Jovita Foley erste Verkauferin war, den Tag verbracht hatten, gingen sie miteinander heim. Nur selten sah man die eine ohne die andere.
Wenn Lissy Wag unter diesen Umstanden dem eifrigen Zureden ihrer Freundin nachgab, so stimmte sie doch nicht zu, die Berichterstatter des »Chicago Herald« zu empfangen, die sich noch am Abend in Nr. 19 der Sheridan Street einfanden.
Vergebens redete ihr Jovita Foley zu, nicht so zugeknopft zu sein – sie wollte von einem Interview einmal nichts wissen. Nach den Reportern kamen dann die Photographen, um ihr indiscretes Objectiv auf sie zu richten… nach den Photographen noch Neugierige aller Art… Nein, es sei besser, die Wohnung gegen alle unwillkommenen Besucher verschlossen zu halten. Was Jovita Foley auch einwenden mochte – jedenfalls war das das Klugste, und dem »Chicago Herald« entging die Gelegenheit, seinen Lesern mit einem sensationellen Artikel aufzuwarten.
»Nun, meinte Jovita Foley, als die Journalisten mit herabhangendem Ohr abgezogen waren, Deine Thur hast Du ja verschanzt, der offentlichen Aufmerksamkeit wirst Du aber darum doch nicht entgehen. Ah, wenn ich es gewesen ware!… Und das sage ich Dir im voraus, Lissy, ich werde Dich zu zwingen wissen, allen Bedingungen des Testaments nachzukommen. Bedenke doch, meine Beste… dieser Antheil an einem fast unerhorten Vermogen…
– O, an diese Erbschaft glaub’ ich blutwenig, liebe Jovita, erwiderte Lissy Wag, und wenn es sich dabei nur um den tollen Einfall eines uberspannten Spa?vogels handelt, wird es mir keine gro?en Schmerzen machen.
– Daran erkenne ich meine Lissy, rief Jovita Foley, sie an sich heranziehend, keine Schmerzen, wo von einem solchen Vermogen die Rede ist…
– Sind wir beide denn nicht glucklich?…
– Zugegeben, doch wenn ich es gewesen ware!… wiederholte das ehrgeizige junge Madchen.
– Nun… und wenn Du es warst?…
– Da wurde ich zuerst mit Dir theilen, Lissy…
– Ganz wie ich es selbstverstandlich thun wurde! antwortete Mi? Wag, die uber die in der Luft schwebenden Versprechungen ihrer Freundin lachen mu?te.
– Du, mein Himmel, wenn’s nur erst der 15. April ware! rief Jovita Foley. Wie lang wird mir die Zeit bis dahin werden!… Ich zahle schon die Stunden… die Minuten…
– Verschone mich nur mit den Secunden! fiel ihr Lissy ins Wort. Wahrlich, das waren ihrer zu viele!
– Kann man noch scherzen, wo es sich um eine so ernste Angelegenheit handelt… um Millionen von Dollars, die dabei ins Spiel kommen…
– Oder eher Millionen von kleinen Aergernissen, von Beschwerden, wie ich sie schon diesen ganzen Tag gekostet habe! erklarte Lissy Wag.
– Du bist zu empfindlich, Lissy!
– Und siehst Du, Jovita, ich frage mich immer, womit die Sache enden werde…
– Ei, die endet mit dem Ende, rief Jovita Foley, ganz wie alle Dinge dieser Welt!«
Das war also die sechste der Miterben – niemand zweifelte ja daran, da? diese sich in die ungeheuere Hinterlassenschaft theilen sollten – die William I. Hypperbone zu seinem Begrabni? eingeladen hatte. Diese unter allen bevorzugten Sterblichen brauchten sich nur vierzehn Tage in Geduld zu fassen.
Endlich verstrichen die zwei langen Wochen… der 15. April kam heran.
An diesem Morgen legten, entsprechend der letztwilligen Vorschrift und in Gegenwart Georges B. Higginbotham’s und des Notars Tornbrock, Lissy Wag, Max Real, Tom Crabbe, Hermann Titbury, Harris T. Kymbale und Hodge Urrican ihre Karten auf den Sarg William I. Hypperbone’s nieder. Dann wurde der Deckel uber die Ruhestatte gelegt. Der excentrische Entschlafene hatte nun auf dem Oakswoodsfriedhofe keine Besucher mehr zu empfangen.
Funftes Capitel.
Das Testament.
Am 15. April war das neunzehnte Quartier von ganz fruh an von Menschen uberfullt. Der Andrang der Menge schien thatsachlich ebenso gro? zu werden wie damals, als der endlose Leichenzug William I. Hypperbone nach seiner letzten Wohnstatte geleitete.
Die dreizehnhundert taglichen Bahnzuge Chicagos hatten schon am Tage vorher viele tausend Fremde nach der Stadt befordert. Das Wetter versprach herrlich zu werden. Ein frischer Morgenwind hatte den Himmel von den Dunsten der Nacht gesaubert. Die Sonne schwebte lachend uber dem fernen Horizonte des Michigansees, der an der Oberflache leichte Wellenstreifen zeigte und dessen Brandung wie spielend das Ufer koste.
Durch die Michigan Avenue und die Congre? Street walzte sich der brausende Menschenstrom einem ungeheueren Gebaude zu, das an einer Ecke ein dreihundertzehn Fu? hoher viereckiger Thurm uberragte.
Die Liste der vornehmeren Gasthauser der Stadt ist ziemlich lang. Dem Reisenden wurde deshalb die Wahl recht schwer. Doch wohin ihn die Cabs fur je funfundzwanzig Cents die (amerikanische) Meile auch fuhren mochten, nie kam er in die Verlegenheit, keinen Platz zu finden. Ein in europaischer Weise ausgestattetes Zimmer erhielt er fur den Tagespreis von zwei bis drei, eins in amerikanischem Geschmack fur den von vier bis funf Dollars.
Unter den Hotels ersten Ranges nennt man das Palmer House in der State and Monroe Street, das Continental in der Wabash Avenue and Monroe Street, das Commercial und das Fremont House in der Dearborn und Lake Street, die Alhambra in der Archer Avenue, ferner die Hotels Atlantic, Wellington, Saratoga und noch zwanzig andere. An Umfang, Ausstattung, lebhaftem Verkehr, wie durch vernunftige Hausordnung, die es jedermann anheimgiebt, nach europaischer oder nach amerikanischer Sitte zu leben, ubertrifft alle das Auditorium, eine machtige Karawanserai, deren zehn Stockwerke sich an der Ecke der Congre? Street und der Michigan Avenue gegenuber dem Lake-Park aufeinanderthurmen.
Das ungeheuere Bauwerk kann aber nicht allein Tausenden von Reisenden Unterkommen bieten, es enthalt auch ein Theater fur nicht weniger als achttausend Zuschauer.
Wahrend dieser »Matinee« – ein Ausdruck, der von jenseits des Atlantischen Oceans her hier ubernommen wurde – sollte das Haus fast noch mehr als das Maximum an Gasten haben und dasselbe durfte bezuglich der Einnahme gelten. Ja, der baaren Einnahme, denn nach dem glucklichen Einfall, die Namen der »Sechs« nur dem Hochstbietenden mitzutheilen, hatte der Notar Tornbrock auch noch den gehabt, alle, die der Verlesung des Testaments im Theater des Auditoriums beiwohnen wollten, ihren Platz bezahlen zu lassen. Das ergab weitere zehntausend Dollars zu Gunsten der Armen, denn die Einnahme sollte zu gleichen Theilen den Hospitalern der Alexian Brothers und des Maurice Porter Memorial for Children zugewendet werden.
Die Neugierigen aus der ganzen Stadt beeilten sich denn auch heranzustromen, ja die Leute kampften noch um die geringsten Platze. Auf der Buhne sah man den Burgermeister und die Stadtrathe, etwas dahinter die um ihren Vorsitzenden Georges B. Higginbotham gescharten Mitglieder des Excentric Club, ein wenig mehr im Vordergrunde und schon nahe der Rampe in einer Reihe die »Sechs« – jeden davon in der Erscheinung, die seiner gesellschaftlichen Stellung entsprach.
Lissy Wag, sehr eingeschuchtert, sich in dieser Weise vor Tausenden begieriger Augen ausgestellt zu sehen, bewahrte auf ihrem Armstuhl mit gesenktem Kopfe die gewohnte bescheidene Haltung.
Harris T. Kymbale machte es sich freudestrahlend auf dem seinigen bequem und begru?te eine Menge Collegen von Zeitungen jeder Richtung, die sich mehr in die Mitte des Parquets gedrangt hatten.
Der mit wild rollenden Augen dasitzende Commodore Urrican schien Streit mit jedem Beliebigen zu suchen, der es wagen wurde, ihm ins Gesicht zu starren.
Max Real betrachtete sorglos die bis in die hochsten Range vertheilte dichte Menge, an der eine Neugier nagte, die er kaum theilte, er blickte vielmehr fast ausschlie?lich auf die reizende junge Dame, seine Nachbarin, hin, deren gedruckte Haltung ihm lebhaftes Interesse einflo?te.
Hermann Titbury berechnete fur sich, wie hoch die heutige Einnahme hier sein werde – ein Wassertropfen gegenuber den Millionen der Erbschaft.
Tom Crabbe wu?te eigentlich nicht, warum er hier sei. Er sa? auf keinem Armstuhl – der seine ungeheure Masse gar nicht hatte aufnehmen konnen – sondern auf einem breiten Sopha, dessen Beine unter seiner Last