»Steck deinen Zahnstocher wieder ein, Frazer. Ich glaube, die Dutch-Lady ist vernunftig. Sie vergi?t bestimmt nicht, wie schmerzempfindlich und zerbrechlich ein kleines Kind ist.«

»Wer wei?«, erwiderte der Bruder des Treck-Captains achselzuckend, als warte er nur auf eine Gelegenheit, die Verletzlichkeit des Kindes unter Beweis zu stellen.

Als er das Bowiemesser zuruck in die Scheide steckte, hatte das fur die junge Frau aus Deutschland gar nichts Beruhigendes an sich.

Er tat es ganz langsam, fast andachtig. Und dabei bohrte er seinen ha?erfullten Blick in Irenes Augen.

*

Eben noch waren die gefletschten Zahne der Bestie ganz nah vor Jacobs Gesicht, dann waren sie auf einmal verschwunden.

Es schien verruckt. Ausgerechnet das gleichzeitige Nachlassen seiner Kraft in beiden Armen hatte ihn davor bewahrt, da? der gro?e Wolf seine Kehle zerfleischte.

Von seinem eigenen Angriffsschwung mitgerissen, flog das Raubtier uber den Menschen hinweg und vollfuhrte hinter ihm einen ungeschickten Purzelbaum.

Jacob stemmte sich hoch. Er wu?te, da? die Gefahr nicht voruber war.

Gerade noch rechtzeitig kam er auf die Beine, um einem erneuten Angriff der Bestie auszuweichen. Sie wischte an ihm vorbei und landete in dem geloschten Lagerfeuer, eine dichte Aschewolke aufwirbelnd. Gleichzeitig stie? sie ein jammerndes Heulen aus.

Der Wolf sprang aus der Feuerstelle und schuttelte sein aschebeschmutztes Fell. Es stank nach verbranntem Fleisch. Unter der Asche mu?te noch die Glut des Feuers schwelen.

Jacob handelte. Er sturzte zur Feuerstelle und wuhlte hastig in der Asche, bis er einen langen Ast fand, dessen eines Ende noch gluhte. Damit lief er auf den gro?en Wolf zu, der sich allmahlich von dem Schreck erholte.

Aber das Tier blieb stehen, wandte nur den Kopf und blickte dem Mann entgegen. Wahrscheinlich wurde es dadurch verwirrt, da? seine scheinbar schon sichere Beute plotzlich zum Angriff ubergegangen war.

Jacob stie? den gluhenden Ast vor, direkt in eins der Wolfsaugen. Zu spat ri? das Tier den Kopf zur Seite und entfernte sich durch einen plotzlichen Satz von dem Gegner. Jacob hatte ihm bereits das rechte Auge ausgebrannt.

Unter lautem Geheul drehte das Tier sich um sich selbst. Wie wahnsinnig. Oder wie auf der Suche nach dem verlorenen Auge.

Jacob nutzte die Verwirrung der Bestie und wagte einen weiteren Angriff. Was er kaum zu hoffen gewagt hatte, gelang auf Anhieb: Der Wolf verlor auch sein anderes Auge.

Die eben noch gefahrliche Bestie war auf einmal vollkommen hilflos. Sie rannte, immer wieder schmerz- und schreckerfullt aufheulend, uber die Lichtung und verschwand schlie?lich im Unterholz.

Unbandige Freude uber diesen Sieg stieg in dem Auswanderer hoch. Eben, als er am Boden und der Wolf auf ihm lag, hatte er sich schon tot gesehen, von der wilden Bestie zerfleischt.

Doch die Freude wahrte nicht lange. Das verzweifelte Wiehern des Appaloosas ri? Jacob aus der kurzen Euphorie.

Erschrocken sah er sich nach dem Pferd um.

Es lag seitlich am Boden, das graue Fell von Blut bedeckt. Die beiden Wolfe hatten dem Grauen mehrere schlimme Wunden zugefugt.

Die Hufe des Pferdes zuckten durch die Luft. Aber es waren keine gezielten Tritte, sondern die unkontrollierten Bewegungen einer Kreatur im Todeskampf.

Ein Wolf hatte sich in der Flanke des Appaloosas verbissen, der andere in seinem Hals. Wahrend Jacob mit dem gro?en Wolf beschaftigt gewesen war, hatten dessen Gefahrten das Indianerpferd besiegt.

Jacob fand sein Messer, nahm es mit einem raschen Griff auf und sturmte unter lautem Gebrull auf die kampfenden Tiere zu. In einer Hand schwang er die lange Klinge, in der anderen den gluhenden Ast.

Der Wolf, der sich in der Flanke des Appaloosas verbissen hatte, lie? von der Beute ab und blickte erstaunt zu Jacob. Auch ihn schien die Tatsache zu verwirren, da? eins der vermeintlichen Opfer plotzlich zum wutenden Angreifer wurde.

Jacob stach zu.

Durch einen schnellen Satz zur Seite wich die Bestie seiner Klinge aus und sprang Jacob an.

Der gro?e Mann machte nur eine leichte Drehung und schlug den gluhenden Ast in das Wolfsgesicht. Wieder roch es nach verbranntem Fleisch.

Besturzt und verwirrt lief das gepeinigte Raubtier von Jacob und dem Appaloosa weg zum Rand der Lichtung. Dort verharrte es und blickte zweifelnd zu dem Menschen heruber.

»Verschwinde!« schrie Jacob aus Leibeskraften und hob drohend den Ast.

Das tat seine Wirkung. Nach einem letzten wutenden Knurren sprang das Tier zwischen die Busche und verschwand im Unterholz.

Jacob wirbelte herum und erkannte auf einen Blick, da? jede Hilfe fur den Grauen zu spat kam.

Der gro?e Kopf des Appaloosas war auf den Boden gefallen. Er wehrte sich kaum noch gegen den letzten verbliebenen Wolf, der ein gro?es Stuck Fleisch aus dem Pferdehals ri?.

Wieder schrie der Mann laut, um das Raubtier von seiner Beute abzubringen. Gleichzeitig sprang er vor und stie? die Messerklinge in den Leib der Bestie.

Der Wolf reagierte darauf nicht. Der Blutrausch, der ihn gepackt hatte, schien nicht nur seinen Verstand, sondern auch sein Schmerzempfinden ausgeschaltet zu haben. Immer tiefer verbi? er sich in der Kehle des Appaloosas, zu nichts anderem mehr fahig.

Auch nicht, als Jacobs Klinge wieder und wieder in seinen Leib und seinen Hals stie?.

Der Wolf lie? von dem Pferd erst ab, als er tot zusammenbrach, ein Stuck aus der Beute gerissenes Fleisch noch zwischen den Zahnen.

Es war ein widerlicher Anblick.

Jacob zitterte am ganzen Korper. Eine unbandige Ubelkeit stieg in ihm auf. Er fiel auf die Knie und ubergab sich, immer und immer wieder, bis sein Magen leer war.

Eine ganze Weile hockte er einfach nur da, inmitten von Blut und seinem eigenen Auswurf, und versuchte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen.

Erst jetzt, als der Kampf beendet war, traf ihn der volle Schock des plotzlichen Uberfalls.

Vielleicht hatte der junge Deutsche unter anderen Umstanden weniger heftig reagiert. Aber die Ereignisse der letzten Tage -der Kampf gegen die Nez Perce und der Aufstieg aus dem Canyon, sowie die dauernde Sorge um Irene und Jamie, hatten ihn arg mitgenommen.

Als der Schwindel und die Benommenheit nachlie?en, blickte er zu dem Grauen hinuber. Der Appaloosa bewegte sich nicht mehr. Jacob konnte auch kein noch so leises Wiehern vernehmen. Das Tier mu?te am Ende sein.

Es war Jacobs schmerzliche Pflicht, es von seinen Qualen zu erlosen. Und dazu stand ihm nur Riding Bears Messer zur Verfugung.

Es steckte noch in der Kehle des Wolfs.

Jacob wollte aufstehen, aber ein plotzlicher Schwindelanfall verhinderte das. Er kroch auf allen vieren zu dem toten Raubtier, zog das Messer heraus und robbte weiter zu dem Appaloosa.

Aber er kam zu spat. Der Graue war schon tot.

Jacob verspurte Erleichterung. Er ware sich wie ein Verrater vorgekommen, hatte er das Tier toten mussen, das so tapfer an seiner Seite gekampft hatte.

In seine Trauer um den Verlust des Pferdes mischte sich die Besturzung daruber, da? der Treck mit Irene und Jamie in weite Ferne geruckt war.

Zu Pferd hatte er ihn heute wohl noch erreicht. Zu Fu? bestand keine Aussicht darauf.

Schon gar nicht in dem geschwachten Zustand, in dem er sich befand. Vor dem Angriff der Wolfe hatte er sich gar nicht so schwach gefuhlt. Es zeigte ihm, da? er seine Krafte uberschatzt hatte.

Und es brachte ihn davon ab, sofort weiterzumarschieren. Das ware sehr tapfer gewesen, aber auch sehr dumm. Wenn er unterwegs entkraftet zusammenbrach, hatte er nichts davon. Irene und Jamie nutzte es auch nicht.

Er nahm den Wasserschlauch, den Riding Bear ihm mitgegeben hatte, vom Rucken des toten Pferdes, zog

Вы читаете Der Speer der Vergeltung
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×