schutzlos preisgegeben.

Ausgiebig und eindringlich fuhrte ich ihnen das Verwerfliche ihres Tuns vor Augen. Ich war begeistert von meiner Rede, insbesondere darum, weil es mir gelang, die richtigen Worte zu finden. Meine Schuler horten mir aufmerksam zu. Als ich geendet hatte und fragte: „Ist das jetzt klar?' erscholl es im Chor: „Jaaa.'

An diesem Tage konnte mir nichts meine ausgezeichnete Laune verderben.

Als ich am nachsten Morgen in die Klasse trat, hatte jemand auf den Tafelrand geschmiert: A + B = Liebe. Ich sah es sofort.

Mein Blick huschte uber lauter Unschuldsmienen. Die Schuler sa?en wie Engel, mit gefalteten Handen und aufmerksamen, ehrlichen, ernsten Augen, das aufgeschlagene Heft und ein Loschblatt vor sich auf der Bank. Die Schmiererei am Tafelrand hatte naturlich niemand gesehen. Sie waren ja hier, um zu lernen, ausschlie?lich um zu lernen.

Da? meine gestrige Rede auf unfruchtbaren Boden gefallen war, stimmte mich zornig. Ich war drauf und dran, eine strenge Untersuchung der Angelegenheit in die Wege zu leiten, kam aber, wahrend ich das Klassenbuch aufschlug, zu der Einsicht, da? dies wohl doch nicht die richtige Methode sei. Meine Worte hatten das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen sollten, und die Aufmerksamkeit der Klasse erst recht auf diese torichte Gleichung gelenkt. Ich zog es vor, mit Stillschweigen uber die Sache hinwegzugehen und mich auf eine sachliche Feststellung zu beschranken: „Ordnungsdienst, die Tafel ist nicht gewischt.'

Ein Seufzer der Enttauschung lief durch die Klasse. Schade...

In der Pause kam Boris zu mir.

„Juri Wassiljewitsch, darf ich mich auf einen anderen Platz setzen?'

Ich war der Klassenleiter und hatte fragen mussen: Weshalb? Aber die Geschichte hing mir nachgerade zum Halse heraus. Ich war es uberdrussig zu tun, als wu?te ich nicht, was gespielt wurde.

So sagte ich nur: „Gut, zieh um.'

„Danke', murmelte Boris, ohne mich anzusehen, und ging fort.

Wahrend der gro?en Pause kam Kolja Bokow ins Lehrerzimmer.

Er bat mich in eine Ecke, wo wir nicht gehort werden konnten, und flusterte:

„Juri Wassiljewitsch, was die Klasse macht, ist nicht richtig. Ich meine a + b.'

„Es ist abscheulich. Du kannst den anderen bestellen, falls sich das noch einmal wiederholt...'

„Naturlich', flusterte Kolja, „was geht es uns an, wenn sich zwei verlieben.'

Er beobachtete mich, um zu sehen, welchen Eindruck seine Worte machten.

„Gut. Und was willst du hier?'

„Es gehort sich nicht fur einen Pionier', erwiderte Kolja.

Ein merkwurdiger Bursche, dieser Bokow, ordentlich, sauber, bescheiden, aber er liebte es, gewichtige Worte in den Mund zu nehmen. Das hatte ich schon mehrmals feststellen konnen. Ich wu?te auch, da? er Radushny heimlich ha?te. Vergangenes Jahr hatten beide lange gewetteifert, wer wohl der witzigere sei. Die anderen mochten Koljas Spa?e nicht sonderlich. Sie waren ihnen zu gesucht, zu offensichtlich gewollt. Radushny kam auf den ersten Platz.

Ich uberlegte: Worauf will er nur hinaus? „Du hast ganz recht', erwiderte ich, „es gehort sich nicht fur einen Pionier. Nur verstehe ich nicht, weshalb du mit mir daruber sprichst. Das mu?t du demjenigen sagen, der solchen Unfug an die Tafel schreibt. Wei?t du, wer es war?' Bokow wurde rot.

„Nun — eigentlich — das hei?t ...', stotterte er. „War es Radushny?' 

„Nun — eigentlich — habe ich es nicht selber gesehen.'

Er lie? den Kopf hangen und fingerte an der Gurtelschnalle. Sein ganzes Gebaren deutete darauf hin, da? ich ins Schwarze getroffen hatte.

Ich zuckte mit den Schultern. „Wenn du es nicht gesehen hast, brauchen wir kein Wort mehr daruber zu verlieren. Geh in die Klasse.'

Nach dem Unterricht hielt ich Radushny zuruck. „Hor zu, Kostja, wenn ich auf der Tafel noch einmal solchen Blodsinn sehe, geht es einem Schuler schlecht.' 

„Welchem Schuler?'

„Dem Schmierfinken.'

„Eigentlich ist doch nichts dabei', meinte Kostja. „Ein kleiner Scherz. Aber die beiden zieren sich — unheimlich. Sie wissen ja selbst, wenn jemand keinen Spa? vertragt, zieht man ihn gern noch mehr auf.' Ich war emport. „Warum macht ihr euch uber sie lustig?'

„Na ja, sie gehen immer zusammen und schreiben Briefe. Wenn man sich taglich sieht, braucht man die Post nicht zu belastigen. Das ist lacherlich. Sehen Sie mal, Juri Wassiljewitsch, dort ist die Melnikowa.'

Ich schaute durchs Fenster. Anja ging langsam uber den Schulhof. Sie schritt durchs Tor, blickte sich um und verschwand.

„Und an der Ecke steht Jewremow. Er denkt, wir wissen das nicht. Sehen Sie, dort, am Zaun.'

Zwischen den Hausern tauchte Anja wieder auf, nicht mehr allein, in Begleitung von Boris.

„Was habe ich gesagt!' rief Kostja triumphierend aus.

Ich erwiderte trocken: „Also, Radushny, entweder nie mehr ein Plus an der Wandtafel, oder...' 

„Damit habe ich nichts zu tun', erklarte Kostja unbekummert.

„Wer sonst?' 

„Keine Ahnung.' 

„Das glaube ich dir nicht.'

„Bitte sehr.' Kostja machte ein gekranktes Gesicht. „Wenn was los ist, steckt Radushny dahinter. Das bin ich gewohnt.'

Auf seine beleidigte Miene gab ich nicht viel. Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, da? er die Gabe besa?, jederzeit den Ausdruck anzunehmen, der am zweckma?igsten schien. Offenbar mi?traute ich ihm zu Recht. Von Stund an horte der Unfug mit „a + b' auf.

Ein Monat verging. Ich wu?te nicht, da? in der Klasse noch jemand von Anja und Boris gesprochen hatte. Die beiden trafen sich nicht mehr heimlich, sondern verlie?en zusammen das Schulgebaude, obwohl sie nach wie vor getrennt sa?en. Der Unterricht verlief ohne Storungen. Ich war zufrieden.

Doch ich sollte mich zu fruh gefreut haben.

Unser Stadtchen besteht zur Halfte aus Holz- und zur Halfte aus Steinhausern. Nach drei Seiten ist der Ort von hohen Hugelketten eingeschlossen, die vierte gibt den Weg zum Meer frei, das sich in einer breiten Bucht herandrangt. Unsere Schule steht auf einem Hugel in unmittelbarer Nahe der Bucht. Das ist ein Ungluck.

Durch den Gurtel der Nadelbaume dringt das Gerassel von Ankerketten und das Knattern der Motorboote heruber. Wenn die Kinder durch die Klassenfenster einen Trawler erspahen, ratseln sie herum, wo er hinfahrt. Der Streit beginnt zwar in der Pause, wird aber nicht selten wahrend der Stunde fortgesetzt.

Links von der Schule flie?t die Niwa. Auch das ist ein Ungluck. Die Flutwellen dringen in den Flu? ein. Diejenigen Schuler, die am Fenster sitzen, finden ein unerklarliches Vergnugen daran, die Bewegungen des Wasserspiegels zu verfolgen und herumzuraten, wie lange es dauern wird, bis die kleine Insel in der Mitte der Niwa nicht mehr zu sehen ist.

Die schonste Zeit fur den Lehrer ist der Winter. Der wahrt bei uns ein halbes Jahr. Kein Wasserflugzeug surrt durch die Luft, die Trawler laufen nicht aus. Der Flu? ist eine glatte, wei?e Flache, auf der es nichts gibt, was die Blicke fesseln konnte. Desgleichen die Bucht: erstarrt, mit Schnee bedeckt. Am anderen Ende der Niwa erhebt sich der „Frauleinsfels', eine steile Wand. Uberall nur Schnee und Stein. So la?t sich's aushalten. Im Winter kommen die Schuler besser voran. Nur der letzte machte in dieser Beziehung eine Ausnahme.

Als ich an einem Februarmorgen in die Klasse trat, sah ich, da? sich samtliche Schuler vor den Fenstern drangten. Sie stie?en sich an, fa?ten einander um die Schultern, lachten und waren derma?en ubermutig, da? ich funf Minuten brauchte, um sie leidlich zu beruhigen.

„Was gibt's dort Interessantes zu sehen?' „Das la?t sich schlecht beschreiben', meinte Radushny. Er strahlte vor Freude.

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