haben.«

Riding Bears Blick verklarte sich. Der Indianer sah nicht mehr Jacob an, sondern in eine weite Ferne, die nur der Geist so schnell zu uberwinden vermochte.

»Riding Bear hatte einen Vater und eine Mutter«, sagte der Nez Perce langsam, ruhig.. »Beider Korper waren alt, aber in ihren Kopfen waren sie noch jung. Als Riding Bear von der Jagd heimkam, waren sie tot. Riding Bear hatte eine Squaw mit dem Namen Clear Water, weil ihre Augen so klar waren wie das Wasser der Bergflusse. Im letzten Sommer schenkte Clear Water Riding Bear einen Sohn. Er war so winzig, da? wir ihn Little Hands nannten. Aber wir glaubten fest, da? er einst einen anderen Namen tragen und ein starker, stolzer Krieger sein wurde. Als Riding Bear von der Jagd zuruckkehrte, waren Clear Water und Little Hands tot. Wie Riding Bears Eltern waren sie ermordet und ihrer Skalps beraubt worden. Wie alle Frauen, alle Kinder und alle Alten, die im Lager zuruckgeblieben waren.«

Die Stimme des Kriegers wurde noch leiser, zugleich aber dunkler und anklagend, als er fortfuhr: »Bevor Clear Water starb, nahm ihr Morder sie mit Gewalt! Sie war nicht die einzige Squaw, der das widerfuhr. Ein paar der Geschandeten waren noch sehr jung. Kinder!«

Der Blick des Nez Perce kehrte ins Hier und Jetzt zuruck. Ein wildes Feuer brannte in Riding Bears Augen.

Mit einer zornigen Bewegung schleuderte er die Kugel fort. Dann zeigte er mit der Hand auf Jacob.

»Die Manner, die meinen Stamm ermordeten, waren Wei?e wie Sandhaar! Riding Bear hat allen Wei?en den Tod geschworen. Warum soll er bei Sandhaar eine Ausnahme machen?«

Ein Grinsen zog uber das Gesicht des jungen Deutschen.

»Warum lacht Sandhaar?« fragte der Nez Perce erbost. »Ist das die Art des wei?en Mannes, die Kaminu erst zu toten und sie dann zu verspotten?«

»Ich verspotte niemanden«, erwiderte Jacob traurig. »Ich mu?te nur daran denken, da? die Kaminu und die Siedler aus Greenbush vielleicht eine ganze Menge gemeinsam haben. Die Wei?en schworen allen Roten den Tod, und die Roten allen Wei?en. So wird das Toten zu seinem eigenen Grund und geht immer weiter, bis es von einer Hautfarbe keinen mehr gibt. Aber ich glaube, auch dann horen die Menschen mit dem Toten nicht auf.«

Riding Bear dachte nach, eine ganze Weile.

Schlie?lich sagte er: »Riding Bear glaubt, Sandhaar zu verstehen. Aber Riding Bear versteht nicht alles. Weshalb haben die Manner aus Greenbush den Kaminu den Tod geschworen?«

Jacob erzahlte ihm von der Fieberepidemie, die fast ganz Greenbush ausgeloscht hatte. Und davon, da? die Siedler den Nez Perce die Schuld an der Katastrophe gaben.

»Das hat Riding Bear nicht gewu?t«, sagte der Indianer. »Auch unter den Kaminu hat das Fieber gewutet, aber es nahm nur wenigen das Leben. Vierauge hat den Kaminu geholfen und wollte auch nach Greenbush, um den Wei?en beizustehen. Der plotzliche Schnee lie? ihn nicht durchkommen, und er mu?te ins Lager der Kaminu zuruckkehren, bis der Schnee schmolz.«

»Ich habe davon gehort«, nickte Jacob. »Vierauge ist demnach Simon Mercer aus Molalla Spring.«

»Ja«, bestatigte Riding Bear. »Vor seinen Augen hat er noch einmal zwei Augen aus Glas. - Das mit dem Fieber ist nicht die Wahrheit.«

»Was meint Riding Bear?«

»Bei den Kaminu brach das Fieber erst aus, nachdem zwei Manner aus Greenbush sie besucht hatten. Sie haben das Fieber zu uns gebracht. Also sind die Wei?en selbst schuld an ihrem Verhangnis.«

»Die Wahrheit wird sich wohl nicht mehr feststellen lassen«, seufzte Jacob. »Aber sie ist letztlich auch gleichgultig. Wer wen auch mit dem Fieber angesteckt hat, er tat es nicht mit Absicht. Auch der Missionar, Vierauge, unterlie? die Hilfe fur Greenbush nicht absichtlich. Es war ein Ungluck, kein Mord. Und deshalb ist es keine Entschuldigung fur Mord.«

»Sandhaars Worte sind gut. Sind es auch seine Gedanken?«

»Ich sage, was ich denke. Und ich denke, was ich sage. So ist es immer gewesen.«

»Hat Sandhaar seine Meinung auch den anderen Wei?en gesagt?«

»Ja.«

»Haben sie Sandhaar deshalb angegriffen?« »Ja.«

»Gehort die schone junge Squaw mit dem Goldhaar und dem kleinen Kind zu Sandhaar?«

Jacob war zutiefst uberrascht. Mit dieser Frage hatte er nicht gerechnet.

Stotternd antwortete er wiederum mit »Ja«.

»Dann sind es Sandhaars Squaw und sein Kind«, stellte Riding Bear fest. »Deshalb hat die Squaw verzweifelt nach Sandhaar gerufen, als er in den Canyon gesturzt war. Die anderen Wei?en mu?ten sie zwingen, mit ihnen zu kommen.«

So ahnlich hatte Jacob es sich bereits gedacht. Die Sorge um Irene und Jamie drangte sich in den Vordergrund. Er mu?te ihnen nach!

»Sie gehoren zu mir«, sagte der junge Deutsche. »Aber die Frau ist nicht meine Squaw, und das Kind ist nicht mein Sohn.«

»Das verstehe ich nicht«, erwiderte Riding Bear mit leichtem Kopfschutteln. »Sandhaar liebt doch die Squaw und das Kind.«

Verblufft starrte Jacob den Indianer an.

»Woher will Riding Bear das wissen?«

»Riding Bear hat Sandhaars Augen gesehen, als wir von den beiden sprachen.«

»Die Squaw liebt einen anderen Mann, den Vater des Kindes«, versetzte Jacob brusk. »Er sucht in Kalifornien nach Gold. Ich bringe die beiden zu ihm.«

»Warum?«

»Weil. weil ich es versprochen habe.«

»Sandhaar ist verruckt.«

Jetzt fragte Jacob: »Warum?«

»Weil er die Squaw, die er liebt, nicht bei sich behalt, sondern zu einem anderen Mann bringt. Das ist doch verruckt!«

»So habe ich das noch nie betrachtet«, meinte Jacob nachdenklich. »Aber vielleicht hast du nicht ganz unrecht, Riding Bear.«

»Bestimmt nicht!« bekraftigte der Nez Perce und sagte dann: »Riding Bear glaubt Sandhaar.«

»Was denn?« fragte der Deutsche, den die Gedankensprunge des Indianers immer mehr verwirrten.

»Da? er nicht wu?te, was die Wei?en getan haben, als er mit ihnen gegen die Kaminu kampfte.«

»Wieso glaubst du mir?«

»Weil du zugegeben hast, die Frau, die du liebst, zu einem anderen Mann zu bringen. Wer so etwas Verrucktes zugibt, kann kein Lugner sein.«

Jacob verstand diese Logik nicht ganz. Aber die Lehre, die Riding Bear daraus zog, beruhigte ihn. Sie bedeutete namlich: Jacob mu?te nicht standig damit rechnen, da? der Nez Perce ihm die Kehle durchschnitt oder ihn skalpierte.

Der Wei?e blickte zu den beiden Pferden, die friedlich in etwa zwanzig Yards Entfernung grasten. Die Sorgen und Note der Menschen waren fur sie nicht von Bedeutung. Fast beneidete Jacob sie.

»Riding Bear ist schon wieder gut bei Kraften«, sagte der Auswanderer.

»Sandhaar hat recht«, nickte der Indianer. »Die Krauter, die er Riding Bear auflegte, wirken gut.«

Der Indianer wies zu den beiden Pferden.

»Der Graue gehort Sandhaar. Er mu? den Wagen rasch folgen, damit er die Squaw von den wei?en Mannern holen kann, um ihn zu dem anderen wei?en Mann zu bringen. Falls Sandhaar nicht vorher vernunftig wird.«

»Das ist leider keine Frage der Vernunft«, seufzte Jacob und sah dann den Indianer an. »Ich habe nichts, um das Pferd zu bezahlen, Riding Bear.«

»Sandhaar hat es bereits bezahlt«, entgegnete der Nez Perce und beruhrte mit der Hand seine Brust. »Hiermit.«

»Und du?« fragte Jacob. »Wirst du die Menschen aus Greenbush entkommen lassen?«

»Nein!«

Der Krieger antwortete ohne zu uberlegen, und schlagartig verharteten sich seine Zuge.

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