die von ihr Besitz ergriffen hatte, lie? sie nicht langer daruber nachdenken.

Die Bilder der letzten Tage zogen an ihrem geistigen Auge voruber, wahrend Jamie gierig trank.

Der Weg durch die Cascades war beschwerlich. Jetzt, wo es bestandig bergab ging, nicht weniger, eher noch mehr.

Immer wieder mu?ten die Siedler ihre Zugtiere zuruckhalten und die Wagen abbremsen, damit sie auf den abschussigen Strecken nicht au?er Kontrolle gerieten. Ein Umkippen oder der Sturz in einen Abgrund konnten die verhangnisvollen Folgen der kleinsten Unachtsamkeit sein.

Es waren harte Tage fur die Manner und Frauen.

Und angsterfullte Tage.

Obwohl weit und breit keine Anzeichen von den Nez Perce zu entdecken waren, wahnten sich die Siedler keineswegs in Sicherheit.

Die Angst war bei ihnen unterschiedlich ausgepragt, bei den Frauen mehr als bei den Mannern. Fred Myers und die Bradden-Bruder hatten wohl gar nicht soviel gegen eine erneute Begegnung mit den Indianern, solange sie den Wei?en nur weitere Skalps eintrug.

Irene hatte besonders Angst um Jamie. Allerdings wu?te sie nicht, wen sie mehr furchten sollte: die Nez Perce oder die Leute aus Greenbush.

Die junge Deutsche kummerte sich viel um die Owens, nicht ganz uneigennutzig. Ebenezer Owen hatte ihr schlie?lich beigestanden. Bei ihm hoffte sie im Ernstfall Schutz zu finden. Noch lenkte Fred Myers' Sohn Pete seinen Wagen, aber seine Armwunde verheilte recht gut.

Im Gegensatz zur Verletzung seiner Frau. Carol Owen hatte kaum noch einen klaren Moment. Ihr Arm sah ziemlich ubel aus. Oft phantasierte sie und rief nach ihren Kindern, die doch in Greenbush begraben lagen. Wenn das Schicksal gnadig mit ihr war, lie? es die Frau in einen fiebrigen Schlaf versinken.

Ihr schlechter Zustand war in Irenes Augen der wichtigste Grund, Molalla Spring moglichst rasch zu erreichen.

Als Jamie sein Bauerchen gemacht hatte, wickelte Irene ihn sorgsam wieder in seine Decken. Sie wusch sich, zog sich an und verlie? den Wagen mit einem Eimer.

Beim Waschen hatte sie festgestellt, da? ihr Wasserfa? fast leer war. Der Treck lagerte an einer Quelle, aus der ein kleiner Wildbach hervorsprudelte. Sie war Irenes Ziel.

Auch wenn sie Molalla Spring heute noch erreichten, wollte sie den Wasservorrat sicherheitshalber erganzen. Auf dem langen Wagentreck nach Oregon hatte sie gelernt, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen. Ein plotzlicher Erdrutsch oder ein sonstiges Ungluck konnte die Wagen aufhalten, vielleicht viele Meilen von einem Gewasser entfernt.

Im Lager herrschte schon eilige Betriebsamkeit. Zeltplanen wurden abgebaut und Schlafsacke zusammengerollt. Die Flammen des Lagerfeuers zungelten hoch. Anne Myers und Eliza Bradden kummerten sich um das Fruhstuck.

Fast ware Irene mit einem Mann zusammengesto?en, der vor dem gro?en Bradden-Wagen kauerte und Wagenschmiere aus einem Eimer auf die Radnaben aus Hartgummi strich. Im letzten Moment wich Irene aus, trat aber aus Versehen gegen den Eimer, der umsturzte.

»Verdammt!« knurrte der Mann, stellte den Eimer wieder auf und blickte unwillig uber seine Schulter.

Irene zuckte zusammen, als sie Frazer Braddens stoppelbartiges Gesicht erkannte.

Sie war dem Mann, der sie fast skalpiert hatte, in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen, so gut es ging. Aber naturlich kam es immer wieder zu Begegnungen. Und dann spurte Irene seinen Blick auf sich brennen, jedesmal. Ein Blick, der das Blut in ihren Adern gefrieren lie?. Als wolle Bradden ihr damit sagen, da? er ihren Skalp doch noch bekommen wurde.

»Die Dutch-Hure!« stie? Bradden verachtlich hervor.

Irene wandte sich ab und ging rasch weiter. Doch sie spurte Braddens Blick in ihrem Rucken.

Irene schleppte einen schweren Wassereimer nach dem anderen zu ihrem Wagen und leerte ihn unter Muhen in das gro?e Fa?. Niemand half ihr, obwohl die Manner sahen, wie sie sich abmuhte. Das zeigte ihr einmal mehr, da? nicht nur Frazer Bradden ihr ablehnend gegenuberstand. Die Deutsche wurde im Treck allenfalls geduldet.

Als sie den vierten Eimer heranschleppte und ihn gerade auf dem Boden absetzte, um ihre schmerzenden Muskeln zu entspannen, drang ein Wimmern an ihre Ohren, das sie sofort erkannte. Sie hatte es in den letzten zehn Monaten tausendmal gehort, und nie hatte es die junge Mutter unberuhrt gelassen. Es war unverkennbar ihr kleiner Jamie, der dort weinte.

So gut, wie Irene das Weinen ihres Sohns kannte, so gut konnte sie es auch beurteilen. Sie wu?te, wann er Hunger hatte, wann ihn die nassen Windeln storten oder wann er aus Angst vor der noch weitgehend unbekannten Welt die Nahe seiner Mutter suchte.

Jetzt schrie er aus Leibeskraften vor Angst. So sehr, da? nicht die blo?e Abwesenheit der Mutter der einzige Grund sein konnte. Da mu?te etwas anderes sein, das ihn schreien lie? wie am Spie?.

Von einer plotzlichen Panik erfullt, lie? Irene den Wassereimer stehen und rannte zu ihrem Wagen - um etwas zu sehen, das ihre Panik noch steigerte.

Zwei Manner standen neben dem Wagen, Fred Myers und Frazer Bradden.

Myers hielt das schreiende Kind mit grobem Griff gepackt. Bradden hatte sein gro?es Bowiemesser wieder - und hielt die scharfe Klinge dicht an den kleinen Hals des Kindes.

Irene erstarrte.

Auch wenn alles in ihr danach drangte, ihren Sohn den beiden Mannern zu entrei?en und in die Arme zu schlie?en, wollte sie nichts tun, was Bradden und Myers zu einer unuberlegten Handlung hinri?.

»Was. was tut ihr mit Jamie?« schrie sie mit einer sich vor Angst uberschlagenden Stimme.

Der Mann mit dem gro?en Messer grinste breit und ha?lich, als er antwortete: »Wir brauchen den Kleinen, um dir zu zeigen, da? wir keinen Spa? verstehen.«

Und er setzte die Klinge an Jamies Kehle.

*

Funfzehn Meilen ostlich, etwa zur selben Zeit

Die Unruhe des Appaloosas weckte Jacob. Das Tier war offensichtlich nervos. Unablassig schnaubte es und scharrte mit den Hufen.

Rasch verging die Mudigkeit des jungen Deutschen. Er kampfte sich aus den Decken und griff nach seiner einzigen Waffe, Riding Bears gro?em Messer. Er sprang auf und zog die lange Klinge aus der Lederscheide an seiner Hufte.

Er duckte sich in den Schatten der gro?en Pappel, unter der er sein Nachtlager aufgeschlagen hatte, und blickte sich suchend nach der Gefahr um, die der Graue zu wittern schien.

Ein seltsames Licht erfullte das Pappelwaldchen, nicht mehr die Schwarze der Nacht, aber auch noch langst nicht Tag. Es war ein schmutziges, dusteres Grau, in das sich unendlich langsam ein bla?roter Schimmer mischte. Dafur sorgte die Sonne, die langsam uber die Berge im Osten kletterte, aber noch nicht so hoch und so stark war, um die Lichtung zwischen den Pappeln richtig zu erhellen.

Die aufmerksamen Augen des Auswanderers gewohnten sich schnell an das Dammerlicht, als sie die Umgebung absuchten. Sie entdeckten kein Anzeichen fur eine Gefahr.

Waren Nez Perce in der Nahe?

Wenn ja, hielten sie sich so gut versteckt, da? Jacob sie nicht entdeckte.

Die Manner aus Greenbush konnten kaum der Grund fur die Nervositat des Appaloosas sein. Zu seinem Leidwesen hatte Jacob die Distanz zu dem Treck nicht so verkurzt, wie er es sich gewunscht hatte.

Er mu?te sich erst an das Indianerpferd gewohnen und das Tier sich auch an ihn. Ein Wei?er hatte eine andere Art zu reiten als ein Roter.

Au?erdem mu?te Jacob ein paar Pausen einlegen, weil seine Schmerzen durch den Ritt wieder starker wurden.

Er war bis zum Einbruch der Dunkelheit geritten, aber der Treck hatte sich einen Vorsprung von ungefahr einer Tagesreise bewahrt. Gemessen an der Entfernung, die ein schwerer Wagen in dieser unzuganglichen Gegend zurucklegte.

Ein Reiter war schneller. Deshalb war Jacob guter Hoffnung, den Treck spatestens heute abend zu erreichen.

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