide schuttelte. Die ganze Nacht lag sie in Larrys Armen, hielt ihn fest, war glucklicher, als sie es sich je ertraumt hatte.
Als sie am Morgen aufwachten, umarmten sie sich wieder und gingen aus, um die Stadt zu erforschen. Larry war ein gro?artiger Fremdenfuhrer, und er lie? Paris als ein reizendes Spielzeug zu Noelles Belustigung erscheinen. Sie a?en in den Tuilerien zu Mittag, verbrachten den Nachmittag in Malmaison und wanderten stundenlang um die Place des Vosges am Ende von Notre-Dame, das alteste, von Ludwig XIII. erbaute Viertel von Paris. Er zeigte ihr Orte, die abseits von den Touristenstromen lagen, Maubert mit seinem pittoresken Stra?enmarkt und den Quai de la Megisserie mit seinen Kafigen voll buntgefiederter Vogel und kreischender Tiere. Er fuhrte sie durch den Marche de Buci, und sie horten sich den Larm der Verkaufer an, die die Vorzuge ihrer frischen Tomaten, ihrer auf Seetang gebetteten Austern, ihrer sauber mit Etikett versehenen Kasesorten anpriesen. Sie gingen zum Du Pont auf dem Montparnasse, a?en im Bateau Mouche zu Abend und landeten schlie?lich um vier 'Uhr morgens in Les Halles bei einer Zwiebelsuppe, zusammen mit den Fleischern und LKWFahrern. Und ehe sie sich's versahen, hatte Larry eine Menge Freunde gewonnen, und Noelle merkte, dass dies von seiner Gabe zu lachen herruhrte. Er hatte ihr das Lachen beigebracht, und sie hatte gar nicht gewusst, dass sie lachen konnte. Es war wie das Geschenk eines Gottes. Sie war Larry dankbar und war sehr in ihn verliebt. Es dammerte schon, als sie in ihr Hotelzimmer zuruckkamen. Noelle war erschopft, doch Larry war voll Energie, ein ruheloser Dynamo. Noelle lag im Bett und betrachtete ihn, wie er am Fenster stand und die Sonne uber den Dachern von Paris aufgehen sah.
»Ich liebe Paris«, sagte er. »Es ist wie ein Tempel fur die besten Dinge, die die Menschen je gemacht haben. Es ist eine Stadt der Schonheit, des guten Essens und der Liebe.« Er drehte sich grinsend zu ihr um. »Nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge.« Noelle sah zu, wie er sich auszog und neben ihr ins Bett kletterte. Sie hielt ihn, liebte es, ihn zu fuhlen, liebte seinen mannlichen Geruch. Sie dachte an ihren Vater und wie er sie verraten hatte. Es war ein Irrtum von ihr gewesen, alle Manner nach ihm und Auguste Lanchon zu beurteilen. Jetzt wusste sie, dass es Manner wie Larry Douglas gab. Und sie wusste auch, dass es nie mehr einen anderen fur sie geben wurde.
»Wei?t du, wer die beiden gro?ten Manner waren, die je gelebt haben, Prinzessin?« fragte er.
»Du«, sagte sie.
»Die Bruder Wright. Sie gaben dem Menschen die wahre Freiheit. Bist du mal geflogen?« Sie schuttelte den Kopf. »Wir hatten ein Sommerhaus in Montauk – das liegt am Ende von Long Island -, und als Kind habe ich immer die Mowen beobachtet, wie sie durch die Luft kreisten und auf der Stromung schwebten, und ich hatte meine Seele hingegeben, bei ihnen da oben zu sein. Ich wusste, ich wollte Flieger werden, ehe ich uberhaupt laufen konnte. Ein Freund unserer Familie nahm mich in einem alten Doppeldecker einmal mit, als ich neun war, und ich bekam meinen ersten Flugunterricht mit vierzehn. Da lebe ich erst richtig, wenn ich in der Luft bin.«
Und spater:
»Es wird einen Weltkrieg geben. Deutschland will alles haben.«
»Frankreich wird es nicht bekommen, Larry. Niemand kommt uber die Maginot-Linie hinaus.«
Er schnaubte. »Ich bin hundertmal daruber hinausgekommen.« Sie sah ihn verwirrt an. »In der Luft, Prinzessin. Dies wird ein Luftkrieg werden ... mein Krieg.«
Und spater, beilaufig:
»Warum heiraten wir eigentlich nicht?«
Es war der glucklichste Augenblick in Noelles Leben.
Sonntag war ein entspannter, fauler Tag. Sie fruhstuckten in einem kleinen Stra?encafe auf dem Montmartre, gingen in ihr Zimmer zuruck und verbrachten fast den ganzen Tag im Bett. Noelle konnte gar nicht glauben, dass jemand so ekstatisch sein konnte. Es war ein reiner Zauber fur sie, wenn sie sich umarmten, aber sie war genauso zufrieden, dazuliegen und Larry zuzuhoren und ihn zu beobachten, wenn er ruhelos im Zimmer