Naturlich kannte der Deutsche die wenigsten der Krauter, und von noch weniger kannte er die Wirkung. Aber es mu?ten Heilkrauter sein, das war die einzige Erklarung. Sie schienen zu helfen, brachten die Blutung zum Stillstand und verhinderten den gefurchteten Wundbrand.

Aber sie konnten nicht die Kugel aus der Brust des Nez Perce holen.

Jacob hielt sein Ohr gegen die linke Seite des Kriegers, dort, wo das Herz sa?. Es schlug, gleichma?ig, aber sehr schwach. Genauso schwach war der Pulsschlag, den Jacob erfuhlte.

Kein Zweifel, das Blei in seiner Brust pre?te das Leben aus dem Nez Perce. Der Zusammenbruch des Kriegers war der Anfang vom Ende. Er wurde innerhalb weniger Stunden sterben, wenn ihm niemand half.

Aber wer konnte ihm helfen?

Molalla Spring, wo der Missionar und Arzt Simon Mercer wohnte, lag viele Meilen im Westen, drei oder vier Tagesreisen.

Und die eigenen Leute, des verwundeten Kriegers?

Jacob wu?te nichts uber sie. Er wu?te nicht einmal, ob es nach dem Massaker im Dorf der Nez Perce und nach der gestrigen Schlacht noch Leute gab, zu denen der Bewu?tlose gehorte.

Es gab nur einen Menschen, der dem Indianer helfen konnte: Jacob.

Traurig blickte der junge Deutsche nach Westen, wo die Sonne gerade hinter eine scharf gezackte Felsenreihe wegtauchte.

Er spurte, da? Irene seine Hilfe brauchte. Doch Irene war weit weg.

Und dieser Indianer vor ihm wurde sterben, wenn Jacob nichts fur ihn tat.

Es war eine schwierige Entscheidung, vielleicht die schwierigste seines Lebens.

*

»Nein, la? das!« schrie Ebenezer Owen, packte Frazer Bradden am Kragen und ri? ihn zuruck.

Der Mann mit dem Bowiemesser stolperte, taumelte und mu?te mit den Armen heftig in der Luft herumrudern, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Rasch stand Irene, die noch am Boden kniete, auf. Ihre Glieder zitterten, ihre Beine waren wie Pudding. Sie hielt sich an einem Baumstamm fest und hoffte, da? Owen sie vor dem Schicksal bewahrte, das der wahnsinnige Bradden ihr zugedacht hatte.

»Was ist denn?« fauchte Bradden den anderen Mann ungehalten an. »Warum la?t du mich die Schlampe nicht erledigen?«

»Weil das Mord ware!« erwiderte der vollbartige, massige Owen entschlossen. »Du kannst doch nicht einen Menschen deshalb umbringen, weil er zu den Rothauten eine andere Einstellung hat als wir!«

Bradden zog die Augen zu Schlitzen zusammen und fragte: »Warum nicht?«

»Du bist verruckt, Frazer«, erkannte Owen endlich und schuttelte unglaubig den Kopf. »Vollkommen verruckt!«

»Macht das was aus?«

Noch wahrend er sprach, sprang Bradden vor und hieb den schweren Bugelgriff seines Messers gegen Owens Stirn.

Der Getroffene sturzte zu Boden. Ein blutiger Ri? klaffte uber seinem linken Auge.

Bradden stand uber ihm, das Bowie drohend erhoben, und knurrte: »Du stellst dich Frazer Bradden nicht noch einmal in den Weg, Ebenezer. Merk dir das!«

Irene loste sich von dem gro?en Pinyonbaum und wollte davonlaufen.

Abrupt wirbelte Bradden herum und schrie: »Bleib da, Dutch-Squaw! Ich kriege dich doch, und dann wird alles nur noch schmerzhafter fur dich!«

Die Frau gefror, aber nur au?erlich.

Innerlich kochte Irenes Blut, und ihr Herz raste.

Aber sie gehorchte und blieb stehen.

Bradden hatte recht, sie hatte keine Chance, wenn sie versuchte, in ihrem langen Kleid durch das dichte Geholz zu fliehen. Er wurde sie einholen, wie schon einmal.

»Brav«, grinste Bradden in satanischer Zufriedenheit, wahrend er sich Irene langsam naherte. »Wenn du weiter so brav bist, blonde Squaw, werde ich dir die Kopfhaut ganz schnell abziehen. Du wirst kaum etwas davon merken.«

»Sie wird es gar nicht merken, denn es wird nicht passieren!«

Diesmal war es Frazer Bradden, der mitten in der Bewegung gefror. Verantwortlich dafur war Ebenezer Owens aufgeregte Stimme und mehr noch das gefahrliche metallische Klicken, das sie begleitete. Dieses Klicken war das Gerausch, das beim Zuruckziehen eines Revolverhahns entstand.

Ganz langsam drehte sich Bradden um und sah den 36er Whitney Navy in Owens gro?er Faust. Die dunkle Mundung zeigte auf Braddens Bauch.

»Das wirst du doch nicht tun, Ebenezer!« sagte Bradden im beschworenden Ton. »Du wirst doch nicht auf deinen alten Freund Frazer schie?en!«

»Wenn du das Messer nicht sofort fallen la?t, werde ich es tun!« erwiderte Owen hart.

Obwohl der massige Mann am Boden kniete, sah er nicht aus, als ob er bluffte. Sein Gesicht machte einen verbissenen Eindruck. Das Blut, das von der Wunde uber dem Auge uber die Wange rann und den Bart benetzte, verlieh ihm ein fast diabolisches Aussehen. Die rechte Faust umklammerte den Griff des Whitneys so fest, da? die Knochel wei? hervortraten.

Alles in und an Ebenezer Owen verkrampfte sich, wahrend er abwartete, wie Bradden sich verhielt.

Gerade darin sah der Mann mit dem Messer seine Chance. Ein Mensch, der sich verkrampfte, mu?te sich erst wieder entkrampfen, bevor er etwas unternehmen konnte. Das kostete wertvolle Sekundenbruchteile, die Bradden schneller sein konnte.

Trotz des Wahns, der von ihm Besitz ergriffen hatte, stellte er diese Uberlegungen fast kuhl an. Diese Fahigkeit zum taktischen Uberlegen war eine der Ursachen fur die Gefahrlichkeit seines Wahnsinns.

Und dann handelte Frazer Bradden... »All right, du hast gewonnen«, sagte er zu Owen und lie? die Rechte sinken, so als wolle er das Bowiemesser tatsachlich fallen lassen.

Seine Faust offnete sich, aber nicht um das Bowie einfach loszulassen. Gleichzeitig machte der rechte Arm eine blitzschnelle Bewegung nach vorn, womit Bradden seine Geschicklichkeit im Umgang mit der Blankwaffe verriet.

Das Messer flog durch die Luft, fast zu schnell fur das menschliche Auge, und bohrte sich in Owens rechten Oberarm. So tief, da? die blutige Spitze an der anderen Seite wieder hervortrat.

Owen stohnte vor Schmerz auf. Die dunklen Augen quollen fast aus seinem Kopf, als er sich vergebens anstrengte, den 36er abzufeuern.

Der andere Mann war zu schnell bei ihm, versetzte ihm mit der Rechten einen harten Faustschlag an die Stirn und entwand ihm mit der Linken gleichzeitig den Navy-Revolver.

»Der Hahn ist noch gespannt«, grinste Bradden, als er die Waffe auf ihren Besitzer richtete. »Eine kleine Bewegung meines Zeigefingers genugt, und du fahrst zur Holle, Ebenezer!«

»Du bist dazu fahig«, keuchte Owen. Sein angsterfullter Blick richtete sich abwechselnd auf den Revolver und auf das gro?e Messer in seinem Arm.

»Ich hatte das Recht, dich zu erschie?en«, sagte Bradden ruhig und streckte die Hand mit dem Revolver so weit vor, da? die Waffe nur noch eine halbe Armlange von Owens Kopf entfernt war. »Du hattest es doch auch getan.« Bradden legte den Kopf ein wenig schief. »Oder etwa nicht?«

Hinter Owens Stirn arbeitete es sichtbar. Ware die Verletzung nicht gewesen, hatte er jetzt sicher intensiv seinen Bart gekrault.

Er nickte und sagte leise: »Yeah, ich hatte abgedruckt, Frazer. Wenn du der Frau etwas getan hattest, hatte ich abgedruckt. Aber ich hatte alles versucht, um dich nicht zu toten, unserer Freundschaft zuliebe.«

»Was fur eine Freundschaft ist das, wenn der eine Freund mit dem Revolver auf den anderen anlegt?« rief Bradden, von einem plotzlichen Wutausbruch gepackt. Er spuckte vor Owen auf den Boden. »Auf so einen Freund kann ich verzichten!«

»Dann tu es doch«, stohnte Owen. Seine Stimme klang mude. »Druck endlich ab und mach Schlu?!«

Er beugte seinen Oberkorper vor, bot sich zur Hinrichtung an.

»Wenn du es sagst.«

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