»Frag lieber, was er mit mir anstellen wollte, John!« fauchte Frazer. In seiner Stimme schwang deutlich die Enttauschung daruber mit, da? ihm sein Bruder in die Quere gekommen war.

»Was?« fragte der Treck-Captain.

Frazer wedelte mit dem Lauf des 36ers in Owens Richtung.

»Er... er wollte mich toten! Fast hatte er auf mich geschossen!«

John blickte den Bruder Unglaubig an.

»Aber du hast den Revolver in der Hand, Frazer. Ebenezer liegt verwundet am Boden. Dein Messer steckt in seinem Arm. Wie erklart sich das?«

»Ich habe mich nur verteidigt, John. Glaub mir, ich hatte keine Wahl.«

»Sie hatten jede Wahl!« stie? Irene zornig hervor. »Nur Sie allein sind schuld an dem hier, Bradden!«

»Verdammte Dutch-Schlampe!« Frazer Bradden wirbelte herum und legte den Whitney auf die Frau an.

Sein alterer Bruder ri? ihm die Waffe aus der Hand und sagte mit wutverzerrtem Gesicht: »Jetzt ist endgultig Schlu? mit dem Herumgeballere, Frazer. Willst du uns mit der Schie?erei die gottverdammten Rothaute auf den Hals hetzen?«

»Pah! Wir haben sie doch alle erledigt.«

»Den einen Trupp, ja. Aber wie ich die Rothaute kenne, haben sie mehrere Jagdtrupps ausgeschickt. Nach der Gro?e des Indianerlagers zu urteilen, mussen mehr Krieger dort gelebt haben als die, die uns gestern angegriffen haben. Also rei? dich verdammt noch mal zusammen!«

Im Unterholz entstand Bewegung, und drei Manner traten daraus hervor: Lewis Bradden sowie Fred Myers und sein altester Sohn Sam.

Fred Myers fragte, was los sei.

»Das versuche ich gerade herauszufinden«, knurrte der Treck-Captain. »Es scheint nicht so ganz einfach zu sein.«

»Doch, das ist es«, stohnte Ebenezer Owen. Er setzte sich unter starken Schmerzen auf und lehnte Rucken und Kopf gegen einen Baumstamm.

»Erzahl!« forderte John Bradden.

»Dein kleiner Bruder wollte der Dutch-Lady bei lebendigem Leib den Skalp abziehen«, berichtete Owen mit bruchiger Stimme. »Ich kam im letzten Moment dazwischen.«

»Und du hast mich mit der Waffe bedroht!« zischte Frazer Bradden vorwurfsvoll.

»Yeah, das habe ich«, nickte der Verwundete. »Anders war dir nicht beizukommen.«

»Wir hatten sie am Canyon zurucklassen sollen, so wie sie es wollte«, brummte John Bradden argerlich. Auch wenn er Irenes Namen nicht nannte und sie nicht ansah, war klar, wen er meinte. »Sie macht uns nichts als Arger!«

»Du irrst dich, John«, widersprach Owen. »Der Arger ging ganz von deinem Bruder aus!«

Die Antwort des Treck-Captains war nur ein undeutliches Knurren. Er konnte die Tatsachen nicht verleugnen, und doch widerstrebte es ihm, sich gegen seinen Bruder auszusprechen. Vielleicht weil er wu?te, da? er selbst in der Not bei Frazer Ruckhalt fand, wie getrubt dessen Verstand auch sein mochte.

Er wandte sich an die eben hinzugekommenen Manner.

»Bringt Ebenezer zu den Wagen! Seine Wunde mu? verbunden werden.«

Auf dem Ruckweg zu den Planwagen achtete Irene darauf, Frazer Bradden nicht zu nahe zu kommen. Dieser unberechenbare Mann flo?te ihr Angst ein. Er war wie ein wildes Tier, das jederzeit die Kontrolle uber sich verlieren und sein Opfer anfallen konnte - aus reiner Mordlust.

Und sein Opfer wurde Irene sein!

In der Mitte der zu einem Kreis zusammengestellten Wagen brannte ein Feuer. Geschutzt durch Wagen und Baume, wurde es au?erhalb des Pinyonwalds nicht zu sehen sein, hofften die Menschen aus Greenbush. Zwei gro?e Kaffeekannen standen auf dem Feuer, und ein voluminoser Kessel hing daruber. Der Duft des frischen Kaffees vermischte sich mit dem von Bohnen und Speck.

Fur viele der Menschen nach dem anstrengenden Tag ein verfuhrerischer Duft. Aber nicht fur Irene. Auch ihr Magen war leer, aber sie verspurte nicht die geringste Lust aufs Essen.

Sie wollte zu Ebenezer Owen gehen, um sich bei ihm zu bedanken. Die Manner hatten ihn in seinen Wagen gebracht, zu seiner kranken Frau.

Der Zeitpunkt war schlecht gewahlt, wie Irene sah, als sie die Plane zuruckschlug und ins Innere spahte. Gerade hatte Fred Myers das gro?e Bowiemesser aus Owens Arm gezogen, und Myers' Frau Anne verband die Wunde.

Irene lie? die Plane wieder zuruckfallen und stieg in ihren eigenen Wagen. Jamie wurde wach und schrie nach seiner Mutter. Er hatte Hunger.

Die junge Frau zog die Jacke aus, streifte Kleid und Unterkleid uber die Schultern und gab ihrem kleinen Sohn die Brust. Er saugte zufrieden, hin und wieder glucksend.

Jamie bemerkte die Tranen nicht, die uber die Wangen seiner Mutter liefen, als Irene an Jacob dachte.

*

Etwas lie? Jacob zusammenfahren.

Er war eingenickt.

Aber er sa? noch immer neben dem Nez Perce und druckte die Krauter auf die Wunde. Selbst im Schlaf der Erschopfung hatte er um das Leben des Indianers gekampft.

Was hatte ihn geweckt?

War es das Feuer gewesen, das langsam in sich zusammenfiel?

Oder eine Bewegung au?erhalb des flackernden Lichtkreises? Jacobs Augen spahten in die Finsternis, ohne etwas zu entdecken.

Seltsam, er mu?te intensiv an Irene denken. Hatte er von ihr getraumt?

Er fuhlte sich fast, als hatte sie im Schlaf zu ihm gesprochen und ihm das gesagt, was keiner von Angesicht zu Angesicht auszusprechen wagte: da? sie sich liebten.

Aber Irene war nicht da und auch Jamie nicht. Nur Jacob, das Feuer und der Nez Perce.

Lebte der Indianer uberhaupt noch?

Bei naherem Hinsehen stellte Jacob erstaunt fest, da? die tiefe Wunde in der Brust nicht mehr blutete. Erst hatte er es nicht bemerkt, weil die ganze Brust rot war, uber und uber mit verkrustetem Blut bedeckt.

Aber das Aufhoren der Blutung mu?te nicht unbedingt ein gutes Zeichen sein. Es konnte auch bedeuten, da? der Nez Perce gestorben war, wahrend der junge Deutsche schlief.

Erleichtert bemerkte Jacob, wie sich der Brustkorb des Indianers hob und senkte.

Tauschte er sich, oder atmete der Verwundete jetzt weniger flach als zuvor? Taten die Krauter bereits ihre Wirkung?

Offenbar. Sie hatten die Blutung gestillt und beschleunigten den Heilungsproze?, auch wenn der Nez Perce noch langst nicht uber den Berg war.

Jacob warf die blutdurchtrankten Krauter weg, legte frische auf die Wunde und suchte nach einem Verband.

So geschwacht, wie der rote Krieger war, konnte er dem Treck kaum zu Fu? gefolgt sein. Von dieser Uberlegung angetrieben, kletterte der deutsche Auswanderer uber die Felsbarriere und ging suchend nach Osten. In die Richtung, aus der die Wagen gekommen waren und zwangslaufig auch der Nez Perce.

Immer wieder steckte Jacob Zeige- und Mittelfinger in den Mund, um schrille Pfiffe auszusto?en. Nach einer Weile erhielt er endlich die ersehnte Antwort, ein lautes Wiehern. Bildete er es sich ein, oder klang das Pferd freudig erregt, in der Nacht nicht allein zu sein?

Jacob fand sogar zwei Pferde, die mit angehobbelten Vorderlaufen in einem kleinen Felskessel standen.

Beides waren Appaloosa-Hengste mit den typischen Flecken im Fell. Mond und Sterne schienen hell genug, um ihn das erkennen zu lassen.

Der eine Hengst war grau, die Flecken dunkel, das ubrige Fell etwas heller. Das andere Tier hatte eine eigentumliche Farbung. Der schlanke Kopf, die Vorderlaufe und der vordere Teil des Korpers waren braun, der Rest wei? mit braunen Flecken. Ein edles, schones Tier.

Und stolz. Erst nach viel gutem Zureden konnte sich Jacob ihm nahern und es dadurch beruhigen, da? er

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