einer Bank. Wie in alten Zeiten.
Die Spiegeleier
Auf der Insel wuchsen krummbeinige Kiefern, Heidelbeerbusche, niedriges Wacholdergestrupp. Zwei Menschen waren angekommen.
Das Schutzhauschen lag am Ufer einer kleinen Bucht. Dahinter begann der See. Er zog sich durch die ganze Insel. Vom Meer war er nur durch einen aufgelockerten Baumgurtel getrennt.
Die Brut der Sagetaucher schwamm vertrauensselig bis in unmittelbare Nahe des Hauschens, aber den Mann und den Jungen wurdigten die Vogel keines Blickes. Die beiden waren gekommen, um sie zu schutzen, nicht zu toten.
Der Ornithologe in seiner grunen, mit vielen Taschen versehenen Wetterjacke sa? am Ufer und schrieb etwas in sein Notizbuch. Ein wenig abseits, auf einem Haufen von sprodem, trockenem Blasentang lag der Junge. Er war lang aufgeschossen, und an seinem Korper konnte man die Knochen zahlen. Jetzt stutzte er sich auf die Ellbogen.
Er sah durch ein Fernglas. In dem hellgrunen Oval, dicht vor seinen Augen, schwammen Wellen mit wei?en, zerflie?enden Kammen.
Langsam hob er den Feldstecher hoher. Im gleichen Tempo sanken die Wellen nach unten, verschwanden aus dem Gesichtskreis, und oben traten neue an die Stelle der alten. Dann krauselte sich ein Streifen, die Brandung, durch das Oval, und der zweihockrige Gipfel einer anderen Insel wurde sichtbar. Auf einem der beiden Hugelchen stand der vergitterte Scheinwerfer des Blinkgerats. Bis dorthin waren es sieben Kilometer. Mit Hilfe des Glases konnte man die Bretter der Holzverkleidung zahlen. Gleich unterhalb der Blinkanlage befand sich die Naturschutzverwaltung, aber das Gebaude war durch ein Kap verdeckt. Der Junge bewegte den Kopf leicht zur Seite. Da sprang das Blinkgerat nach links. Mit fabelhafter Geschwindigkeit huschten die Hange des Festlandufers dahin, und vor den Augen zitterte der Schornstein der Fischfabrik.
Bis zur Stadt waren es sechzehn Kilometer. Bei ruhigem Wetter klang von dort Musik heruber, und man horte das Heulen der Schiffssirenen.
Sie sa?en bereits den zweiten Tag an der Bucht fest. Der Sturm hatte ihnen den Ruckweg abgeschnitten.
Der Junge lie? das Fernglas sinken und blickte den Ornithologen an, der noch immer in sein Buchlein schrieb. Dabei sa? er so dicht am Wasser, da? die Brandung bis in seine Nahe spritzte. Viktor dachte angewidert, da? dieser Mensch wahrscheinlich alles genau nach Vorschrift tat.
Vor einer Woche waren sie, funf junge Naturfreunde, aus der Stadt zur Schutzverwaltung gefahren. Dort hatte man ihnen eroffnet, sie seien zur unrechten Zeit gekommen, die Beringung der Vogel habe begonnen, und niemand konne sich um sie kummern. Wenn sie aber Lust hatten, sollten sie als Naturschutzhelfer arbeiten, jeweils einer mit einem Beauftragten zusammen.
Und ob sie wollten! Einmutig standen sie vor dem Gebaude der Naturschutzverwaltung. Dann war dieser hagere Ornithologe in der Wetterjacke herangetreten.
„Ich fahre jetzt raus', sagte er, „einer kann mitkommen. Die Arbeit hat's in sich.' Nach diesen Worten kletterte er, ohne sich noch einmal umzusehen, ins Boot. Offenbar war es ihm vollig gleichgultig, wer ihn begleitete.
Er machte das Boot von der Schwimmsperre los und legte die Riemen ein. Sicher ware er auch allein abgesto?en, hatte Viktor sich nicht entschlossen, ihm zu folgen.
„Setz dich. Rudern kannst du?'
„Freilich, dies Jahr habe ich an der Regatta teilgenommen', entgegnete Viktor und wartete auf die ublichen Fragen: An welcher Regatta? Welchen Platz habt ihr belegt?
Die Fragen blieben aus.
Der Ornithologe ruderte mit kurzen, flachen Schlagen wie jemand, der gewohnt ist, gro?e Entfernungen zu uberwinden.
„Vielleicht soll ich Sie mal ablosen?'
„Das ist keine Regatta. Hier wird gearbeitet.'
Der Ornithologe sa? auf der Mittelbank, Viktor im Heck, ihm gegenuber. Haufig begegneten sich ihre Blicke, und der Ornithologe runzelte die Stirn. Er war an Einsamkeit gewohnt.
Die fliehenden Rucken der Inseln zerfurchten den Meerbusen wie ein schwimmender Flottenverband.
Das Boot naherte sich einem baumlosen Inselchen. Der Ornithologe zog einen Kreis, um die jungen Vogel ans Ufer zu treiben. Als die Nestlinge das Boot sahen, strebten sie dem Land zu und steckten den Schnabel zwischen die Steine. Ihre erstarrten Korperchen schaukelten wie Spielzeugschiffchen auf den Wellen.
„Die Mehrzahl der Vogel nistet auf solchen kahlen, kleinen Inseln', erklarte der Ornithologe im Tonfall eines unfreiwilligen Padagogen.
„Ich wei?', entgegnete Viktor.
Der Ornithologe sprang ans Ufer, buckte sich und hob einen jungen Schlangenadler auf. Das tat er so behutsam, als hatte er eine hei?e Kartoffel in die Hande genommen.
„Pa? auf, wie man das macht.'
„Ich wei?, ich wei?', entgegnete Viktor, „ich habe schon voriges Jahr...'
Der Ornithologe tat, als ware er taub. Er streckte das Vogelbeinchen und schlo? ein silberschimmerndes Metallreifchen mit einer eingravierten Nummer darum.
„Vor allen Dingen mu?t du aufpassen, da? du das Bein nicht verletzt.'
„Ich wei?', entgegnete Viktor, „bitte, geben Sie mir einen Ring.'
„Du wirst die Kucken einfangen und sie mir bringen.'
„Wozu haben Sie mir dann gezeigt, wie man es macht?' fragte Viktor. Dieser Mensch fing an, ihn aufzubringen.
Der Ornithologe runzelte die Stirn.
„Nimm den linken Uferstreifen, aber sei schon vorsichtig, damit du nicht auf so ein kleines Kerlchen trampelst. Sie haben sich zwischen den Steinen versteckt.'
So gingen sie die Insel ab, der Junge auf der einen, der Ornithologe auf der andern Seite. Zwischen ihnen lagen drei?ig Meter Land. Viktor lieferte die eingefangenen Vogel ab. Der Naturschutzbeauftragte nahm sie vorsichtig in Empfang, und wenige Sekunden spater flatterten sie, mit einem Ring versehen, davon. Alles geschah lautlos und flink. Die Stille ging dem Jungen auf die Nerven. Fur den Ornithologen war er Luft. Viktor dachte: Wenn ich ihm die leere Hand hinhalte, steckt er mir bestimmt einen Ring an den Finger, dann latscht er genauso maulfaul weiter wie bisher, ohne sich noch mal umzugucken.
„Qualen wir sie nicht?' fragte Viktor, als er dem Ornithologen das nachste Kucken reichte.
„Was sein mu?, mu? sein', war die lakonische Antwort.
Schon, dachte Viktor, dann kriegst du von mir eben kein Wort mehr zu horen.
Wenige Minuten spater fing er das erste Eiderentchen. Der kleine dunkelbraune Knauel lag in seinen Handflachen und hackte hilflos mit dem breiten Schnabel auf die Finger ein. Das Kucken war feucht. Es zitterte. Viktor lief zu dem Ornithologen hinuber.
„Das ist bestimmt krank. Vielleicht nehme ich es lieber mit?'
„Kerngesund', sagte der Ornithologe, „die Drusen sondern noch wenig Fett ab, deshalb wird das Gefieder na?. La? das Kleine laufen. Bei dir lebt es hochstens vierundzwanzig Stunden.'
„Wieso bei mir?'
„Auch bei mir', erganzte der Ornithologe trocken. Am ersten Tag beschrieben sie einen gro?en Kreis und fuhren noch funf andere Inselchen ab. Viktor war so mude, da? es ihm vor den Augen flimmerte. Als sie das letzte