den Holzstopsel aus dem Leder und spulte den schlechten Geschmack aus seinem Mund. Anschlie?end reinigte er Hande und Gesicht.

Dann nahm er die Decken vom Pferd und wickelte sich darin ein. Ihm war plotzlich sehr kalt. Auch wenn die Kalte von innen kam, hoffte er, da? die Decken dagegen halfen.

Inmitten des Blutes und der Tierkadaver schlo? er die Augen und schlief kurz darauf ein.

Wieder traumte er von Irene und Jamie.

*

Die vier Planwagen erreichten Molalla Spring etwa eine Stunde vor Einbruch der Dammerung.

Sobald die Berge hinter den Menschen aus Greenbush lagen, trieben sie die Tiere an, um nicht noch eine weitere Nacht in der Wildnis verbringen zu mussen.

Die Missionsstation versprach Schutz vor den rachsuchtigen Nez Perce.

Aber das schien nicht der einzige Grund zu sein, weshalb die Siedler es so eilig hatten, zum Molalla River zu kommen. Irene spurte, da? da noch etwas war. Etwas, das mit der ihr aufgezwungenen Verschwiegenheit in Verbindung stand.

Etwas, das vielleicht damit zu tun hatte, da? Fred Myers kurz vor der Mission die zum Trocknen an seinen Wagenkasten gehangten Skalps abgenommen und unter der Plane verstaut hatte.

Sie hatte viel Zeit, daruber nachzudenken. Jetzt, wo sie Jamie nur noch zum Stillen sah.

Eliza Bradden gab den kleinen Jungen fur die kurze Zeit nur sehr widerwillig heraus. Sie behielt Mutter und Kind stets im Auge, ganz so, als gehore Jamie eigentlich ihr und nicht der richtigen Mutter. Neidisch beobachtete die altere Frau, wie der Junge Irenes Muttermilch saugte.

Fast empfand die junge Deutsche Mitleid mit ihr. Sie konnte sich vorstellen, was John Braddens Frau durchmachte, nachdem sie ihre eigenen Kinder an das Fieber verloren hatte. Jamie stellte eine Art Ersatz fur sie dar.

Aber das Mitleid schwand schnell, als Irene daran dachte, was heute morgen fast mit ihrem Sohn geschehen ware. Hatte Eliza Bradden tatenlos mitangesehen, wie ihr Schwager die Kehle des Kindes durchschnitt?

Jedenfalls hatte sie geduldet, wie er Jamie als Geisel nahm und ihn in Angst und Schrecken versetzte. Ohne Widerspruch und ohne sichtbare Regung hatte sie danebengestanden und einfach nur zugesehen.

So verhielt sich keine Mutter! Nicht, wenn in ihr auch nur ein Funke Gefuhl fur ihr Kind glomm.

Jamie gehorte zu Irene, zu niemandem sonst!

Und doch mu?te sie ihn hergeben, sobald sein Appetit befriedigt war. Jedesmal weinte Jamie, wenn sie sich trennten, und seiner Mutter brach fast das Herz.

Die Mission lag in einer von Hugeln und Waldern eingefa?ten Ebene am hier noch jungen Molalla River. Ein malerisches Bild, das Irene nicht genie?en konnte. Trotzdem hockte sie neben Lewis Bradden auf dem Bock und blickte sich sorgfaltig um.

Es hatte keinen Sinn, sich zu verkriechen. Sie mu?te wissen, was vor sich ging, wenn sie auch nur eine kleine Chance haben wollte, etwas fur sich und vor allem fur Jamie zu tun.

Ring um die eigentliche Missionsstation erstreckten sich gro?e Felder bis zum Waldrand. Auf ihnen herrschte reges Treiben.

Erst wunderte sich Irene, was es so kurz nach der Schneeschmelze schon zu tun gab. Dann sah sie, da? die Manner fieberhaft an einem Netz von Graben arbeiteten. Offenbar hatte die gro?e Schneeschmelze zu Uberschwemmungen gefuhrt.

Sobald die Arbeiter aber den Treck entdeckten, lie?en sie Hacken, Spaten und Schaufeln liegen und rannten zu den Wagen. Der Winter war eine einsame Zeit gewesen. Die Siedler versprachen Neuigkeiten und Abwechslung.

Fast alle Arbeiter hatten dunkle Haut und unverkennbar indianische Zuge, auch wenn die meisten von ihnen die Haare kurz und die Kleidung der Wei?en trugen.

»Schauen Sie sich nur die bekehrten Wilden an«, raunte der sonst eher schweigsame Lewis Bradden verachtlich. »Sie tragen das Kreuz Christi um den Hals, aber die meisten von ihnen haben darunter die indianische Medizin versteckt!«

»Woher wissen Sie das?« erkundigte sich Irene.

»Das ist doch klar!« erwiderte der Sohn des Treck-Captains und spie aus.

»Sind es Nez Perce?« fragte Irene, die Verachtung in Braddens Worten absichtlich uberhorend.

»Yeah, zumindest die meisten. Vielleicht sind auch ein paar Spokane, Coeur d'Alene, Cayuse und Walla Walla darunter. Diese Betbruder hangen doch jedem das Kreuz um, den sie packen konnen.«

»Mogen Sie die Missionare nicht?«

»Nein. Sie behandeln die Roten wie Lammer. Dabei sind es wilde Wolfe, die sich nur bei den Wei?en etwas Winterspeck anfuttern. Wenn sie die Nase voll davon haben, bringen sie die angeblichen Bruder mit der hellen Haut um und ziehen nach Art ihrer Vorfahren wieder mordend und plundernd durchs Land.«

Am liebsten hatte Irene ihm gesagt, da? die Leute aus Greenbush es waren, die mordend und plundernd durchs Land zogen. Aber sie wollte ihn nicht unnotig reizen.

Also fragte sie nur: »Wie viele Indianer leben hier?«

»An die vierzig Manner, schatze ich. Dazu noch Squaws und Kinder. Alles in allem wohl an die zweihundert Rothaute.«

»Und wie viele Wei?e?«

»Nur drei, wenn sich in der Zwischenzeit nichts verandert hat. Simon Mercer, seine Frau Narcissa und der alte Walt Hickly. Er ist so eine Art Madchen fur alles.«

Je naher die Wagen der Missionsstation kamen, desto langer wurde der Zug der sie begleitenden Indianer. Jetzt kamen auch Frauen und Kinder aus der Huttensiedlung angelaufen, in der die bekehrten Roten lebten.

Die Indianer riefen den Neuankommlingen Fragen zu, in der Sprache der Wei?en. Sie fragten nach dem Leben jenseits der Cascade Mountains, nach Bekannten in Greenbush und bei den frei lebenden Nez Perce.

Auch wenn sich die Leute aus Greenbush um Freundlichkeit bemuhten, fielen ihre Antworten eher einsilbig aus.

Irene fragte sich, warum die Wei?en den Roten gegenuber so freundlich taten. Weil dies hier bekehrte Indianer waren, gegen die man keinen Groll hegte? Oder weil eine bestimmte Absicht dahintersteckte?

Aber welche?

Zwischen der Indianersiedlung und den anderen Gebauden der Mission lagen ein paar hundert Yards freies grasbewachsenes Gelande. Hier lie? John Bradden den Treck anhalten und ritt dann zu Irenes Wagen.

»Da kommen die Mercers«, sagte er und wies auf die Gebaude zur Rechten, zu denen eine einfache, aber gro?e Kirche, mehrere Hauser und Stalle, eine Schmiede und eine durch die Wasser des Molalla River betriebene Muhle gehorten.

Von dort liefen den Wagen drei Wei?e entgegen, zwei Manner und eine Frau. Das mu?ten die Mercers und Walt Hickly sein.

»Du wei?t, wie du dich zu verhalten hast, Dutch-Lady!« zischte der Treck-Captain.

Es war weniger eine Frage als eine Erinnerung an die Anweisungen, die John Bradden der Deutschen gegeben hatte. Trotzdem nickte Irene.

»Ja, ich wei? Bescheid. Und ich werde mich danach richten.«

FurJamie, dachte sie. Nur fur ihn!

»Schon. Denk immer an deinen kleinen Sohn, dann wird es dir leichtfallen.« John Bradden blickte seinen eigenen Sohn an.

»Pa? gut auf die Dutch-Lady auf, Lewis!«

Der Treck-Captain ri? seinen Rappen herum und ritt den Wei?en von der Mission entgegen. Die hatten den Wagenzug fast erreicht und begru?ten Bradden freundlich.

»Was ist los, Bruder John?« fragte der Mann, den Irene fur Simon Mercer hielt. »Warum kommst du uns gleich mit vier Wagen besuchen? So viel Tauschmaterial kannst du so kurz nach dem Winter doch gar nicht haben.«

Er war ein gro?er knochiger Mann, irgendwo zwischen Funfzig und Sechzig. Das eisgraue Haar fiel ihm in wirren Locken in den Nacken. Lange und ebenfalls graue Koteletten wuchsen bis zum Kinn hinunter. Das sonst bartlose Gesicht druckte eine gutmutige Strenge aus. Die Augen konnte Irene nicht erkennen, weil die dicken

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