»Riding Bear wird sie verfolgen und sie toten, sobald er wieder reiten kann. Sandhaar moge die goldhaarige Squaw und den kleinen Jungen vorher zu sich holen. Riding Bear wei? nicht, was passiert, wenn er die Morder seiner Familie trifft.«

»So etwas habe ich mir gedacht«, achzte Jacob.

Sie a?en von Riding Bears Vorraten und tranken dazu klares Wasser, das Jacob von einem nahen Creek holte.

Jede Bewegung sandte Schmerzwellen durch seinen Korper. Er hoffte, da? es mit der Zeit nachlie? oder da? er sich daran gewohnte.

Er ertrug es genauso klaglos wie Riding Bear seine zweifellos viel gro?eren Qualen. Der Nez Perce konnte kaum ohne Hilfe stehen. Und doch sprach er so, als wurde er die Verfolgung des Trecks schon in wenigen Tagen wiederaufnehmen. Der Wei?e bewunderte die eiserne Disziplin des Roten.

Nach dem Essen suchte Jacob seine wenigen Sachen zusammen. Er fand sogar seinen zerbeulten Filzhut. Sonst hatten die Leute aus Greenbush ihm nichts Brauchbares zuruckgelassen, leider auch nicht seine Waffen.

Als er zu Riding Bear trat, um sich zu verabschieden, zog dieser sich an einem Felsen hoch und streckte ihm ein Messer mit breiter, langer Klinge entgegen.

Jacob prallte zuruck und ballte die Hande zu Fausten. Hatte der Indianer ihn die ganze Zeit uber getauscht?

Wollte er doch alle Wei?en toten?

»Sandhaar traut Riding Bear nicht«, stellte der Indianer mit dusterer Miene fest. »Glaubt er, die Kaminu sprechen mit gespaltener Zunge?«

Das klang wie ein Vorwurf.

»Ich wei? nicht, was ich glauben soll«, erwiderte der Auswanderer« und zeigte auf das Messer. »Weshalb bedroht ein Mann einen anderen mit der Waffe?«

»Die wei?en und die roten Manner mussen noch viel ubereinander lernen, bevor sie anfangen konnen, einander zu verstehen«, stellte Riding Bear fest, und ein Hauch von Trauer schwang in seinen Worten mit. »Riding Bear ist so schwach, da? er einen Kampf gegen Sandhaar an diesem Tag nicht gewinnen konnte. Wollte Riding Bear ihn toten, hatte er es schnell getan, ohne Warnung. Aber der Kaminu wollte dem wei?en Mann nur dieses Messer schenken, damit er den Mannern von Greenbush nicht ganz ohne Waffen gegenubertreten mu?. Es gehorte einst dem Vater von Riding Bear.«

Jacob schamte sich fur seine Uberreaktion und stammelte eine Entschuldigung.

»Nimm das Messer, Sandhaar!«

Riding Bear reichte ihm die Waffe und dazu eine mit leuchtenden Perlen bestickte Lederscheide, die der Deutsche an seinem Gurtel befestigte.

Der Nez Perce lie? es sich nicht ausreden, seine Nahrungsvorrate und Decken mit dem Wei?en zu teilen. Jacob schnurte alles zu einem Bundel, das er auf dem Rucken des grauen Appaloosas festzurrte.

Dann wollte er sich bei Riding Bear bedanken. Doch er fand nicht die richtigen Worte.

Was sollte er dem Indianer wunschen?

Eine gute Besserung?

Das war lacherlich wenig angesichts des schmerzlichen Verlusts, den Riding Bear durch die Ermordung seiner Familie erlitten hatte.

»Sandhaar mu? reiten«, kurzte der Nez Perce die Abschiedsprozedur ab und zeigte hinauf zur Sonne. »Er mu? das Licht von Mutter Sonne ausnutzen, um moglichst viel Weg zuruckzulegen.«

Dann gab der rote Mann dem wei?en noch einige Hinweise bezuglich des Weges. Uber Wegmerkmale, falsche Abzweigungen und tuckische Fallen, mit der die Natur allzu leichtsinnige Bezwinger der Berge bestrafte.

»Wenn Sandhaar das alles beachtet«, schlo? der Nez Perce, »wird er die Mission von Molalla Spring wohlbehalten erreichen.«

Jacob blickte ihn erstaunt an. »Warum glaubt Riding Bear, da? ich nach Molalla Spring reiten werde?«

Er hatte dem Indianer absichtlich nichts von dem Plan der Siedler erzahlt, die Mission aufzusuchen. Jacob wollte nichts tun, was ein weiteres Blutvergie?en forderte.

»Sandhaar will doch den Wagen aus Greenbush folgen«, antwortete der Indianer. »Und die fahren nach Molalla Spring.«

»Woher will Riding Bear das wissen?«

»Die wei?en Morder werden ihre Vorrate auffrischen wollen. Dort haben sie Gelegenheit dazu.« Der Blick des Indianers verdusterte sich. »Au?erdem wollen sie in Molalla Spring vielleicht noch etwas anderes erledigen.«

»Was?« schnappte Jacob.

»Sandhaar moge an Vierauge denken, der den Wei?en in Greenbush nicht zu Hilfe kommen konnte. Wenn die Bleichgesichter die Nez Perce deshalb hassen, mussen sie den wei?en Medizinmann dann nicht noch mehr hassen?«

»Mein Gott!« stohnte Jacob auf. »Du hast recht, Riding Bear!«

»Sandhaar mu? sich beeilen, wenn er Vierauge helfen will. Will Sandhaar das fur Riding Bear tun?«

»Warum fur Riding Bear?« fragte der Deutsche. »Was liegt dir an dem Missionar?«

»Er hat meinen Leuten gegen das Fieber geholfen. Und es gab einmal eine Zeit, vor vielen Wintern, da war Vierauge fur mich fast ein zweiter Vater. Damals, Riding Bear hatte noch einen anderen Namen und war ein Kind, lebten meine Leute bei Vierauge in Molalla Spring. Dort lernte Riding Bear, wie viele andere Kaminu, die Sitten und die Sprache der Wei?en. Noch immer leben Kaminu dort, aber meine Leute gingen zuruck in die Berge.«

»Warum?«

»Die Wei?en erzahlten den Kaminu von ihrem Gott und seinem Sohn Christus. Von den vielen guten Dingen, die Christus die Menschen gelehrt hatte und nach denen sie leben sollten. Auch die Kaminu sollten so leben. Aber immer wieder sahen meine Leute, da? die Wei?en selbst sich nicht an die Worte von Christus hielten. Vierauge sagte, das seien Sunden, die man bekampfen musse. Aber meine Leute hielten es fur besser, erst gar keine Sunden zu begehen. Riding Bears Vater sagte Vierauge, alles sei gut gewesen, solange die Kaminu nur Jagen, Essen, Trinken und Schlafen kannten. Seit sie aber bei den Wei?en lebten, sei alles schlecht und musse erst gut gemacht werden. Dann schieden meine Leute von Vierauge, aber nicht in Feindschaft.«

Der Nez Perce blickte zu Boden und schwieg nachdenklich. Schlie?lich sah er Jacob an und fuhr fort: »Als Riding Bear mit seinen Brudern allen Wei?en den Tod schwor, hat er nicht bedacht, da? Vierauge viel Gutes fur die Kaminu getan hat. Riding Bear will nicht auch noch seinen zweiten Vater verlieren. Aber er ist noch zu schwach zum Reiten. Deshalb moge Sandhaar seine kraftige Hand uber Vierauge halten, wenn er es vermag.«

»Ich werde es versuchen!« versprach der junge Auswanderer. »Ich werde mich beeilen!«

Und Jacob beeilte sich.

Auch wenn es ungewohnt fur ihn war, ein ungesatteltes Indianerpferd zu reiten.

Bald war Riding Bear jenseits der Felsbarriere verschwunden. Die Begegnung mit dem Nez Perce erschien Jacob plotzlich seltsam unwirklich, wie ein Traum.

*

Im Westen der Cascade Mountains, einen Tag spater

Fred Myers, der die letzte Wache hatte, weckte das Lager durch laute Rufe beim ersten Schimmer bla?roter Sonnenstrahlen, die sich uber das hugelige Gelande hinter dem Treck tasteten.

Der kleine Mann mit dem zerknitterten Gesicht kletterte in jeden Wagen und ruttelte alle fest durch, die sich nicht schnell genug aus Morpheus' Armen losten.

Zu Irene kam er, als sie Jamie stillte. Sie bemuhte sich nicht, ihre Blo?e vor ihm zu verdecken. In den letzten Tagen hatte sie sich in ihr Schicksal ergeben. Die Trauer um Jacob hatte sie abgestumpft.

Sie blickte Ebenezer Owens Schwager nur mude an.

»Beeilung!« schnarrte dieser. »Wir werden fruh aufbrechen und wollen Molalla Spring heute auf jeden Fall erreichen.«

»Soll mein Sohn deshalb verhungern?« fragte Irene matt.

»Wirklich ruhrend, diese Mutterliebe«, sagte Myers kalt und stieg vom Wagen.

Die Art, wie er das sagte und wie er Mutter und Kind dabei ansah, gefiel Irene nicht. Aber die Stumpfheit,

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