Ein glucklicher Tag

Geweckt wurde Pawlik von einer fetten Hummel. Sie kurvte vor dem Fenster und flog mit unwilligem Gebrumm mehrmals gegen die Scheibe. Pawlik kroch aus dem Bett. Er stie? beide Fensterflugel auf. Mit sanftem Klatschen schlugen Blatter gegen die Scheiben. Ein taukuhler Fliederzweig kam ins Zimmer gekrochen, schuttelte mehrere Tropfchen auf das Fensterbrett. Husch, stob die Hummel davon, in der Morgensonne wie eine goldene Glasperle leuchtend, bis sie verschwand.

„Dumme Hummel!' murmelte Pawlik.

Er trat an den Waschtisch, kippte etwas Wasser in die hohle Hand und rieb sich damit die Stirn und eine Gesichtshalfte ab. Seine Sorgenfalten hatten sich geglattet.

Wenn er den Zeigern auf der Wanduhr glauben Schlupfloch nicht fand.

Heute war alles erlaubt, auf einem Flo? zu fahren, an den Flu? zu laufen, an den Teich, an die Bahn. Wenn man das Ohr auf die Schienen legte, horte man das Gerausch des nahenden Zuges. Pawlik wu?te nicht, was er zuerst tun sollte. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Am liebsten hatte er alles auf einmal getan.

Er erhob sich und ging auf die Stra?e.

Hinter dem durftigen Zaun des Nachbarhauses grub ein Junge mit auffallend hellen Wimpern den Garten um.

„Shoka, he, Shoka!' rief Pawlik.

Shoka schlug mit dem Spaten auf einen gro?en Klumpen ein und untersuchte interessiert das aufgelockerte Erdreich.

„Shoka', fragte Pawlik im Flusterton, „Shoka, was machst du da — hm?'

„Wurmer ausgraben. Siehst du das nicht?' Pawlik seufzte. Nach dieser Antwort stand bereits fest, da? mit Shoka heute nichts anzufangen war. Uberhaupt, dachte Pawlik, ist er fur mich blo? zu sprechen, wenn er nicht wei?, was er machen soll. Pawlik mag Shoka sehr und furchtet ihn auch ein wenig. Was Shoka bestimmt, geschieht, da gibt es keine Widerrede. Shoka ist stark. Er kann Pawlik an den Armen packen und durch die Luft schleudern. Er ist gewandt, kann reiten.

„La? mich mal graben', schlug Pawlik vor. 

Wortlos legte Shoka den nachsten Erdklumpen auf die Seite. 

„Gib doch her', drangte Pawlik. 

„La? mich in Ruhe. Ich habe so schon nichts geschafft. Gleich kommt Witka. Denkst du, ich will mit leeren Handen dastehn?' 

„Du gehst wohl mit ihm?' 

„Mit wem denn sonst?' 

„Nehmt ihr mich mit?'

„Sonst noch was?' entgegnete Shoka von oben herab.

Pawlik druckste eine Weile herum, dann ging er weg.

„Ich habe ein Fischnetz', rief ihm Shoka nach, „und einen Angelhaken. Geschenke von einem Sommerfrischler.'

Shoka wollte nur angeben. Pawlik dachte, er mache sich uber ihn lustig, und war beleidigt. Er uberlegte, was erst geschehen mu?te, damit Shoka ihn um einen Gefallen bate.

Angenommen, Shokas Haus wurde abbrennen. Shoka kame zu Pawlik, um sich Pawliks Angel auszubitten. „Du hast doch ein Netz', wurde Pawlik sagen. Shoka beganne zu weinen. Und zu schluchzen: „Ich habe gar nichts, rein gar nichts habe ich mehr, das Haus ist abgebrannt und alles, alles mit.' Das ware fur Pawlik der Augenblick, wo er lachen konnte. „Wei?t du noch, als du Fische fangen wolltest, hast du mich nicht mitgenommen. Von mir kriegst du nicht so viel.'

Ganz deutlich stellte sich Pawlik dieses Gesprach vor.

Er sah Shokas bittendes Gesicht und lachelte. Vor Vergnugen schuttelte er den Kopf.

Auf dem Hof des elterlichen Hauses angekommen, ergriff Pawlik den Rechen und ging hinter den Schuppen, wo ein Haufen alter Sagespane im Schatten lag. Er harkte die Spane auseinander. Auf der Erde wimmelte es von Wurmern. Pawlik las sie gleichzeitig in zwei Blechdosen. Als sich hinter ihm Schritte naherten, wu?te er: Das kann nur Shoka sein.

Er drehte sich nicht um.

„Wie geht das Geschaft?' fragte Shoka.

„Zwei halbe Buchsen sind es schon', erwiderte Pawlik. 

„Schenkst du mir ein paar? Ich habe nur drei Stuck. Gleich kommt Witka.' Pawlik schnaufte. Shoka machte ein Gesicht, als ware tatsachlich das Haus abgebrannt. Einfach zum Schreien.

„Meinetwegen kannst du alle haben', sagte Pawlik, „ich brauche sie nicht.'

Nach so viel Gro?zugigkeit hatte Shoka Pawlik mitnehmen mussen. Statt dessen ergriff er die Buchsen mit den Wurmern und empfahl sich.

Daran ist nur dieser Witka schuld, uberlegte Pawlik. Dem kann naturlich auch das Haus abbrennen. Dann kommt Witka zu Pawlik. Er bittet ihn um ein Lager fur die Nacht, fleht, weint und legt den Kopf an die Tanne, die auf dem Hof wachst. Pawlik sieht ihn belustigt an, lacht und verla?t das Haus fur immer, um auf einer Elektrolok Maschinist zu werden.

Als Pawlik an diesem Punkt angelangt war, kam Shoka ein zweites Mal.

„Hast du Witka gesehen?' 

„Hier war niemand.'

„Um sechs wollte er mich wecken. Jetzt ist es schon neun.'

„Zehn', sagt Pawlik mi?gunstig. „Bildest du dir ein, der kommt noch?'

„Na klar', entgegnet Shoka, seiner Sache nicht ganz sicher. „Wir sind doch fur heute verabredet. Auf Witka kannst du dich verlassen.'

„Und wer hat dir von deinem Karren das eine Rad geklaut?'

„Das Rad, stimmt ja, das Rad.' Shoka erinnerte sich deutlich. Er wurde bose. „Kein Wort kann man ihm glauben. Er lugt wie gedruckt.' 

„Hmhm, so ist das', gab Pawlik bereitwillig zu. 

Shoka geriet in Wei?glut. „Na warte', stie? er drohend hervor, „dem werde ich die Hammelbeine noch langziehn.' 

„Richtig', feuerte ihn Pawlik mit helltonender Stimme an. „Das Haus mu?te ihm abbrennen. Das ware gut. Was?'

Aber da kam Shoka nicht mit. „Das Haus?' meinte er, schon friedfertiger. „Nein. Warum? Sie haben so ein schones neues. Kommst du mit?'

„Ich?' 

„Wer sonst. Euer Schwein?' 

Shoka lachte. Pawlik war nicht beleidigt. Im Gegenteil, er ubertonte Shokas Lachen, obwohl er wu?te, da? eigentlich kein Grund dazu war. 

„Nimm einen Topf mit', empfahl Shoka, „wir kochen uns eine Fischsuppe. Ich will nicht erst noch mal ruberlaufen. Du hast es naher.' Wie der Wind war Pawlik im Haus. Er kehrte mit einem wei?en Emailletopf zuruck. Es war ihm klar, da? ihn unangenehme Dinge erwarteten, aber bis da war es noch lange hin. Jetzt hie? es schnell machen, ehe es sich Shoka anders uberlegte.

Sie trabten die staubige Stra?e runter und gelangten auf eine mit Heuhaufen bedeckte Wiese, sprangen uber einen Graben, schlurften uber das Stoppelfeld, um von den kurzen, harten Grashalmen nicht gepiekt zu werden.

Kein Luftchen wehte. Uber der Wiese lag eintoniges Zirpen. Grashupfer sangen ihr Lied. Am Himmel

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