Menge noch eine Stunde langer zu beleuchten – kurz, eines jener wunderbaren Dinge, die dann auch die rabiatesten Freigeister nicht hatten ableugnen konnen…

Fur diesmal blieb es freilich bei der Unveranderlichkeit der Naturgesetze, das Weltall wurde durch keine Erscheinungen hoherer Ordnung gestort.

Jetzt war die Zeit herangekommen, den Sarg vom Wagen zu heben, ihn ins Innere des Mausoleums zu befordern und im Grabe beizusetzen. Er sollte von acht Dienern des Verstorbenen, die in Galalivree gegenwartig waren, getragen werden. Diese traten nun heran, schlugen die Vorhange zuruck, setzten ihn sich auf die Schultern und schritten auf die Pforte des Gitters zu.

Die »Sechs« begleiteten sie in derselben Anordnung und Reihenfolge wie seit dem Aufbruche von dem Prachtgebaude in der La Salle Street. Die zur Rechten hielten mit der linken Hand, die zur Linken mit der rechten die silbernen Handgriffe des Sarges, wie ihnen das von dem Ceremonienmeister gesagt worden war.

Die Mitglieder des Excentric Club, die Civil-und Militarbeamten folgten ihnen nach. Dann schlo? sich schon die Gitterthur, und doch konnte der Vorraum, der Saal und der Chorbau kaum die Eingetretenen aufnehmen.

Drau?en schlossen sich die ubrigen eingeladenen Zugtheilnehmer enger zusammen, die Menge lie? sich an verschiedenen Stellen des Oakswoodssriedhofs nieder und viele Menschen hatten die das Mausoleum umgebenden Baume erklettert.

In diesem Augenblick schmetterten die Trompeten der Miliz, da? die Lungen der Blaser davon hatten platzen mogen, und man hatte glauben konnen, ins Thal Josaphat zur Abhaltung des Jungsten Gerichts versetzt zu sein.

Gleichzeitig flatterten unzahlige, mit vielfarbigen Bandern geschmuckte Vogel auf, die sich uber dem Weiher und unter den Baumkronen tummelten und voller Freude uber die wiedergewonnene Freiheit zwitscherten und schrien – das Ganze hatte den Anschein, als schwebe die Seele des Entschlafenen, von ihnen getragen, dem Himmel entgegen.

Sobald die Stufen des Vorbaues erstiegen waren, verschwand der Sarg durch das erste Portal, dann durch das zweite und hielt nun wenige Schritte vor dem offenen Grabe an, in das die Trager ihn niederlie?en.

Nochmals erklang die Stimme des Pfarrers Bingham in dem Gebete, da? Gott dem entschlafenen William I. Hypperbone die Thore des Himmels gnadig offnen und ihm die ewige himmlische Seligkeit gewahren moge.

»Ehre dem ehrbaren Hypperbone! rief laut und deutlich die Stimme des Ceremonienmeisters.

– Ehre ihm! Ehre ihm! Ehre ihm!« antworteten dreimal die Umstehenden.

Und nach ihnen schallte drau?en das gleiche letzte Lebewohl von Tausenden von Stimmen durch die Luft.

Hierauf schritten die »Sechs« feierlich um die Grabstatte herum, wurden dabei von Georges B. Higginbotham dankend begru?t und schickten sich dann an, den Saal zu verlassen.

Jetzt war also nur noch die schwere Marmorplatte auf das Grab zu legen, auf die spater Namen und Titel des Verstorbenen eingemei?elt werden sollten.

Da trat aber der Notar einige Schritte vor, zog das Schriftstuck mit den fur die Bestattung getroffenen Bestimmungen aus der Tasche und las daraus die letzten Zeilen folgenden Inhalts vor.

»Es ist mein Wille, da? mein Grab noch zwolf Tage offen stehen bleibe und da? nach dieser Frist, am Morgen des zwolften Tages, die sechs durch das Los bestimmten Personen, die meinem Begrabni? beigewohnt haben, ihre Visitenkarten auf meinen Sarg niederlegen. Dann wird der Deckstein aufgelegt werden und Meister Tornbrock soll am genannten Tage Schlag zwolf Uhr im Saale des Auditoriums erscheinen und mein in seiner Hand befindliches Testament offentlich bekannt geben.

William I. Hypperbone.«

Er war entschieden ein Original, der Verstorbene, und wer konnte wissen, ob diese Schrulle von ihm die letzte sein werde.

Die Leidtragenden zogen sich nun zuruck; der Friedhofswarter verschlo? die Thuren des Mausoleums und dann die des Gitters.

Es war nahe an acht Uhr. Das Wetter hatte sich recht gut gehalten. Ja, der Himmel schien trotz der Abenddunkelheit vollig klar zu sein. Unzahlige Sterne flimmerten am Firmament und mischten ihren sanften Lichtschein mit dem der elektrischen Lampen, die das Mausoleum umgaben.

Langsam verschwand auch die Menschenmenge aus dem Friedhofe – die Leute mochten von dem anstrengenden Tage tuchtig ermudet sein. Kurze Zeit horte man aus den Nachbarstra?en noch das Gerausch von Schritten, dann zog in das entlegene Quartier der Oakswoods die nachtliche Ruhe ein.

Viertes Capitel.

Die »Sechs«.

Am folgenden Tage gab sich Chicago wieder seiner vielseitigen Thatigkeit hin. Die verschiedenen Quartiere der Stadt zeigten wieder das alltagliche Aussehen. Drangte sich die Bevolkerung auch nicht wie am Tage vorher zur Beiwohnung eines glanzenden Begrabnisses auf den Avenuen und Boulevards hin, so blieb ihr Interesse fur die Ueberraschungen, die William I. Hypperbone’s Testament noch erwarten lie?, doch rege genug. Welche Klauseln mochte es enthalten, welche Bedingungen, sonderbare oder gewohnliche, wurde es den »Sechs« noch zu erfullen auferlegen und wie wurden diese in den Besitz der Erbschaft kommen, vorausgesetzt, da? das Ganze nicht auf eine… Nasfuhrung hinauslief, die ja eines Mitgliedes des Excentric Club ganz wurdig gewesen ware?…

Und doch, diese Moglichkeit wollte niemand zugeben. Man straubte sich allgemein, zu glauben, da? Mi? Lissy Wag, sowie die Herren Urrican, Kymbale, Titbury, Crabbe und Real bei der Geschichte nur Tauschungen erleben und der Lacherlichkeit preisgegeben werden sollten.

Nun hatte es ja ein sehr einfaches Mittel gegeben, einestheils die offentliche Neugierde zu befriedigen und anderseits die bei der Sache besonders Betheiligten ihrer Ungewi?heit, die ihnen Schlaf und Appetit zu rauben drohte, zu entrei?en. Es genugte dazu, das Testament zu eroffnen und davon Einsicht zu nehmen. Das war aber ausdrucklich vor dem 15. des laufenden Monats verboten, und der Notar Tornbrock hatte sich niemals bestimmen lassen, die ihm von dem Testator auferlegten Pflichten zu verletzen. Am 15. April zu Mittag und im Saale des Auditoriums wurde er vor so vielen Anwesenden, als dort Platz finden konnten, das Testament William I. Hypperbone’s verlesen… am 15. April um zwolf Uhr, keinen Tag eher, keine Minute spater.

Hier mu?te man sich also fugen, ein Zwang, der die Spannung der Chicagoer Bevolkerung freilich immer mehr steigern mu?te, je naher der gro?e Tag herankam. Ueberdies sorgten die zweitausendfunfhundert Tageszeitungen und die funfzehntausend ubrigen Wochen-, Monats-und Zweimonatsblatter der Union dafur, da? die hohe Erregung nicht ermattete. Waren diese auch nicht, nicht einmal durch Vermuthung, im Stande, den uber den Geheimnissen des Verstorbenen lagernden Schleier zu luften, so unterlie?en sie es wenigstens nicht, die »Sechs« der Pein eines Interviews zu unterwerfen, um zunachst uber deren gesellschaftliche Stellung Aufklarung verbreiten zu konnen.

Wenn wir hier einfugen, da? sich die Photographie von den Zeitungen nicht uberholen lie?, da? gro?e und kleine Bilder in ganzer Figur, in Kniestucken und Busten zu Hunderttausenden in Verkehr gebracht wurden, so wird man gern zugestehen, da? die »Sechs« bestimmt waren, zu dem Range der am meisten gesehenen Personlichkeiten der Vereinigten Staaten von Amerika erhoben zu werden.

Die Berichterstatter der »Chicago Mail«, die bei Hodge Urrican, Randolph Street 73, vorsprachen, fanden einen recht ublen Empfang.

»Was wollen Sie von mir? erhielten sie mit keineswegs erkunstelter Heftigkeit als erste Antwort. Ich wei? nichts… habe Ihnen nichts zu sagen! Es waren ja au?er mir noch funf dort neben dem Leichenwagen, die ich ebenso gut wie den Adam und seine Eva kenne! Und wenn das fur den oder jenen davon schlecht abliefe, wurde es mich gar nicht wundern!… Ich fuhlte mich da wie ein Frachtkahn am Tau eines Schleppschiffs und mu?te die Galle, die mir uberlaufen wollte, mit Gewalt zuruckhalten. Ah, dieser William Hypperbone. – Gott hat jetzt seine Seele und moge sie ja behalten – wenn er mich genarrt hat, wenn er mich zwingt, die Flagge vor jenen funf Eindringlingen zu streichen, dann nehme er sich in acht… wenn er auch todt und schon begraben ist, ja wenn ich bis zum Jungsten Gericht warten mu?te, dann soll ihn…

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