kleine Eiland betraten, kam es ihm schon vor, als wimmelte das ganze Ufer von jungen Vogeln. Er buckte sich oft und breitete die Hande uber einen Stein statt uber ein Kucken.
Auf dem Ruckweg ruderte der Ornithologe langer als eine Stunde in kurzem, gleichma?igem Rhythmus, als ware er kein Mensch, sondern eine Maschine. Das Wasser schlief, und sie trieben an Inseln voruber, die zu traumen schienen. Dann versank die Mitternachtssonne hinter dem Horizont. Nun lagen die Landflecken finster da wie bucklige Fabelwesen.
Viktor erwachte, als das Boot gegen die Schwimmsperre stie?. Er stieg aus und trabte auf das Haus zu.
Der Ornithologe hielt ihn zuruck. „Warte. Wo wirst du dich hinlegen?'
„Ich habe einen Schlafsack eingepackt.' „Willst du nichts essen?' „Hab was mitgebracht.'
„In Ordnung.' Der Ornithologe blickte auf die Uhr. Es war halb eins. „Um sechs brechen wir wieder auf.' Er sah Viktor an, dann wieder zur Uhr.
„Schon, um acht.'
„Von mir aus um funf', erwiderte Viktor barsch. Der Ornithologe wies ihn zurecht. „Hier bestimme ich.'
Da schlenderte Viktor weiter und schlurfte absichtlich laut. Als er die Treppe hochging, sah er, da? der Ornithologe bereits im Boot sa? und wenige Sekunden spater losruderte.
Im Zimmer schliefen Viktors Freunde. Sie hatten sich mit ihren Schlafsacken auf dem Fu?boden ausgestreckt und lagen in einer Reihe wie Soldaten. Viktor tat es ihnen gleich. Im Nu war er eingeschlafen.
Fast im gleichen Augenblick, so schien es ihm, ruttelte ihn jemand an der Schulter. Schlaftrunken sprang er hoch und schwankte auf den Beinen. Nur ganz allmahlich, wie ein Bild auf einem Stuck Fotopapier, nahm das von Sonnenlicht durchflutete Zimmer Gestalt an.
„Komm fruhstucken', forderte ihn der Ornithologe auf, „nebenan stehen Brei und Tee auf dem Tisch.'
„Ich habe mein Essen mitgebracht.' Viktor angelte nach dem Rucksack.
„Das steckst du ein. Es ist schon neun Uhr.'
Eine halbe Stunde spater waren sie bereits weit drau?en. Wieder sa?en sie stumm im Boot. Nur das Platschern der Ruder Schlage unterbrach die Stille. Abermals kamen sie an Inseln voruber, die dalagen, als waren sie in den Spiegel der See eingelassen. An diesem Tage hatten sie nur ein einziges Reiseziel. Bis dorthin waren es zwanzig Kilometer.
Funf Stunden wiegte sich der Ornithologe pausenlos auf seinem Bankchen. Dann sprang er ans Ufer, wippte auf den Zehen, rekelte sich, und uber sein Gesicht huschte ein fluchtiges Lacheln. Es war ihm angenehm, da? er endlich den Rucken strecken konnte.
Auf dieser Insel beringten sie dreizehn Kucken. Viktor uberlegte: Den Ruckweg eingerechnet, kommen auf jeden Vogel drei Kilometer.
Bevor sie aufbrachen, lie?en sie sich nieder, um zu essen. Der Ornithologe holte Brot, Wurst und eine Thermosflasche aus dem Rucksack. Viktor packte Kuchen, eine lange Semmel und Wurst aus. Sie sa?en auf zwei platten Steinen. Vor ihnen lagen die Lebensmittel. Sie tranken ihren Tee aus einem Kunststoffbecher und schnitten das Brot mit einem Messer. So kauerten sie nebeneinander, beide abgespannt, unausgeschlafen — Menschen, die am selben Werk schufen. Viktor wartete darauf, da? der Ornithologe ihn ansprach oder ihm die Hand auf die Schulter legte oder sonst etwas tat, wofur Viktor ihm sofort alles verziehen hatte.
Der Ornithologe schlurfte seinen Tee und nahm den hei?en Becher aus der einen Hand in die andere. Zum Schlu? schuttelte er die Krumen von den Knien. Dann stand er auf.
Da begriff Viktor, da? er umsonst gewartet hatte. Es wurde kein Gesprach geben. Er sah den Mann mit einem Blick an, in dem fast etwas wie Ha? lag. Wu?te denn der uberhaupt, was ein Menschenherz bewegte? Vielleicht war es der Ausdruck dieser Jungenaugen, was den Ornithologen veranla?te, wenigstens ein paar Phrasen durch die Zahne zu murmeln?
,,Hat's dir auf der Insel gefallen?'
„Ja', erwiderte Viktor.
„Wir haben eine Silbermowe beringt. Das gelingt nur selten.'
„Ich werde rudern', sagte Viktor brummig.
„Gut', willigte der Ornithologe ein.
Funf Tage lang fuhren sie Eiland auf Eiland ab, erst die entfernteren, dann die naheren. Immer enger wurden die Kreise, und schlie?lich verblieben auf ihrem Abschnitt nur noch wenige Inseln in der Mitte des Meerbusens. Noch nie in seinem dreizehnjahrigen Leben hatte Viktor so viel arbeiten mussen. Trotzdem schaffte der Ornithologe mehr. Er kletterte auch dann ins Boot und ruderte los, wenn Viktor in seinem Schlafsack ruhte. Er schlief so gut wie gar nicht. Man sah es an seinem abgezehrten, von Sonne und Wetter gezeichneten Gesicht und an den borkigen Lippen, zwischen denen eine glimmende Papiros zitterte: Seine Bewegungen waren nervos, flink wie bei ihrer ersten Begegnung. Als Viktor wieder einmal in das lange, hagere Gesicht blickte, kam ihm der Gedanke, dieser Mann sehe aus wie ein hungriger Hund.
Von Tag zu Tag verriet der merkwurdige Mensch gro?ere Eile. Gewohnlich kehrten die beiden als letzte zuruck und brachen als erste auf. Der Ornithologe war unerbittlich gegen sich selbst. Doch gab ihm dies das Recht, unerbittlich auch gegen andere zu sein?
Viktor spurte die Jungvogel auf. Er ruderte, teilte mit seinem Gefahrten das Essen. Aber selbst im Boot, wenn der Ornithologe die Riemen schwang, wagte Viktor nicht einzuschlafen. Er wollte kein Schwachling sein. Schlie?lich war er am Meer geboren, und durch seine Korpergro?e wirkte er viel alter. Man hatte ihn fur sechzehn halten konnen. In seinen Adern flo? das Blut der Vorfahren, tuchtiger Seebaren, und der Eigensinn des Gro?vaters war in ihm lebendig. Niemals hatte er sich eine Blo?e gegeben, lieber ware er gestorben. Der Ornithologe aber bemerkte nichts von alledem. Der zielstrebige Eifer des Jungen blieb ihm verborgen. Viktors mi?gunstige Gefuhle lie?en ihn genauso kalt, wie ihn sicherlich seine Symphathie gelassen hatte. Und das war der Grund, weshalb Viktor ihn beinahe ha?te.
Neben diesem ha?ahnlichen Gefuhl wohnte jedoch ein zweites, und dieses zweite regte sich nicht minder kraftig.
Wie gesagt, Viktor ist am Meer aufgewachsen. Er wei?, was arbeiten hei?t. Ob er wollte oder nicht, er bewunderte den sonderbaren Kauz, der es nicht einmal fur notig befunden hatte, seinen Namen zu nennen. Den Jungen wurmte es, da? er sein Werk nicht auch so gut verstand wie der Ornithologe.
Gegen Abend des funften Tages bedeckten sich die Berggipfel auf dem Festland mit dicken Wolken. Vom Meer her machte sich eine frische Brise auf. Viktor und sein Meister befanden sich gerade auf einem kleinen Eiland, das im Schutze einer gro?eren Insel lag, so da? sie den Wind nicht richtig merkten. Als sie ihren Rundgang beendet hatten, warf der Ornithologe einen fluchtigen Blick auf die Fluten, die sie vom Verwaltungsgebaude trennten. In der Mitte der Wasserstra?e tanzten vom Wind gepeitschte Schaumkamme.
,,Es scheint, wir sitzen in einer Mausefalle', unkte der Ornithologe.
Viktor hullte sich in Schweigen. Er wollte seinen Dreier nicht dazugeben.
„Es bleibt uns nichts anderes ubrig, als zum Schutzhauschen zu rudern und auf besseres Wetter zu warten.'
„Ist man blo? eine kleine Brise', meinte Viktor mit finsterem Gesicht und starrte auf die Spitze seiner Schuhe.
„Hier merkt man den Wind kaum, weil wir uns hinter der Insel befinden. Guck mal, was drau?en los ist.' Viktor blickte gleichfalls zur Mitte der Wasserflache. In der bewegten Luft flatterten die Mowen wie