Hypperbone spielte ja aber der Zufall eine so hervorragende Rolle. Die beiden einzigen Augenzahlen, die der Reporter zu furchten hatte, waren zwolf, wodurch er wieder hatte nach Nebraska gehen mussen, und zehn – verdoppelt – wodurch er gezwungen worden ware, Tom Crabbe im Gefangni? von Missouri seine Ehrerbietung zu erweisen.
Obwohl er uber vierzehn Tage, vom 18. Juni bis zum 2. Juli, verfugen konnte, sich nach Suddakota zu begeben, wollte Harris T. Kymbale doch keinen Tag verlieren. Ohne einen Reiseplan abzuwarten, den ihm der zuvorkommende Secretar der »Tribune«, Bruman S. Bickhorn, jedenfalls noch nach Olympia schickte, entwarf er seine Reiseroute, und zwar in befriedigendster Weise, diesmal ganz allein.
Das Gebiet von Sud-und auch das von Norddakota ist von dem Washingtons durch zwei Staaten, Idaho und Montana, getrennt. Jener Zeit war die Northern Pacificbahn fur den Verkehr eroffnet worden. Auf dem Wege durch Wisconsin, Minnesota, Norddakota, Montana und Idaho setzte sie Chicago und folglich auch New York mit der Hauptstadt von Washington in Verbindung. Von Olympia bis Fargo an der Ostgrenze Norddakotas rechnet man etwa dreizehnhundert Meilen (2092 Kilometer) und vierhundert (643 Kilometer) von Fargo bis Yankton im Suden von Suddakota, zusammen also eine Entfernung von siebzehnhundert Meilen (2735 Kilometer).
Die Zuge der amerikanischen Eisenbahnen legen nicht selten tausend Meilen in zweiunddrei?ig Stunden zuruck, ja es giebt sogar einzelne, die dazu nur vierundzwanzig Stunden brauchen. Hier mu?te man aber mit der Ueberschreitung der Felsenberge rechnen und die Moglichkeit starker Verspatungen im Auge behalten. Harris T. Kymbale wurde ubrigens Mu?e genug haben, in Yankton, in Erwartung der »Ziehung« vom 2. Juli, auszuruhen. Es war von ihm also ein verstandiger Beschlu?, Olympia gleich am nachsten Tage zu verlassen.
Ungefahr vierhundert Meilen trennen die Hauptstadt Washingtons von den ersten Abhangen der Felsenberge, und zweihundertfunfzig Meilen die westliche Seite des Gebirgstockes von der ostlichen – was demnach etwas uber sechshundert Meilen zwischen Olympia und Helena, der Hauptstadt von Montana, ergiebt Durch diesen nordlichen Theil der Vereinigten Staaten und bis nach Chicago verlauft die Northern Pacific fast parallel – doch um sechs Grade weiter nordlich – mit dem Grand Trunk. Da der Reporter zur Fahrt nach Suddakota vierzehn Tage zur Verfugung hatte, mu?te er in Yankton lange vor dem Eintreffen des Telegrammes ankommen, das ihm – davon war er uberzeugt – wieder eine gute Stellung in der Partie sichern wurde. Jedenfalls bot die Northern Pacificbahn den Vortheil, ihn durch Idaho, Montana und Norddakota zu fuhren und der »Tribune« interessante Berichte zur gro?en Befriedigung ihrer Leser zu gewahrleisten.
Von Olympia aus bewegte sich der Zug erst in nordostlicher Richtung nach Tacoma zu und dann in sudostlicher Richtung weiter, wobei er Hotspring, Clealum, Ellensburg, Toppenish und Pace-Pasco beruhrte und hier den Columbia uberschritt.
Harris T. Kymbale hielt sich meist auf dem Perron seines Waggons auf und betrachtete die herrliche Gegend, deren Landschaftsbilder – man konnte fast sagen – mit jedem Telegraphenpfahle wechselten, und die uberreich an tiefen Schluchten war, worin rauschende Creeks aus den Cascadebergen heruntersturzten. Nicht minder war er entzuckt von der sich bietenden Aussicht, als der Zug im Suden vom Mount Stuart uber den Columbiaflu? gekommen war, der von Norden nach Suden bis zu einer scharfen Biegung verlauft, jenseit der er, die Sudgrenze Washingtons bildend, endlich in den Stillen Ocean mundet.
Der gro?e Flu? ist in diesem Theile seines Laufes wenig schiffbar, da er viele Stromschnellen, wie die von Buckland, Gualquil, Islands und Priest, enthalt. Von dessen anderer Seite an durcheilt die Locomotive die gro?e columbische Wuste zwischen dem Salt Lake und dem Silikatkwa Lake, die fast ohne jede Wasserader ist und die noch heute die Waggon-roads (Fahrstra?en) erkennen la?t, welche fruher stark benutzt wurden, als die jetzt auf kleine umschlossene Gebiete beschrankten Indianersippen der Lochnasen, Aleneherzen und Puyallups hier in voller Ungebundenheit hausten.
Idaho, das zum Becken des Columbia gehort und sich im Norden an Canada lehnt, ist noch jetzt an Waldern und Weidegrunden fast ebenso reich wie fruher, bevor seine Placers (Goldfundstatten) ausgebeutet wurden. Sein Regierungssitz, Boise City am gleichnamigen Flusse, hat nur zweitausenddreihundert Seelen, und seine Hauptstadt, Idaho City, an dem Nebenflusse Snake, beherrscht durch ihren Handel und Verkehr den ganzen sudlichen Theil des Staatsgebietes. Hier bilden Chinesen einen starken Bruchtheil der Bevolkerung, und neben diesen Mormonen, denen man actives Wahlrecht nicht zugesteht, so lange sie nicht eidlich versichern, auf Bigamie und Polygamie ganzlich verzichtet zu haben.
Jenseits von Idaho, in Montana mit seinen unbeschreiblich schonen Gegenden in den Felsenbergen, erfreute sich Harris T. Kymbale wiederum an den herrlichen Aussichten, trotzdem er durch die Naturschonheiten der Sierras von Neumexiko und Washington von solchen fast ubersattigt sein mu?te. Zwischen den Thalern und Schluchten dieses Gebietes, dem nur Meridian und Parallelkreis als geodatische Grenzen dienen, stromen Tausende von Rios, Creeks und wirklichen Flussen nach Norden hin ab und bewassern die umfanglichen, fur Viehzucht besonders geeigneten Weidegrunde des Landes. Die Viehzucht bildet neben dem Bergbau auch den Hauptreichthum Montanas, denn zum Ackerbau ist sein Klima schon zu rauh. Au?erhalb der Bergregion gelegen, hat es noch mehrere, ziemlich bedeutende und von der Northern Pacific beruhrte Stadte, wie Missoula, Helena und Butte, alle drei inmitten eines Erzgebietes, wo sehr viel Gold, Silber und Kupfer gewonnen wird.
Nach Ueberschreitung des Charles Forke River und nachdem die spitzen, wiederum von den Eagle Peaks uberragten Gipfel des Wie?ner und des Stevens passirt waren, zog sich die Bahnlinie nach Helena, der Hauptstadt von Montana, hin.
Hier befand man sich in wilder Berggegend, und es bedurfte der den Amerikanern eigenen Kuhnheit, diese mit einem Schienenstrang zu uberziehen. Im nordlichen Theile des Gebietes stellten sich dem weit gro?ere Schwierigkeiten entgegen als da, wo, vierhundert Meilen sudlicher, die Union Pacificbahn erbaut worden war. Da Harris T. Kymbale diese zweite bereits auf dem Wege von Omaha nach Sacramento befahren hatte, war es ihm leicht, jetzt Vergleiche zwischen beiden anzustellen.
Leider war das Wetter nicht schon und der Himmel sah recht drohend aus. Seit vierundzwanzig Stunden hatte die elektrische Spannung in der Atmosphare ununterbrochen zugenommen. Schwere Gewitterwolken zogen vom Horizonte herauf, und Harris T. Kymbale konnte hier der Entwickelung eines jener machtigen Meteore beiwohnen, die in Gebirgsgegenden besonders gro?artig auftreten.
Das Gewitter schwoll bald zu erschreckender Heftigkeit an, zu einem jener »Blizzards«, die die Menschen in ihre Hauser geradezu einsperren. Auch die Reisenden wurden etwas unruhig, obwohl Eisenbahnzuge, selbst in voller Bewegung, wenig gefahrdet erscheinen, da das elektrische Fluidum durch die Schienen gut abgeleitet wird. Die Haufigkeit der Blitze, die einander von Secunde zu Secunde folgten, der knakernde Donner, der in endlosem Rollen widerhallte, die Blitzschlage, die Felsen und Baume langs der Bahnlinie trafen, die in Lawinen herabpolternden losgelosten Stein-und Erdmassen, das Entsetzen der Thiere, der Buffel, Antilopen, schwarzen Baren und des Damwildes… alles das bot den Reisenden am Nachmittage des 20. ein gewi? unverge?liches Schauspiel.
Damit bekam der Berichterstatter der »Tribune« nicht nur Gelegenheit, seinem Blatte mehrere hochinteressante Artikel zuzusenden, sondern auch noch eine ganz eigenartige, die Thierwelt der Felsengebirge betreffende Entdeckung mitzutheilen.
Gegen funf Uhr und im tollsten Gewitter keuchte der Zug langsam eine sehr starke Steigung hinaus. Harris T. Kymbale war auf dem Perron stehen geblieben, wahrend seine Reisegefahrten auf den Polsterbanken im Waggon sa?en. Da bemerkte er einen prachtigen Baren, einen Grizzly mit schwarzem Fell, der auf den Hintertatzen langs der Bahn hintrottete, doch durch den Kampf der Elemente, der ja auf die Thiere stets einen lebhaften Eindruck macht, geangstigt zu sein schien. Und siehe da, geblendet von einem Blitze, erhebt der Plantigrade (Plattsu?ter) die rechte Tatze bis zur Stirn, um sich regelrecht zu bekreuzen.
»Ein Bar, der das Zeichen des Kreuzes macht! rief Harris T. Kymbale. Das ist doch nicht moglich!… Ich mu? wohl falsch gesehen haben!…«
Nein, er hatte richtig gesehen, und wiederholt bekreuzigte sich der zottige Grizzly, wenn ihn ein heller Blitz erschreckte.
Nach Erreichung des Ruckens der Steigung, rollte der Zug schneller weiter und lie? den Baren bald hinter sich zuruck.
Sofort holte der Reporter sein Notizbuch heraus.
»Grizzly, schrieb er hinein, neue Art der Piantigraden. Macht wahrend eines Gewitters das Zeichen des Kreuzes. Unter der Fauna der Felsengebirge als,
Diese Notiz enthielt dann der Brief, der am nachsten Tage von Helena an die Redaction der »Tribune« abging.