Owen zog die buschigen Brauen hoch.

»Was meinst du damit, Frazer?«

»Erinnerst du dich, da? die Stacton-Bruder kurz vor Weihnachten im Lager der Nez Perce waren, um Getreide gegen Felle einzutauschen?«

»Ja«, antwortete der vollbartige Mann gedehnt, wahrend er in seiner Erinnerung kramte. »Und?«

»Kurz nachdem Avery und Everett Stacton zuruckkehrten, brach das Fieber bei uns aus. Die Stactons gehorten zu den ersten, die es erwischt hat. Beide sind gestorben, mitsamt ihren Familien. Gibt dir das nicht zu denken, Ebenezer?«

Owens Rechte kraulte seinen struppigen Bart. Ein Zeichen, da? er angestrengt uberlegte.

»Willst du damit sagen, die Stactons haben sich das Fieber bei den Nez Perce geholt und es in Greenbush eingeschleppt?«

Bradden nickte.

»Ist doch auffallig, da? das Fieber fast zur gleichen Zeit bei den Rothauten ausbrach.« Er legte den Kopf schief und sah Owen abwartend, fast lauernd an. »Fallt dir eine andere Erklarung ein, Ebenezer?«

»Nein«, antwortete Owen langsam.

»Aber mir!« schrie Irene, die sich auf die Knie erhoben hatte. »Vielleicht haben die Stactons das Fieber zu den Nez Perce gebracht.«

Die beiden Manner sahen sie an.

Bradden rief heiser: »Das ist doch Blodsinn! Niemand in Greenbush war krank, bevor Avery und Everett von den Roten zuruckkehrten.«

»Wissen Sie denn, ob es bei den Nez Perce Kranke gab, bevor die Manner aus Ihrer Stadt zu ihnen kamen?« fragte Irene.

»Davon wissen wir nichts«, gab Owen zu.

»Mussen wir auch nicht!« fauchte Bradden. »In Greenbush waren alle gesund, bis Avery und Everett die Felle der Rothaute anschleppten. Das zu wissen, reicht doch!«

Der wankelmutige Owen fuhr erneut durch seinen dichten Bart und nickte dann zustimmend. Er war schwer damit beschaftigt, die unterschiedlichen Argumente zu verdauen. Jedes neue Vorbringen schien ihm einleuchtend und machte es schwerer, sich zu entscheiden.

»Sieht ganz so aus, als hattest du recht, Frazer«, verkundete er schlie?lich. In seiner Stimme schwang die Erleichterung mit, zu einer Entscheidung gekommen zu sein. »Es mu? so sein, wie du sagst. Das Fieber kommt von den verfluchten Rothauten!«

Bradden stand auf und lachelte.

»Endlich wirst du vernunftig, Ebenezer. La? dir blo? nicht von dieser Dutch Hure den Kopf verdrehen. Am besten machen wir mit ihr Schlu?. Vielleicht hat sie es nicht nur mit diesem Adler getrieben, sondern auch mit den Rothauten!«

»Wie kommst du darauf?« erkundigte sich Owen zweifelnd, wahrend sein Blick unsicher zwischen Irene und Bradden hin und her pendelte.

»Hast du dir noch nicht uberlegt, warum es deiner Frau so schlecht geht?« fragte Bradden. In seiner Stimme und in seinem Blick lag etwas Verschlagenes.

»Carol hat das Wundfieber. Es kommt von dieser verfluchten Pfeilwunde.«

»Aber es geht ihr erst so schlecht, seit sie Kontakt zu der Dutch-Hure hatte.« Bradden hob das Messer und stie? die Spitze in Irenes Richtung. »Vielleicht hat sich Carol bei ihr das Fieber geholt!«

»Daran habe ich noch gar nicht gedacht«, sagte Owen, uberrascht und verwirrt.

»Besser, wir machen Schlu? mit der Hure!« knurrte Bradden.

»Bevor sie uns allen den Tod bringt.«

Er kam mit erhobenem Messer auf Irene zu, und Owen lie? ihn passieren.

*

Zwolf Meilen ostlich, etwa zur gleichen Zeit.

Als der Pfeil von der Sehne sirrte, schlo? Jacob Adler mit seinem Leben ab. Er sah sich, von der dreieckigen Eisenblechspitze durchbohrt, in den dreihundert Fu? tiefen Canyon sturzen.

Alles war vergebens gewesen, sein ganzer muhevoller Aufstieg von der Felsplatte auf halber Hohe des Steilhangs bis hierher.

Fast hatte er es geschafft. Er hatte die zerschundenen Hande schon uber den Canyonrand geschoben, als er plotzlich in das dunkle Gesicht des Nez-Perce-Kriegers starrte - und auf die Spitze des Pfeils, der auf seinen Kopf gerichtet war.

Deshalb also hatte sich Jacob schon eine ganze Weile unwohl gefuhlt, beobachtet. Der Indianer hatte hier auf ihn gelauert und abgewartet, ob der Wei?e von allein absturzte oder ob er nachhelfen mu?te.

Das Schlimmste fur den jungen Deutschen war, da? er Irene und Jamie jetzt nicht mehr beistehen konnte.

Der erwartete Schmerz blieb aus.

Der Pfeil sirrte dicht an Jacobs Ohr vorbei und verschwand in der Dunkelheit der zerklufteten Schlucht, deren Sohle vom rotlichen Licht der erloschenden Sonne schon nicht mehr erreicht wurde.

*

Als Riding Bear spurte, wie ihn die Krafte verlie?en, uberschlugen sich die Bilder in seinem Kopf.

Er sah die goldhaarige wei?e Frau, die er angegriffen hatte und die auf ihn scho?. Ihre Kugel sa? in seiner Brust und raubte ihm jetzt die Kraft.

Aber als sie ein zweites Mal abdruckte, totete sie den Kaminu nicht, sondern machte nur sein Pferd scheu, um ihn zu vertreiben. Sie hatte sein Leben geschont - mit Absicht.

Er sah den sandhaarigen Wei?en, der vor ihm am Steilhang kauerte. Wie er am Morgen gegen einen anderen Wei?en kampfte und ihn zu Boden schlug. Wie dann ein weiterer Wei?er auf den Sieger scho? und dieser in die Schlucht sturzte.

Wenn Sandhaar, wie Riding Bear ihn bei sich nannte, ein Feind der anderen Wei?en war, war er dann ein Freund der Kaminu? War er es wert, da? man sein Leben schonte?

Riding Bear wu?te darauf keine sichere Antwort. Und doch mu?te er eine finden, denn die Kraft seiner Arme versagte, und der Pfeil glitt von der Sehne.

Im letzten Augenblick verri? der Krieger absichtlich den Bogen, und der Schu? ging fehl.

Er sah, wie der Pfeil in den dunklen Canyon scho?.

Diese Dunkelheit!

Sie sprang formlich auf Riding Bear zu, hullte ihn ein und ri? ihn in einen unfreiwilligen Schlaf.

*

Kaum hatte sich Jacob von der freudigen Uberraschung erholt, da? der Pfeil ihn verfehlt hatte, da sah er auch schon, wie der Indianer zusammensank.

Unglaubig starrte er auf den Nez Perce. Die Rechte des Kriegers umklammerte noch den Bogen, aber der gro?e Mann in dem fransenbesetzten gelben Lederhemd ruhrte sich nicht mehr.

Jacob uberwand die Uberraschung, griff nach einem nahen Grasbuschel und zog sich nach oben.

Als er mit dem Oberkorper auf festem Boden lag, durchstromte ihn ein Glucksgefuhl. Er geno? es fur ein paar Sekunden und zog dann die Beine nach.

Der Freudentaumel verschwand schnell. Die Nahe des Indianers machte Jacob bewu?t, da? er sich nicht au?erhalb jeder Gefahr befand.

Wo ein Nez Perce war, konnten noch mehr stecken. Der Treck aus Greenbush war gestern von einer ganzen Kriegerhorde angegriffen worden.

Aufmerksam sah er sich auf dem von einer naturlichen Felsbarriere umgebenen Plateau um, auf dem der Wagentreck ubernachtet hatte.

Au?er dem zusammengebrochenen Nez Perce sah er weit und breit keinen Menschen: Naturlich ware es sinnvoll gewesen, auch die nahere Umgebung abzusuchen. Aber erst mu?te er sich um den Krieger kummern. Jacob kniete sich neben ihn und drehte ihn vorsichtig auf den Rucken.

Der gro?e dunkle Fleck, der das gelbe Lederhemd uber der Brust bedeckte, zeigte Jacob den Grund fur den Zusammenbruch. Er schob das Hemd so weit hoch, bis er den Verband sah, der heilende Krauter auf die Wunde druckte.

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