seine flache Hand auf die Nustern legte.

Das braunwei?e Pferd war das Reittier des verwundeten Nez Perce; es trug einen Indianersattel. Den gro?ten Teil seiner Ausrustung, Waffen, Verpflegung und Decken, hatte er auf den grauen Appaloosa gepackt.

Jacob stutzte, als er den gro?en ovalen Schild sah. Die Verzierung der Lederbespannung, ein reitender Krieger mit einem Barenkopf, hatte er schon einmal gesehen!

Ja, es war erst gestern gewesen. Das war der Schild, den der Indianer zuruckgelassen hatte, der Irene und Carol Owen angegriffen hatte.

Der Indianer, auf den Irene geschossen hatte!

Er mu?te zum Ort des Kampfes zuruckgekehrt sein, um seinen Schild und die Lanze zu holen, die neben dem Schild an dem Pferd hing.

Jacob lachte trocken.

Er konnte nicht anders bei dem Gedanken, da? die Kugel, die er unter Muhen aus der Brust des Nez Perce geholt hatte, aus seinem eigenen Army Colt stammte.

Er fuhrte die beiden Tiere zur Felsbarriere, ri? ein Stuck von einer indianischen Decke ab und wickelte es als Verband um die Brust des Kriegers.

Nachdem er Holz zusammengesucht und nachgelegt hatte, damit das Feuer nicht ausging, a? er etwas von der Verpflegung des Nez Perce. Jetzt, wo alle Arbeit getan war, verspurte Jacob einen Barenhunger. Die faustgro?en Balle, die er in einem Rohhautbeutel fand, bestanden aus getrocknetem Fleisch und undefinierbaren pflanzlichen Stoffen. Sie schmeckten talgig, nicht besonders gut, aber sie stillten seinen Hunger.

Und die Warme des Feuers linderte Jacobs Schmerzen. Er fuhlte sich ein wenig besser, als er unter eine der indianischen Decken schlupfte.

Er hatte sich noch gar nicht richtig ausgestreckt, da schlief er schon.

Jacobs geschundener, uberanstrengter Korper verlangte sein Recht.

*

Als Jacob die Augen aufschlug, blendete ihn die Helligkeit der strahlenden Sonne hoch oben am Himmel.

Er mu?te lange geschlafen haben, mehr als zwolf Stunden. Es war ein tiefer, traumloser Schlaf gewesen. Jedenfalls konnte er sich an keine Traumbilder erinnern.

Bevor er sich aufrichten konnte, wurde die Sonne plotzlich durch etwas verdunkelt, das sich zwischen Jacob und das warmende, Licht spendende Gestirn schob.

Eine dunkle Wolke?

Nein, ein Gesicht, aber auch dunkel. Das Gesicht eines Indianers!

Jacobs erster Gedanke war, da? ein Trupp Nez Perce den Lagerplatz gefunden hatte, wahrend er schlief. Nun war er den rachsuchtigen Kriegern ausgeliefert.

Doch dann erkannte er das Gesicht - mit den dunnen Lippen, der geraden Nase, den hohen Wangenknochen und den schmalen Augen. Der Auswanderer konnte es kaum fassen, da? der schwerverwundete Nez Perce, der gestern abend noch mit dem Tod gerungen hatte, eher wieder auf den Beinen war als er selbst.

Aber es war so!

Der Nez Perce kauerte vor Jacob und hielt etwas Kleines, eingeklemmt zwischen Daumen und Zeigefinger, vor das Gesicht des Deutschen.

Jacob rieb den Schlaf aus seinen Augen und erkannte die blutverkrustete Kugel, die er aus der Brust des Kriegers geholt hatte.

»Der wei?e Mann hat Riding Bear von dem bosen Zauber befreit.«

Riding Bear - Reitender Bar. Das also war der Name des Roten. Jacob erinnerte sich an die Bemalung des Schilds.

Dann erst kam er dazu, sich zu wundern. Daruber, wie gut der Rote das Englische beherrschte. Fast besser als Jacob selbst.

Jacob war sich nicht sicher, ob die Au?erung des Nez Perce eine Frage oder blo? eine Feststellung war.

Deshalb sagte er: »Ja, ich habe dich in der letzten Nacht davon befreit. Aber es ist kein boser Zauber, sondern eine Kugel.«

»Sandhaar mu? Riding Bear nicht fur dumm halten, blo? weil dessen Hautfarbe dunkler ist«, erwiderte der Nez Perce mit unbewegtem Gesicht. »Riding Bear kennt Kugeln und Gewehre. Beides kann guter Zauber sein, wenn es hilft, den Feind und das Wild zu toten. Und schlechter Zauber, wenn es die Manner und Frauen der Kaminu totet.«

»Die Kaminu?« Jacob sah den Indianer fragend an.

»So nennt sich Riding Bears Volk. Ihr Wei?en nennt uns Nez Perce. Aber dieser Name meint viele Gruppen, und jede dieser Gruppen hat einen eigenen Namen.« Ein verachtlicher Zug trat in Riding Bears Gesicht. »Zu schwierig fur den wei?en Mann.«

»Nicht alle sind so dumm, wie Riding Bear denkt, auch wenn unsere Hautfarbe heller ist als seine.«

Ein Zucken durchlief die Zuge des Indianers.

War es so etwas wie ein Lacheln? Oder ein Ausdruck der Verargerung?

»Sandhaars Zunge ist flinker als sein Geist.«

Sandhaar!

An diesen Namen mu?te sich Jacob erst gewohnen.

Die Bemerkung des Indianers gab ihm zu denken, und er fragte: »Will Riding Bear mir seine Worte erklaren?«

»Sandhaar sprach davon, die Kugel in der letzten Nacht aus Riding Bears Brust geholt zu haben.«

Jacob nickte. »Ja, so ist es.«

»Nein, so ist es nicht. Es war die Nacht vor der letzten Nacht.«

Vielleicht war Jacobs Geist wirklich nicht so rege, wie Jacob angenommen hatte. Erst allmahlich begriff er die Bedeutung von Riding Bears Worten.

»Du meinst... ich habe nicht nur eine Nacht geschlafen, sondern zwei Nachte und dazwischen einen ganzen Tag?«

Riding Bear nickte und blickte nach oben, zur Sonne, die ihren Zenit bereits uberschritten hatte.

»Und noch einen halben Tag dazu. Sandhaar ist einer der starksten Manner, die Riding Bear kennt. Sonst ware er nicht aus der Schlucht entkommen. Aber selbst ein starker Mann braucht nach einer solchen Anstrengung Ruhe.«

Das mochte sein, aber es gefiel Jacob nicht sonderlich. Denn es bedeutete, da? sich der Treck mit Irene und Jacob in der Zwischenzeit noch weiter von ihm entfernt hatte.

Der Indianer hielt die Kugel noch naher vor Jacobs Augen und fragte: »Weshalb hat Sandhaar den bosen Zauber. die Kugel aus Riding Bears Brust geholt?«

»Weil du sonst gestorben warst. Wahrscheinlich noch in der Nacht.«

»Das ist keine Antwort«, behauptete der Indianer brusk.

Jacob blickte ihn verwirrt an. »Warum nicht?«

»Weil es die Wei?en nicht kummert, ob die Kaminu sterben.«

»Vielleicht kummert es nicht alle Wei?en, aber bestimmt sehr viele. Auf jeden Fall kummert es mich!«

Ein bitterer Zug umspielte die Lippen des Roten, als er erwiderte: »Riding Bear mochte Sandhaar glauben, aber er kann es nicht. Zu oft schon haben die Wei?en mit gespaltener Zunge zu den Kaminu gesprochen. Hat Sandhaar vor zwei Tagen nicht gegen Riding Bears Bruder gekampft?«

»Doch«, seufzte Jacob, »das habe ich.«

»Sandhaar gibt es zu?« fragte Riding Bear verwundert nach.

»Naturlich gebe ich es zu. Denn es ist die Wahrheit. Vorgestern wu?te ich noch nicht, da? Riding Bear und seine Bruder einen guten Grund fur ihren Kriegszug haben. Ich half den anderen Wei?en, weil ich sie im Recht glaubte.«

Die schmalen Augen in dem dunklen Gesicht blickten Jacob forschend an. »Und was glaubt Sandhaar jetzt?«

»Da? die Kaminu im Recht sind. Denn jetzt wei? ich, was die Leute aus Greenbush ihnen angetan

Вы читаете Der Speer der Vergeltung
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату
×