Bradden grinste jetzt wieder, trat noch einen Schritt auf den knienden Mann zu und druckte den Revolverlauf gegen dessen blutende Stirn.

Irene hielt den Atem an. Sie konnte diesen ganzen Irrsinn kaum noch begreifen.

Erst metzelten die Menschen aus Greenbush ein Dorf unschuldiger, wehrloser Indianer nieder.

Und jetzt brachten sie sich auch noch gegenseitig um.

Warum? schrie alles in ihr. O Gott, warum nur?

*

Als Jacob sich entschieden hatte, verfiel er in fieberhafte Aktivitat. Er zog sich an, suchte eine vor dem kalten Nachtwind geschutzte Stelle an der Felsbarriere und stapelte dort alles Feuerholz auf, das die Menschen vom Treck zuruckgelassen hatten. Er wu?te nicht, wie es Irene und Jamie ging, ob er uberhaupt etwas fur sie tun konnte. Aber der Indianer war hier, bei ihm. Ihm konnte Jacob helfen.

Nun - wenigstens konnte er es versuchen.

Auch wenn es schmerzte, da? er dem Treck und damit Irene und Jamie nicht sofort nacheilte, er war sich sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.

Eine Entscheidung fur das Leben!

Au?erdem sprachen zwei gute Grunde gegen eine sofortige Verfolgung des Trecks.

Erstens bestand eine gro?e Wahrscheinlichkeit, da? er die Spur in der Dunkelheit verlor. Zahllose Schluchten durchzogen die Cascade Mountains. Wenn er die falsche nahm und von der Spur abkam, war es fraglich, ob er den Treck uberhaupt wiederfand.

Zweitens brauchte Jacob irgendwann Ruhe. Noch unterdruckte er die Schmerzen uberall in seinem Korper und die Erschopfung, die ihm immer wieder die Augen zudrucken wollte. Aber er wu?te, da? er sich nicht ewig dagegen wehren konnte.

Wie geschwacht er war, merkte der gro?e breitschultrige Deutsche, als er den Indianer zur Felsbarriere zog. Mehrmals mu?te er seine Last ablegen.

Der Nez Perce lie? alles mit sich geschehen, ohne aus seiner Ohnmacht zu erwachen oder auch nur heftiger zu atmen. Die Lebenskraft schien immer schneller aus ihm herauszustromen.

Jacob fischte den Lederbeutel mit Zundholzern aus seiner Jackentasche, ri? einen der kleinen Holzstabe an der rauhen Felswand entlang und hielt die andere Hand schutzend vor den aufflammenden Phosphorkopf.

Das Reisig und das trockene Buschelgras unten im Holzstapel fingen rasch Feuer. Knisternd fra?en sich die Flammen durch das Holz und sprangen auf die gro?eren Stucke uber.

Mit der Sonne war auch ihre warmende Kraft verschwunden. Jacob streckte seine Hande aus und geno? die Hitze des Feuers.

Er machte sich keine Gedanken daruber, da? die hochlodernden Flammen andere Nez Perce, sollten sich welche in der Nahe befinden, auf ihn aufmerksam machen konnten. Jetzt ging es um das Leben dieses einen Kriegers, der so leblos vor ihm am Boden lag.

Jacob zog das Messer des Kriegers aus dem perlenbestickten Hirschlederfutteral. An dem geschnitzten Hirschhorngriff sa? eine schlanke, zur Spitze hin leicht gebogene Klinge: sein einziges Instrument bei der bevorstehenden Operation.

Er nahm einen an einem Ende brennenden Ast hoch und hielt die Klinge so lange ins Feuer, bis sie gluhte. Mehr konnte er nicht tun, um sie zu desinfizieren.

Als sie sich so weit abgekuhlt hatte, da? sie nur noch warm war, begann er mit dem Offnen der erstaunlich schnell verheilten Schu?wunde.

Blut scho? ihm entgegen, bespritzte die nackte Brust des Indianers und Jacobs Hande. Im Augenblick konnte er nichts dagegen tun.

Er bohrte die Klinge tiefer in das Fleisch des Kriegers.

Der Schmerz mu?te ungeheuerlich sein. Der Nez Perce zuckte zusammen, stohnte gequalt und ri? die Augen auf.

Jacob wu?te nicht, ob der Indianer ihn sah oder ob sein Blick durch den Wei?en hindurchging. Ein merkwurdiger Schimmer lag in den dunklen Augen.

Sie schlossen sich wieder, und ihr Besitzer fiel in die Apathie der Ohnmacht zuruck. Es war gut fur ihn, verga? er mit allem anderen doch auch seine rasenden Schmerzen.

Dann spurte Jacob endlich den Widerstand der Kugel. Es war schwierig, sie allein mit Hilfe des Messers herauszuholen. Er mu?te extrem vorsichtig sein, damit er die Wunde nicht so weit aufri?, da? ein Stillen der starken Blutung unmoglich wurde.

Einmal ware fast der Messergriff aus seiner blutbesudelten Hand gerutscht. Jacob wischte beide Hande kurz an seiner Hose ab und fuhr damit fort, die Kugel Zoll fur Zoll hervorzupulen.

Plotzlich sprang sie ihm entgegen, ein blutiges kleines Stuck Blei. Fast unscheinbar, als sie auf dem Boden lag.

Und doch todlich. Selbst im Korper eines so kraftigen Mannes, wie der Nez Perce einer war.

Es sah tatsachlich so aus, als wurde die Kugel den Indianer auch nach ihrer Entfernung umbringen. Ein nicht abrei?ender Blutstrom ergo? sich uber den Oberkorper des Ohnmachtigen.

Jacob nahm die Krauter aus der bunten Maishulsentasche des Indianers und pre?te ein gro?es Bundel auf die Wunde.

Es waren solche Krauter, wie sie sich der Verletzte selbst aufgelegt hatte. Entweder hatte er sie schon vor seiner Verwundung bei sich getragen, oder er hatte sie danach in aller Eile zusammengesucht.

Jedenfalls hoffte Jacob, da? die Krauter identisch waren. Wenn sie die Blutung nicht stillten, war der Nez Perce verloren. Er wurde dann die Nacht mit Sicherheit nicht uberstehen.

Das Blut flo? weiter, trotz der Krauter.

Aber der junge Deutsche gab nicht auf. Mit der letzten ihm verbliebenen Kraft druckte er das Bundel auf die Brust des au?erst flach atmenden Indianers. Der machtige Brustkasten hob und senkte sich kaum noch.

*

Ebenezer Owen kniete mit fast hundisch ergebenem Blick vor seinem Henker und wartete darauf, da? Frazer Braddens Finger sich endlich um den Abzug des Navy-Revolvers krummte.

So jedenfalls sah es fur Irene aus - und auch fur den mordgierigen Bruder des Treck-Captains.

Beide wurden uberrascht, als Owens linker Arm hochflog und den 36er nach oben schlug.

Der Schu? krachte.

Aber der aus dem Lauf schie?ende Feuerstrahl geleitete die Kugel in den dammrigen, fast dunklen Himmel.

Owen stie? seinen nach vorn gebeugten Kopf vor, direkt in Braddens Magen.

Der Mann mit dem Revolver stohnte auf und krummte sich zusammen. Er stolperte einen Schritt zuruck, hielt sich aber auf den Beinen.

Owens linke Hand griff nach der Schu?waffe, doch im letzten Augenblick ri? Bradden die Waffenhand zur Seite. Der Griff ging ins Leere.

Bradden sprang an Owens Seite und zog den Revolverlauf uber dessen Schadel.

Der massige Mann sank zusammen, aber seine Hand verkrallte sich im Hosenbund des anderen. Erst als Bradden seine Stiefelspitze in Owens Unterleib rammte, lie? dieser los und fiel flach auf den Boden.

Sein Atem rasselte, begleitet von Keuchen und Wurgen. Aber so sehr Owen auch gegen sein Schicksal ankampfte, er kam nicht mehr auf die Beine, war zu geschwacht.

»Verdammter Hund!« fluchte Bradden und legte wieder den Revolverlauf auf ihn an. »Ich schicke dich noch vor der Dutch-Hure zur Holle!«

Das metallische Klicken kam nicht vom Hahn des NavyRevolvers, sondern von dem eines langlaufigen Starr-Modells, das in John Braddens Faust lag. Der Schu? mu?te den Treck-Captain hergelockt haben.

Irene wu?te nicht, ob sie uber sein Erscheinen erleichtert sein sollte. Sie dachte daran, mit welchem Ha? der Mann mit der feuerroten Gesichtsnarbe heute morgen gegen Jacob gekampft hatte. Sie war sich nicht daruber im klaren, ob er sich nun gegen seinen Bruder stellen wurde, um der Deutschen beizustehen.

»Mach keinen Unsinn, Frazer!« herrschte der Treck-Captain seinen jungeren Bruder an.

Unwillig wanderte der Blick des narbengesichtigen Mannes von der Waffe in Frazers Braddens Faust zu Ebenezer Owen. Dieser lag rochelnd am Boden, das gro?e Bowiemesser noch im Arm.

»Was, zur Holle, hast du mit Ebenezer angestellt?« wollte John Bradden von seinem Bruder wissen.

Вы читаете Der Speer der Vergeltung
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×