Lieutenant Durkin druckte erneut die Turklingel. Er wollte in seinemBericht festhalten konnen, da? er dreimal gelautet und sich erst dann gewaltsam Eintritt verschafft hatte. Sein Partner
hatte sich die Ruckseite des Hauses vorgenommen. Der Einbrecher hatte also keine Chance. Er konnte nicht entwischen. Wahrscheinlich wurde er sich irgendwo im Haus oder auf dem Grundstuck versteckt halten. Aber da wartete eine saftige Uberraschung auf ihn. Vor Melvin Durkin konnte sich niemand verstecken.
Als der Lieutenant zum dritten Mal die Klingel drucken wollte, ging die Tur plotzlich auf. Der Gesetzeshuter machte tellergro?e Augen, denn in der Tur stand eine Frau, die in ein so hauchdunnes Nachthemd gekleidet war, da? der Phantasie fast gar kein Spielraum mehrblieb. Im Gesicht hatte sie eine Fangopackung, auf dem Kopf eine Frisierhaube.
Sie fragte:»Was geht hier vor, um Gottes willen?«
Lieutenant Durkin schluckte.»Ich… wer sind Sie?«
«Ichbin EllenBranch. Ichbin ein Hausgast von LoisBellamy. Sie ist in Europa.«
«Ich wei?. «Der Lieutenant war verwirrt.»Sie hat uns nicht gesagt, da? sie einen Hausgast hat.«
Die Frau in der Tur nickte wissend.»Typisch Lois. Entschuldigung, aber ich halte diesen Krach nicht aus.«
Lieutenant Durkin sah zu, wie LoisBellamys Hausgast die Hand nach den Alarmknopfen ausstreckte und eine Folge von Ziffern druckte. Der Krach horte auf.
«So ist's viel, vielbesser«, seufzte die Frau.»Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ichbin, Sie zu sehen. «Sie lachte, einbi?chen zitterig.»Ich wollte eben insBett, als die Alarmanlage lostobte. Ich war sicher, da? Einbrecher im Haus sind — und ichbin hier mutterseelenallein. Das Personal ist schon am Mittag gegangen.«
«Haben Sie was dagegen, wenn wir uns schnell mal umschauen?«
«Im Gegenteil. Ichbestehe darauf!«
Der Lieutenant und sein Partnerbrauchten nur ein paar Minuten, um festzustellen, da? sich niemand im Haus oder auf
dem Grundstuck versteckt hielt.
«Alles klar«, sagte Lieutenant Durkin.»Man kann sich eben doch nicht immer auf die Elektronik verlassen. An Ihrer Stelle wurde ich den Sicherheitsdienst anrufen und ihm sagen, da? er das System durchchecken soll.«
«Ja, das werde ich tun.«
«Dann gehn wir mal wieder«, sagte der Lieutenant.
«Tausend Dank, da? Sie vorbeigekommen sind. Ich fuhle mich jetzt viel sicherer.«
Mann, hat die 'ne tolle Figur, dachte Lieutenant Durkin. Er fragte sich, wie sie ohne Gesichtspackung und ohne Frisierhaube aussah.»Bleiben Sie noch lange hier, Mi?Branch?«
«Ein, zwei Wochen — bis Lois zuruckkommt.«
«Wenn ich irgendwas fur Sie tun kann, dann lassen Sie es mich wissen.«
«Danke. Ich komme gern darauf zuruck.«
Tracybeobachtete, wie der Streifenwagen losfuhr und in der Dunkelheit verschwand. Ihr war schwindlig vor Erleichterung. Sie eilte nach oben, wusch sich die Fangopackung vom Gesicht, die sie imBadezimmer gefunden hatte, entledigte sich der Frisierhaube und des Nachtgewands von LoisBellamy, zog ihren schwarzen Overall an, verlie? das Haus und stellte die Alarmanlage wieder an.
Sie hatte schon den halben Weg nach Manhattan zuruckgelegt, als ihr plotzlich aufging, wie dreist sie gewesen war. Tracy kicherte, und aus dem Kichern wurde ein zwerchfellerschutterndes, unkontrollierbares Gelachter. Schlie?lich mu?te sie an den Stra?enrand fahren und den Wagen anhalten. Sie lachte, bis ihr die Tranen uber die Wangen liefen. Das erste Mal seit einem Jahr, da? sie von Herzen lachte. Es war ein wunderbares Gefuhl.
17
Erst als der Zug aus demBahnhof rollte, begann sich Tracy zu entspannen. Bis dahin hatte sie jeden Moment damit gerechnet, da? sich eine schwere Hand auf ihre Schulter legen und eine Stimme sagen wurde:»Sie sind verhaftet.«
Sie hatte die anderen Reisendenbeobachtet, als sie in den Zug stiegen, und es war nichtsBesorgniserregendes an ihnen gewesen. Sie sagte sich immer wieder, es sei unwahrscheinlich, da? jemand den Diebstahl jetzt schon entdeckt habe — und selbst wenn: Es gabnichts, um sie damit in Verbindung zubringen. In St. Louis wurde Conrad Morgan mit funfundzwanzigtausend Dollar warten.
Funfundzwanzigtausend Dollar, mit denen sie machen konnte, was sie wollte! Fur so viel Geld hatte sie ein Jahrbei derBank arbeiten mussen. Ich werde nach Europa reisen, dachte Tracy. Nach Paris. Nein. Nicht nach Paris. Dort wollten Charles und ich unsere Flitterwochen verbringen. Ich werde nach London reisen. Dabin ich keine Zuchthauslerin. Seltsamerweise fuhlte sich Tracy nach der Erfahrung, die sie nun hinter sich hatte, wie ein anderer Mensch. Es war, als sei sie neu geboren.
Sie schlo? die Abteiltur zu, zog das Ledertaschchen aus ihrem Koffer und offnete es. Eine Kaskade von glitzernden Farben fiel ihr in die Hand. Drei gro?e Diamantringe, eine Smaragdbrosche, eine Saphirarmband, drei Paar Ohrringe und zwei Halsketten, die eine mit Rubinen, die andere mit Perlen.
Die Sachen mussen uber eine Million Dollar wert sein, dachte Tracy. Wahrend der Zug durchs offene Land fuhr, lehnte sie sich zuruck, lie? den Abend noch einmal an sich vorbeiziehen und gestattete sich ein zufriedenes Lacheln. Es
hatte ihr Spa? gemacht, die Polizei auszutricksen. Die Gefahr, in der sie geschwebt hatte, nahm plotzlich etwas Erhebendes an. Tracy fuhlte sich mutig und schlau und unbesiegbar, fuhlte sich einfach gro?artig.
Es klopfte an die Abteiltur. Tracy lie? das Taschchen mit den Juwelen schnell in ihrem Koffer verschwinden, hielt ihre Fahrkartebereit und offnete die Tur. Das konnte ja wohl nur der Schaffner sein.
Zwei Manner in grauen Anzugen standen an dem Seitengang. Der eine war Anfang Drei?ig, der andere ungefahr zehn Jahre alter. Der jungere war sehr attraktiv. Sportliche Figur, energisches Kinn, kleiner, gepflegter Schnurrbart und klugeblaue Augen. Er trug eine Hornbrille. Der altere hatte dickes schwarzes Haar und einen ziemlich massigen Korperbau. Seine Augen waren von kaltemBraun.
«Kann ich etwas fur Sie tun?«fragte Tracy.
«Ja, Ma'am«, sagte der altere Mann. Er zog eineBrieftasche aus dem Anzug und hielt einen Dienstausweis empor:
FEDERALBUREAU OF INVESTIGATION UNITED STATES DEPARTMENT OF JUSTICE
«Ichbin Special Agent Dennis Trevor. Das ist Special Agent ThomasBowers.«
Tracybekam auf einmal einen trockenen Mund. Sie qualte sich ein Lacheln ab.»Ich… ich verstehe leider nicht ganz. Ist was?«
«Bedauerlicherweise ja, Ma'am«, sagte der jungere FBIMann, der mit einem weichen Sudstaatenakzent sprach.»Wir sind in einigen Minuten in New Jersey. Diebesgut uber eine Staatsgrenze zu transportieren, ist ein Vergehen, das in die Zustandigkeit des FBI fallt.«
Tracy fuhlte sich plotzlich einer Ohnmacht nahe. Rote Schleier tanzten ihr vor den Augen und lie?en alles verschwimmen.
Der altere FBI?Mann, Dennis Trevor, sagte:»Wurden Sie wohl mal Ihren Koffer aufmachen?«Es war keineBitte, sondern einBefehl.
Tracybliebnur noch die Hoffnung, diebeiden zubluffen.»Ich denke gar nicht daran! Wie konnen Sie es wagen, einfach in mein Abteil hereinzuplatzen?«Ihre Stimmebebte vor Entrustung.»Haben Sie nichtsBesseres zu tun, als friedlicheBurger zubelastigen? Ich werde den Schaffner rufen.«
«Mit dem haben wir schon geredet«, erwiderte Trevor.
Tracy merkte, da? sich diebeiden nichtbluffen lie?en.»Haben… haben Sie einen Durchsuchungsbefehl?«
Der jungere Mann sagte freundlich:»Wirbrauchen keinen, Mi? Whitney. Wir haben Sie namlichbei der Verubung eines Verbrechens gefa?t. «Die Agenten kannten sogar ihren Namen. Sie sa? in der Falle. Und es gabkeinen Ausweg. Keinen.