also gleich am ersten Tag als Burger zweiter Klasse abgetan, der nicht einmal mit dem deutschen Rechtsschutz im Ausland rechnen darf.
Noch schlimmer sind die Kinder dieser unfreiwilligen Doppelburger dran, denn sie kommen nicht als Kontingentfluchtlinge auf die Welt, sondern als ganz normale Kinder und bekommen deswegen die ursprungliche Staatsangehorigkeit ihrer Eltern. Selbst wenn die Eltern aufgrund ihres besonderen Status langst Deutsche geworden sind, ihre Kinder sind es deswegen noch lange nicht. Sie werden einem Land zugeschrieben, in dem sie nie gelebt haben. In unserem Fall wurde eine Ausnahme gemacht - wegen meines Bekanntheitsgrades, wie mir unsere nette Sachbearbeiterin im Rathaus erklarte. Deswegen haben meine Kinder die deutschen Passe bekommen, allerdings unter Vorbehalt, genauer gesagt: nur bis zum Erreichen der Volljahrigkeit. Danach werden sie ausgeburgert, wenn sie nicht nachweisen, dass sie keine Esel sind, Entschuldigung, ich meine, dass sie keine andere Staatsangehorigkeit besitzen.
Als deutscher Burger schame ich mich ein wenig fur diese Gesetzgebung, die jedes Ma? an krumelkackerischer Burokratie und rucksichtsloser Unmenschlichkeit sprengt. Naturlich horen sich diese Merkblatter nur so bedrohlich an, in Wirklichkeit kann man mit ruhigem Gewissen auf sie pfeifen und sie einfach vergessen. Ich werde ja sowieso nie wieder zu diesem Staatsangehorigkeitsamt gehen mussen, so dachte ich. Dann musste ich aber doch wieder hin, als mein Vater eingeburgert wurde. Nachdem er funfzehn Jahre in Deutschland und Europa mit einem blauen »Alienpass« fur Staatenlose gelebt hatte, einem Pass, auf den die Grenzbeamten aller Lander wie Fliegen auf Schei?e reagieren, beschloss mein Vater, sich mit vierundsiebzig Jahren einburgern zu lassen. Er bildete sich ein, mit dem deutschen Dokument seine Reisefreiheit, sein Lebensgefuhl, letztendlich seine Sicherheit auf diesem Planeten zu steigern.
Weil er behindert war, musste ich ihm bei diesem Abenteuer helfen. Wir sammelten alle notwendigen Papiere, fullten die Formulare aus, machten die biometrischen Photos in einem sprechenden Spezialautomaten, beantragten die Passe und zahlten fur alles zusammen ungefahr 400,- Euro. Die Einburgerung verlief schnell und unburokratisch. Nach funf Wochen bekam mein Vater seinen Reisepass, aber gro? verreisen stand erst einmal nicht auf dem Plan. Merkblatter studieren war angesagt. Der neuerliche Besuch der Einburgerungsstelle hat mich dann zum Verfassen dieses Textes bewegt. Die Sache war namlich: Ein paar Tage spater traf ich mich mit Wolfgang Schauble zu einem Gesprach zum Thema »Wer ist Deutschland«, organisiert von einer christlichen Zeitschrift. Hatte ich ihm diese Geschichte erzahlt, hatte er wahrscheinlich gelachelt und gesagt:
»Wir leben in einer Demokratie. Es gibt hier eine Verfassung, ein Grund- und jede Menge andere Gesetze und alle haben diesen Gesetzen zu gehorchen, auch wenn manche von ihnen besser sein konnten. Diese Gesetze sind doch nicht von bosen Menschen ausgedacht, um den Guten das Leben zu erschweren! Diese Gesetze sind Deutschland, in ihnen wurde der Wille des Volkes formuliert. Auch wenn sie nicht immer an der richtigen Stelle greifen, ist es noch lange kein Grund zu meckern, und wenn es dir nicht gefallt, mein Junge, geh doch nach Russland. Da handhabt es Medwedjev bestimmt besser. Hehe.«
Vielleicht hatte er aber auch etwas ganz anderes gesagt. Aus diesen Politikern werde ich nie schlau …
Die Zugvogel
Obwohl der Kalte Krieg langst voruber ist, genie?t Russland nach wie vor im Westen einen schlechten Ruf. Wenn die Pfutzen in Berlin Mitte Oktober plotzlich einfrieren, hei?t es stets in den Nachrichten, das Tief »Natascha« oder »Iwan« habe die deutsche Grenze uberquert - die russische Luftmassen schrecken vor nichts zuruck. Mit gro?em Erstaunen lasen wir neulich in der Presse, dass auch die Vogelgrippe von den russischen Zugvogeln nach Europa eingeschmuggelt werde. Meine Nachbarin fragte mich daraufhin, ob es in Russland schon die ersten Opfer gabe.
»Gar nicht«, erklarte ich. »Die Russen haben Ostimmunitat, sie essen die Vogelgrippe zum Fruhstuck und fuhlen sich noch wohl dabei!«
Ich wollte die alte Dame nur beruhigen, sie aber glaubte nicht an meine Ostimmunitat und versteckte sich in ihrer Wohnung. Am spaten Abend stand ich auf dem Balkon, rauchte und uberlegte. Vielleicht haben die deutschen Medien Recht und es kommt tatsachlich alles Schlechte aus dem Osten? Ich konnte mich jedenfalls an nichts Gutes von dort erinnern, abgesehen von mir selbst und ein paar Freunden. Drau?en war es dunkel und still. Nur von oben horte ich die verseuchten Zugvogel laut schnattern. Ich lehnte mich ubers Balkongitter und starrte in den Himmel, um festzustellen ob die Vogel tatsachlich aus dem Osten kamen. Doch am Himmel, diffus beleuchtet von Stra?enlaternen, war nichts zu sehen. Merkwurdig, dachte ich und ging in die Wohnung zuruck. Eine Stunde spater stand ich wieder auf dem Balkon, die Zugvogel schnatterten und zwitscherten noch lauter, blieben aber weiterhin unsichtbar.
Wie immer, wenn ich auf geheimnisvolle Phanomene sto?e, die sich mit dem gesunden Menschenverstand nicht erklaren lassen, holte ich meine Frau als Expertin. Sie ging sehr kritisch an die Sache heran. Als Erstes klarte sie mich uber Vogelmigration auf. Sie meinte, dass es um diese Jahreszeit gar keine Zugvogel uber Berlin mehr geben konne, die letzten mussten langst in Afrika sein. Dann konzentrierte sie sich kurz auf die unsichtbare Gerauschquelle und identifizierte sie als die Entspannungs-CD
»Das sind bestimmt deine Freunde aus dem vierten Stock, die Russen-WG«, vermutete sie lachend.
Ich gab ihr sofort Recht. Die Nachbarn nachts mit seltsamen Vogelstimmen zu beschallen - diese Aktion trug eine klare Handschrift. So bescheuert konnen nur Russen sein. Ich ging die Treppe hoch. Die Vogel zwitscherten tatsachlich im vierten Stock, wo mein Nachbar Andrej allein zu Hause war. Er lie? mich rein und erzahlte mir mit Begeisterung, wie er neulich einen ganzen Stapel Naturgerausche fur nichts ergattert habe.
»Was willst du horen?«, fragte er. »Ich habe von Froschen bis Elefanten alles da.«
Die Naturgerausche wurden ihn in gute Stimmung bringen, meinte er. Aufgewachsen in einem Betonblock mitten in der Stadt hatte Andrej als Kind nie Kontakt zu Tieren gehabt. Das wollte er jetzt in Berlin nachholen. Wir sa?en in seinem Zimmer, tranken Tequila mit Tee, und Andrej zeigte mir Familienfotos, von seinem alteren Bruder, von den Eltern und seinem Lieblingsonkel, dessen Knast-Tattoos die einzigen Tierbilder waren, die Andrej als Kind begleitet hatten. Sein Onkel hatte wie kaum ein anderer unter der sowjetischen Diktatur gelitten und in den fruhen Siebzigerjahren fur sein antitotalitares Gedankengut und einen bewaffneten Raububerfall sechs Jahre Straflager aufgebrummt bekommen. Dort hatte er sich die Tiere eintatowiert. Auf der linken Schulter hatte Andrejs Onkel ein Meerschweinchen, auf der rechten ein Seepferdchen mit traurigen Augen. Eigentlich bedeuteten diese Tattoos in der speziellen Knast-Ikonographie Hoffnungslosigkeit und standen fur die die Tragodie des Daseins. Das Meerschweinchen auf der linken hie? »Wir sind im Arsch« und das Seepferdchen, elegant wie ein Fragezeichen, stand fur »Wozu leben?«. Doch die Tiere sahen niedlich aus, und der Onkel wirkte ungeheuer lebenslustig.
Andrej schob eine Platte nach der anderen in seinen CD-Player. Erst um drei Uhr nachts kehrte ich unsicheren Schritts in meine Wohnung zuruck und konnte noch lange danach nicht einschlafen. Kaum schloss ich die Augen, schon quakten die Frosche im Himmel, Elefanten trompeteten, Libellen summten, und der ganzkorpertatowierte Onkel meines Nachbarn lachelte mir von einem vergilbten Foto zu.
Mongolian Standard
Wir haben letzte Woche auf dem Falkplatz in Berlin gegrillt. Einmal im Monat veranstalte ich eine solche kulinarische Orgie auf diesem Platz neben dem Mauerpark gegenuber von unserem Haus. Vorher fahre ich zum turkischen Fleischer meines Vertrauens in den Wedding und kaufe dort zwei bis drei Lammkeulen, schale zu Hause ein Dutzend Zwiebeln und lege das Fleisch fur zwei Tage in einer handgemachten Marinade aus Weiswein, Pfeffer, Zwiebeln und Zitronen in einen speziellen Topf ein. Die geladenen Gaste, in der Regel sind es um die zwanzig