gehabt, ihm darob zu zurnen, ihm seine unzeitige Auferstehung vorzuwerfen! Man hat doch wahrlich das Recht, wieder aufzuerstehen, wenn man nicht ganz todt ist!«
So etwa au?erte sich Harris T. Kymbale… doch man hatte ihn nur dabei horen mussen.
»Und was meinen Sie, fragte man ihn, wird wohl am 15. April geschehen?
– Was? Nun jedenfalls wird Meister Tornbrock Schlag zwolf Uhr das Testament eroffnen…
– Und Sie zweifeln nicht daran, da? die »Sechs« zu alleinigen Erben des Verstorbenen eingesetzt werden?
– Gewi? nicht!… Warum, ich bitte Sie, sollte uns William I. Hypperbone zur Begleitung seines Leichenzugs bestimmt haben, wenn er uns nicht sein Vermogen zukommen lassen wollte?
– Ja… wer wei??…
– Das fehlte blos noch, uns ohne Schadloshaltung so arg belastigt zu haben!… Bedenken Sie nur… ein Weg von elf Stunden!
– Ist aber nicht zu vermuthen, da? das Testament mehr oder weniger sonderbare Bestimmungen enthalten werde?
– Das ist wohl moglich, und wenn man sich das Original von Mann vorstellt, ist ja etwas derartiges zu erwarten. Nun wohl, ist, was er verlangt, uberhaupt moglich, so wird es erfullt werden, ist es unmoglich, so… nun, das wei? ich nicht. Jedenfalls, liebe Freunde, durfen Sie auf Harris T. Kymbale zahlen… er wird vor nichts zuruckschrecken!«
Nein, schon um der Ehre des Journalismus willen wurde er nicht zuruckweichen, darauf konnten sich alle verlassen, die ihn kannten und auch alle, die ihn nicht kannten, wenn es unter der Bevolkerung Chicagos solche Leute gab. Welche Bedingungen der Verstorbene auch gestellt haben mochte, der erste Stadtberichterstatter der »Tribune« nahm sie im voraus an und wollte sie erfullen. Handelte es sich um eine Reise nach dem Monde, so wurde er eben abreisen, und wenn ihm nicht aus Mangel an Luft der Athem ausging, wurde er unterwegs auch nicht verweilen.
Welch ein Unterschied zwischen diesem entschlossenen Amerikaner und seinem Miterben fur ein Sechstel, jenem Hermann Titbury, der in dem Handelsviertel wohnte, das von Norden nach Suden von der langgestreckten Robey Street durchschnitten wird.
Als die Vertreter der »Staatszeitung« an die Hausthur der Nr. 77 geklopft hatten, gelang es ihnen nicht einmal, uber die Schwelle zu kommen.
»Herr Hermann Titbury, riefen sie durch die ganz wenig geoffnete Thur, ist er vielleicht zu Hause?
– Ja, antwortete eine Art Riesin, deren schlecht geordnetes Haar und nachlassige Kleidung sie als weiblichen Drachen erscheinen lie?.
– Konnten wir ihn sprechen?
– Das will ich Ihnen sagen, wenn ich Frau Titbury darum gefragt habe.«
Es gab hier namlich eine Frau Titbury im Alter von funfzig Jahren, die zwei Jahre alter als ihr Gatte war. Die Antwort aber, die diese Matrone sandte und die eine Dienerin getreulich ubermittelte, lautete:
»Herr Titbury kann Sie nicht empfangen, er wundert sich, da? sich uberhaupt jemand erlaubt, ihn zu storen!«
Und hier handelte es sich doch nur darum, Zutritt in sein Bureau, nicht in sein Speisezimmer zu erhalten, ihn um einige Auskunft uber seine Person zu ersuchen, nicht aber, an seiner Tafel Platz zu nehmen…
Das Haus blieb jedoch geschlossen; die Berichterstatter der »Staatszeitung« mu?ten als »Schneider« abziehen.
Hermann und Kate Titbury bildeten das geizigste Paar, da? sich je zusammengefunden hatte, um vereint durch dieses Thranenthal zu wandern – obwohl sie ubrigens noch keine Thrane etwa aus Mitleid fur Ungluckliche vergossen hatten. Es waren zwei verdorrte, gefuhllose Herzen mit ubereinstimmendem Schlage. Zum Gluck hatte der Himmel diesem Bunde seinen Segen vorenthalten – ihre Linie sollte mit ihnen erloschen. Sie waren reich, doch stammte ihr Vermogen weder vom Handel noch von einem Gewerbe her. Beide – die Frau hatte namlich ebensoviel wie der Mann darin gearbeitet – hatten sich den Schmuggelgeschaften des Winkelbanquiers, des Pfandleihers, des Aufkaufers von Forderungen zu niedrigem Preise, des Bewucherers der kleinen Leute, kurz, des Halsabschneiders gewidmet, die ihre Mitmenschen ohne Uebertretung der Gesetze plundern – Gesetze, hat ein gro?er franzosischer Romandichter gesagt, die eine herrliche Sache fur alle Schurken waren, wenn es… keinen Gott gabe!
Ihre Vorfahren, soweit man diese »Ahnenreihe« verfolgen konnte, schienen deutscher Abstammung gewesen zu sein, wofur auch der Vorname Hermann des letzten Vertreters der Sippe sprach.
Dieser war ein dicker, untersetzter Mann mit rothem Barte, und auch sein Ehegespons hatte rothes Haar. Eine eiserne Gesundheit ersparte es den Leuten, je einen Dollar fur Arzneien oder fur den Besuch eines Arztes opfern zu mussen. Mit einem Magen, der alles zu verdauen fahig war, und um den sie viele ehrbare Leute beneideten, lebten sie sozusagen von nichts, und ihre Magd hatte sich schlie?lich auch darein gefunden. Seit Titbury sich von den Geschaften zuruckgezogen hatte, unterhielt er keine Beziehungen mit der Au?enwelt mehr und lie? sich vollig von seiner Frau leiten, einer Haustyrannin von schlimmster Art, die, wie man sagt, gleich mit dem Schlusselbunde schlief.
Das Paar bewohnte ein Haus mit schmalen, vergitterten Fenstern, das schon mehr an einen versteckten eisernen Geldschrank erinnerte. Seine Thur offnete sich ubrigens niemals, weder fur einen Fremden, noch fur ein Mitglied der Familie, weil die Leute eine solche nicht hatten, auch fur keinen Freund, weil sie nie einen gehabt hatten. Heute blieb sie naturlich auch vor den abgeschickten Auskunftsjagern hartnackig geschlossen.
Immerhin war es auch ohne unmittelbare Befragung des Ehepaares Titbury leicht genug, dessen Gemuthsverfassung zu beurtheilen, wenigstens von dem Tage an, wo sie der Gruppe der »Sechs« zuzuzahlen waren. Welch wunderbare Wirkung schon, als Hermann Titbury in der beruhmten ersten Aprilnummer der »Tribune« seinen Namen las! Doch gab es denn keine anderen Chicagoer dieses Namens? – Keinen einzigen, wenigstens nicht in Nr. 77 der Robey Street. Von dem Argwohn, da? er das Opfer eines Spa?vogels sein konnte, war bei ihm gar keine Rede, Hermann Titbury sah sich schon im Besitz des sechsten Theils jenes ungeheueren Vermogens, und sein gro?tes Bedauern, ja sein Aerger war es nur, vom Schicksal nicht als einziger Erbe ausersehen zu sein. Er empfand gegen seine Miterben auch mehr als Neid, einen wirklichen Ha? – ganz ebenso wie der Commodore Urrican – und was Frau Titbury und er von den andern Funf dachten, das uberlassen wir besser dem Leser sich selbst auszumalen.
Unzweifelhaft hatte das Schicksal einen seiner gewohnten groben Irrthumer begangen, als es diese uninteressante, wenig ansprechende Personlichkeit berief, einen Theil der Hinterlassenschaft William I. Hypperbone’s zu erhalten, wenn das uberhaupt in der Absicht dieses Sonderlings gelegen hatte.
Schon am Tage nach der Bestattung hatten Herr und Frau Titbury ihre Wohnung des Morgens um funf Uhr verlassen und sich nach dem Oakswoodsfriedhofe begeben, wo sie den Grabwarter wecken lie?en.
»Nichts Neues… vergangene Nacht? fragten sie lebhaft mit vor Unruhe zitternder Stimme.
– Nicht das Geringste, antwortete der Warter.
– Er ist also wirklich todt?
– So todt wie irgend moglich! Beruhigen Sie sich getrost!« antwortete der brave Mann, der vergebens eine Belohnung fur seine trostliche Auskunft erwartete.
Ja, sie konnten wohl etwas ruhiger sein! Der Verstorbene war aus dem ewigen Schlummer nicht erwacht und nichts hatte die Ruhe der stillen Bewohner des Oakswoodsfriedhofes gestort.
Herr und Frau Titbury kehrten nach Hause zuruck, doch am Nachmittage und am Abend machten sie nochmals, und darauf auch am folgenden Morgen, den langen Weg, um sich personlich zu uberzeugen, da? William I. Hypperbone nicht in diese niedere Welt zuruckgekommen sei.
Nun war das Paar, das in dieser seltsamen Geschichte eine Rolle mitspielen sollte, seiner Sache endlich sicher und auf jedem Schritte brachten ihm Nachbarsleute ihren Gluckwunsch zu den glanzenden Aussichten, die es hatte. mehr oder weniger aufrichtig entgegen.
Als die beiden Reporter der »Freien Presse« nach dem nicht weit von der Mitte der Stadt gelegenen Calumetsee und der in einem volkreichen, gewerbthatigen Viertel gelegenen Calumet Street gekommen waren, erkundigten sie sich bei den Schutzleuten nach dem Hause Tom Crabbe’s.
Das Haus Tom Crabbe’s, oder richtiger das seines Traineurs, hatte die Nr. 7. In der That war es John Milner, der jenen zu den denkwurdigen Kampfen abrichtete, aus denen die theilnehmenden Herren sehr haufig mit geschwollenen Augen, zerschmetterter Kinnlade, von ein oder zwei Seiten eingedruckter Brust und mit um einige