»Dabei verblodest du doch! Sag mal, hast du nie alte Module gesehen?«
»Die haben nicht rechtzeitig aufgehort«, sagte ich. Meinen Koffer mit den Sachen hielt ich auf den Knien. Laut Vertrag standen mir zwolf Kilogramm Gepack zu.
»Auch du wirst nicht rechtzeitig den Absprung schaffen. In funf Jahren verkalkt das Gehirn!« Gleb leckte sich uber die Lippen. »Ich habe ein Los der Imperiumslotterie, wei?t du das eigentlich?«
Ich wusste es. Gleb hatte eine Chance von eins zu zwanzig, eine kostenlose Ausbildung auf einem beliebigen Gebiet zu gewinnen. Er wollte naturlich Pilot werden.
»Willst du es haben?«
»Deine Eltern schlagen dich tot!«, erwiderte ich.
»Nein. Sie schlagen mich nicht tot. Ich habe bereits mit ihnen gesprochen. Ich kann das Los auf dich uberschreiben lassen. Willst du?«
Ein Los der Imperiumslotterie — das ist schon was. Ich hatte nicht mal davon traumen konnen. Dafur habe ich einen Neuroshunt Kreativ und Gleb nur einen Neuron.
»Danke, Gleb. Ist nicht notig.«
Er klimperte verstort mit seinen feuchten, wei?en Wimpern. Gleb ist namlich au?erst blass und hat ganz helle Haare. Das ist bei ihm keine Mutation, sondern Erbmasse.
»Tikkirej, ehrlich…«
»Gleb, am Abend bin ich im Kosmos.«
»Das bist nicht du«, flusterte Gleb.
Als der Bus am Hotel hielt, reichte er mir zogernd seine Hand. Ich druckte sie und fragte: »Kommst du mit rein?«
Gleb schuttelte den Kopf, und ich versuchte erst gar nicht, ihn zu uberreden. Ein langer Abschied wurde nur uberflussige Tranen bedeuten.
Auf mich wartete der Kosmos. Ich wusste nicht, wo der Alteste und die anderen Mannschaftsmitglieder wohnten. Deshalb ging ich zum Zimmer des Arztes.
Die Zimmertur war wieder nicht geschlossen und die Badtur weit geoffnet. Anton stand in der Unterhose vor dem Spiegel und rasierte sich mit einem uralten mechanischen Rasierapparat. Als ob man sich nicht seine Haarfollikel ein fur allemal wegrei?en lassen konnte.
»Aha«, sagte er, ohne sich umzusehen. Ich sah nur seine Augen im Spiegel, aber mir schien, als ob sich ihr Ausdruck verandert hatte.
»Alles klar. Zimmer 73. Da ist der Kapitan.«
»Wer ist das?«, erklang eine feine Madchenstimme aus dem Zimmer.
»Niemand fur uns«, rief Anton. Aus dem Zimmer schaute eine dunkle Schonheit, eines der Madchen, die gestern gelacht hatten. Bei meinem Anblick begann sie erst zu lacheln, dann schaute sie deprimiert. Vielleicht deshalb, weil sie ganz nackt war und sich im Bettlaken verheddert hatte.
»Guten Tag«, sagte ich.
»Was bist du nur fur ein Dummkopf!«, meinte das Madchen. »Mein Gott, woher kommen nur…«
»Kusch dich, du Pack!«, zischte ich. Es funktionierte. Fast wie beim Altesten. Das Madchen schwieg und zwinkerte nervos. Anton hielt einen Augenblick mit dem Rasieren inne, machte aber gleich weiter. Hoch — runter.
Ich drehte mich um und ging zum Zimmer 73. Der Kapitan war junger als der Alteste und der Arzt. Er hatte sicher eine Elite-Kosmonautenschule absolviert, da man ihm bereits das Kommando uber ein Raumschiff anvertraute. Er war kraftig und sah gut aus in seiner wei?en Paradeuniform.
»Tikkirej«, begru?te er mich, als ich ins Zimmer trat. Intuitiv wusste ich, dass er den Bericht uber meine gestrige Untersuchung gelesen hatte, und ich schamte mich. Vor Anton oder dem Altesten schamte ich mich nicht. Aber vor einem echten Kapitan, der sogar alleine im Hotelzimmer seine Paradeuniform trug, schamte ich mich.
»Ja, Kapitan.«
»Du hast es dir also nicht anders uberlegt?«
»Nein, Kapitan.«
»Den Vertrag hast du dir angesehen?«
»Ja, Kapitan.«
Den Vertrag hatte ich bis drei Uhr nachts gelesen. Es war wirklich ein Standardvertrag, aber ich uberprufte alles.
»Tikkirej, denkst du eventuell daran, uns zu betrugen«, fuhr der Kapitan fort, »einen oder zwei Fluge mitzumachen, einen passenden Planeten zu finden und dort zu kundigen?«
»Geht das denn?«, wunderte ich mich gekonnt.
»Naturlich, aber was hattest du davon?«
Der Kapitan sah mich einige Sekunden lang durchdringend an: »Okay, ziehen wir das Ganze nicht unnotig in die Lange.«
Er setzte sich an den Tisch und sah schnell meine Papiere durch, kontrollierte die Echtheit der Siegel mit einem Handscanner, unterschrieb den Vertrag und gab mir ein Exemplar zuruck. Er reichte mir die Hand: »Ich begluckwunsche Sie, Tikkirej. Nunmehr sind Sie ein Mitglied der Recheneinheit des Raumschiffs Kljasma.«
Mir missfiel die Tatsache, dass er mich nicht Mitglied der Mannschaft, sondern der Recheneinheit nannte. Noch weniger gefiel mir die Au?erung: »Aber was hattest du davon?« Trotzdem lachelte ich und gab ihm die Hand.
»Hier hast du einen Vorschuss«, der Kapitan holte einige Geldscheine aus der Tasche. »Er steht nicht im Vertrag, ist aber eine schone Tradition vor dem ersten Start. Sieh aber zu, dass du das Geld nicht…«
Fur eine Sekunde fiel der Kapitan in Schweigen, dann begann er zu lachen: »Nein, nein, ich glaube, du wirst es nicht vertrinken.«
»Ich werde es nicht vertrinken«, versprach ich. Nach dem Wodka gestern musste ich mich im Bus ubergeben. Vielleicht war das aber auch nur eine Folge der Uberprufung meines Arbeitsvermogens…
»Wir treffen uns um funf Uhr unten im Foyer«, teilte mir der Kapitan mit, »und, das steht auch nicht im Vertrag, aber wenn du dort fehlen solltest, werde ich dich nicht verklagen. Dann zerrei?e ich einfach den Vertrag.«
»Ich komme.«
»Gut, Tikkirej.«
Ich verstand, dass das Gesprach jetzt beendet war, und verlie? das Zimmer. Unten in der Bar war es wieder genauso leer und der Barkeeper war derselbe. Er lachelte mir zu, und ich ging zu ihm und legte einen Geldschein auf den Tresen.
»Das ist fur gestern. Und… haben Sie Milchshakes?«
»Na klar, haben wir.« Der Barkeeper gab mir das Wechselgeld. »Und, haben sie dich genommen?«
»Ja. Ich hatte gute Werte. Wirklich.«
»Schon! Aber hor rechtzeitig mit dieser Arbeit auf, ja! Was mochtest du fur einen Shake?«
»Mit Apfelsine«, bestellte ich, ohne nachzudenken.
Der Barkeeper runzelte die Stirn und beugte sich zu mir vor. Verschworerisch flusterte er: »Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis: Die einfachsten Milchshakes sind immer die besten. Zum Beispiel mit Schokolade und einem Hauch Vanille.«
»Den nehme ich«, antworte ich ebenso flusternd.
Er schmeckte wirklich gut.
Auf diese Art und Weise sa? ich bis funf Uhr in der Bar. Meinen Koffer hatte ich zum Barkeeper hinter den Tresen gestellt, um nicht auf ihn aufpassen zu mussen. Mehrmals ging ich auf die Toilette, damit sich der gestrige Schlamassel spater nicht wiederholen konnte. Obwohl das auf dem Raumschiff sicherlich geregelt ist.
Den letzten Cocktail trank ich hastig, immer mit Blick auf die Uhr. Dann verabschiedete ich mich vom Barkeeper und ging ins Foyer.
Die ganze Mannschaft war schon versammelt. Der Kapitan, der Alteste, der Arzt und noch zwei, die ich nicht kannte — sicher Navigator und Lademeister.
»Du kommst zu spat, Modul«, bemerkte der Arzt eisig. Er hielt sein Versprechen — fur ihn war ich schon kein braver Junge mehr.