Russen mit Familie und ein paar Deutsche mit Russenknall, bringen zum Fleisch passenden Alkohol, Salate und Wassermelonen mit. Die Gaste treffen mit ihren Flaschen naturlich nicht gleichzeitig ein, sondern nacheinander, und mit jedem muss ich als Gastgeber ansto?en. Eine alte russische Sitte besagt, es durfen auf einer Feier weder Essen noch Getranke ubrig bleiben, wenn doch, wird man verhungern bzw. verdursten. Damit dieses Ungluck nicht passiert, muss alles aufgegessen und ausgetrunken werden.

Es war schon immer eine gro?e Kunst fur mich, nach diesen Partys einigerma?en gerade nach Hause zu kommen und mit dem Schlussel das Schlusselloch zu treffen. Auf jeden Fall war dies eine gro?ere Herausforderung, als das Fleisch vorzubereiten. Aber ich kannte einen Trick. Ich mischte Wein mit Wasser und lie? mich zu keinem anderen Getrank uberreden. Bis jetzt ist mir das fast immer gelungen. Letztes Mal hatte ich jedoch die Idee, mit meinen Nachbarn nach der Grillparty noch eine Cocktailbar zu besuchen, die vor kurzem neben einer vietnamesischen Sushi-Bar bei uns um die Ecke aufgemacht hat. Die Sushi-Vietnamesen sind nebenbei bemerkt ehemalige Zigarettenverkaufer von der Schonhauser Allee, die wegen des Nichtrauchergesetzes aus ihrem illegalen Business ausgestiegen und in das legale Sushi-Geschaft eingestiegen waren. In der Cocktailbar arbeiten auch Asiaten, deswegen dachte ich automatisch, beide Laden wurden zusammengehoren.

In der Cocktailbar hingen drei Fotos in Ubergro?e: Greta Garbo, Marlene Dietrich und in der Mitte Yuri Gagarin in der Uniform eines Oberst der sowjetischen Armee. Die Chefin horte uns russisch reden und setzte sich zu uns. Sie erklarte uns, dass ihre Bar rein gar nichts mit den Sushi-Vietnamesen zu tun habe. Ihr Partner sei Deutscher, sie selbst komme aus der Mongolei und beschaftige aus Prinzip nur Landsleute. Wir sa?en also in einer mongolischen Cocktailbar, mitten in Ost-Berlin und sprachen von den alten Zeiten.

»Die Mongolen und die Russen waren schon immer Freunde, wir haben den Mongolen oft geholfen und ihnen zum Beispiel unser Alphabet uberlassen oder zur Erntezeit Mahdrescher geschickt«, erinnerten wir die Bar- Chefin. Und so wurden aus zwei Cocktails drei. Wir sprachen vom letzten mongolischen Generalsekretar, der mit einer russischen Ballerina verheiratet war. Sie hat ein wunderbares Buch uber die Mongolei geschrieben und war in der Mongolei sehr beliebt. Aus drei Cocktails wurden vier. Ich fiel schon beinahe vom Hocker, da holte die Chefin plotzlich eine Flasche mongolischen Wodka der Marke Mongolian Standard aus dem Kuhlschrank. Flussige Kopfschmerzen aus der Steppe. Doch die russisch-mongolische Freundschaft ging naturlich uber alles. Zu viert leerten wir die Flasche. Greta Garbo und Marlene Dietrich schnitten die ganze Zeit Grimassen, Gagarin zwinkerte uns zu.

Am nachsten Tag gallopierte in meinem Kopf eine ganze Dschingis-Khan-Horde durch eine Steppe, die ganz sicher vom Mongolian Standard verursacht worden war. Kein deutsches Aspirin war der Attacke gewachsen. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, denn in Gedanken war ich noch immer in dieser mongolischen Cocktailbar. Ich versuchte, mich an Einzelheiten des Abends zu erinnern. Die Chefin hatte uns ihren sogenannten Dschingis-Khan-Fleck zeigen wollen, den angeblich alle Asiaten auf dem Hintern hatten. Eine Deutsche, die sich zu uns gesellt hatte, meinte dazu, auch sie hatte einen solchen Fleck, obwohl sie nie in Asien war. Ich entgegnete, die Russen hatten auch etwas, und zwar einen gro?en Impffleck auf der linken Schulter, damit erkennen sie einander am Strand oder im Bett. Ich konnte mich jedoch nicht erinnern, ob wir einander die Flecke gezeigt oder nur damit gedroht hatten. Das Ambiente und das ganze Gesprach erinnerten mich auf jeden Fall stark an meine Heimat. Es ist klar: Wenn wir das nachste Mal Heimweh bekommen, gehen wir zu Gagarin in die mongolische Cocktailbar.

Deutsch als Spritze  

Nicht nur in Amerika und Europa, auch unter den Russen bildet sich derzeit eine neue Harry-Potter- Generation: Menschen, die fest an Wunder glauben. Sie sind bereit, jede Anstrengung, die von ihnen verlangt wird, durch einen Zaubertrick zu ersetzen. Auch dann, wenn ihnen der Zaubertrick letztlich noch gro?ere Anstrengungen abverlangt. Um beispielsweise festzustellen, ob es drau?en regnet, schauen sie lieber ins Internet als aus dem Fenster.

Mein Nachbar Andrej gehort auch zu diesen Leuten, obwohl er vom Alter her durchaus der Vater von Harry Potter sein konnte. Seit einem Jahr arbeitet er bei einer deutschen Internetfirma, und seine Chefs sind mit ihm sehr zufrieden, weil er flei?ig ist und nie Uberstunden abrechnet. Nur eines finden seine Chefs bedauerlich: dass der Mann schon so lange in Deutschland lebt und noch immer nur einen Satz auf Deutsch kann: »Tschuss, bis zum nachsten Mal, wenn es wieder hei?t: Popkonzert.« Das sagt Andrej jeden Tag zum Abschied. Seine Chefs wundern sich, aber ich finde es vollig normal. Woher soll Andrej mehr Deutsch konnen, wenn er die letzten Jahre vor dem Monitor verbracht hat und alle Kommunikationsprobleme hier mit seinem Schulenglisch leicht losen kann?

Der deutsche Satz, den er aus irgendeiner Radiosendung aufgeschnappt hat, nervt seine Kollegen total. Unaufdringlich versuchten sie ihn zu uberzeugen, doch noch ein paar zusatzliche Au?erungen dazu zu lernen. »Du bist intelligent, du schaffst es«, ermunterten ihn seine Chefs vor zwei Wochen und schickten ihn in unbezahlten Urlaub. Andrej fuhlte sich daraufhin von den Kollegen verraten und in seiner Existenz bedroht. In eine Sprachschule zu gehen, kam fur ihn nicht in Frage.

»Das ist pure Zeitverschwendung«, meinte er. »Es muss doch eine Alternative geben, die einem den Einstieg in eine Fremdsprache innerhalb kurzester Zeit ermoglicht«, sinnierte er bei uns in der Kuche.

»Aber naturlich gibt es so etwas«, bestatigte ich und zeigte ihm eine Annonce in der russischsprachigen Zeitung, die bei uns seit Monaten fur gute Laune sorgt: »Geheime Kreml-Medizin wird zum Gemeingut des Volkes: Erlernen Sie eine Fremdsprache in 24 Stunden. Deutsch als Spritze« stand da. In einem kleinen Werbetext erwahnt der Anbieter geheime Medikamente, die man fruher zur Unterstutzung des regierenden Parteiapparats in sowjetischen Forschungslaboren entwickelt hatte. Auf diese Weise lernte beispielsweise Gorbatschow Englisch, und Jelzin konnte sich dadurch mit Kohl unter vier Augen unterhalten - behauptet jedenfalls der Anbieter. Ich hielt diese Annonce schlicht fur eine Verarschung. Andrej hatte auch seine Zweifel. Er glaubte nicht, dass sich Gorbatschow sein Englisch hatte einspritzen lassen: »Dafur hat er einen viel zu starken Akzent.«

In der Annonce stand zwar, dass man unmittelbar nach der Injektion eine Fremdsprache sprechen kann, aber nirgendwo war erwahnt, dass jemand sie auch verstand. Wir sa?en bei mir in der Kuche und amusierten uns uber all die Leichtglaubigen, die sich das Zeug schon gespritzt hatten und sich nun selbst nicht mehr verstanden. Plotzlich stie? Andrej auf eine andere kleine Annonce, die ich ubersehen hatte: »Tausende danken Doktor Hoffmann! Deutsch unter Hypnose: Ohne Sprachschule und ohne besondere Vorkenntnisse lernen Sie Deutsch in 30 Stunden!«, behauptete der Doktor. Sein Kurs »Selbstlernen unter Hypnose« kostete nur 159,- Euro plus Versandkosten. Dafur bekame man ein Buch des Autors, eine Audiokassette und ein Meditationsobjekt, um sich selbst zu hypnotisieren. Auf dem Photo sah Doktor Hoffmann sehr serios aus. »An Ihren Wahrnehmungszentren vorbei wird die Fremdsprache direkt auf die Festplatte Ihres Unterbewusstseins gespeichert«, stand unter dem Bild.

Der wichtigste Teil des Kurses war die Audiokassette. »36 Linguisten aus der ganzen Welt haben sechs Jahre hart gearbeitet, um diese 90-Minuten-Aufnahme zu entwickeln. Und jeder, der sich diese Kassette zwolfmal unter Hypnose anhort, wird die Fremdsprache seiner Wahl beherrschen konnen«, behauptete Doktor Hoffmann. Ich schenkte auch dieser Annonce keinen Glauben. Besonderes merkwurdig schien mir, dass alle Zahlen, die Doktor Hoffmann verwendete, um die Einmaligkeit seines Kurses zu beweisen, durch sechs teilbar waren. Fur mich war das ein eindeutiges Zeichen fur den Wahnsinn des Doktors. Doch Andrejs Augen glanzten. Vielleicht war es der Vergleich seines Unterbewusstseins mit einer Festplatte, der ihn uberzeugte. Im Nu war er fest entschlossen, diese Methode auszuprobieren.

»Wer sind all diese Tausende, die dem Doktor danken? Ich kenne keinen einzigen, der sein Sprachpaket gekauft hat«, appellierte ich an Andrejs Vernunft.

Er war aber nicht mehr zu retten. »Es gibt so manches, Freund Horatio«, zitierte er voller Pathos Shakespeare, »wovon du keine Ahnung hast.« Zu mir gewandt, sagte er: »Du bist ein Zyniker und viel zu misstrauisch. Doch so kommen wir nicht weiter. Ich will Doktor Hoffmann eine Chance geben. Selbst, wenn ich der Erste bin, der ihm nachher dankt.«

Am nachsten Tag uberwies Andrej tatsachlich 159,- Euro an Doktor Hoffmann, und schon drei Tage spater

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