Der abgebrochene Gro?mast erschlug die Menschen, begrub sie unter sich, quetschte Glieder und zerbrach Knochen.

Die Verletzten schrien.

Aber der Kapitan sah nur ihre offenen Munder - und die zuckenden Leiber.

Es sah grotesk aus.

Dann war er endlich bei ihnen und fa?te da an, wo er den ersten Verletzten fand.

Ein alterer Mann, fast kahlkopfig. Seine Beine waren unter einem abgebrochenen Teil der Gro?marsrah eingeklemmt.

Aber als der Kapitan ihn herausziehen wollte, schrie der Auswanderer gequalt auf.

»Geben Sie's auf, Kapten«, stohnte der Alte unter Schmerzen. »Es hat keinen Sinn. Meine Beine sind hinuber.«

»Warum sind Sie blo? an Deck gekommen?« schrie der Kapitan gegen das Brausen des Sturmwinds. »Ich hatte es doch allen Passagieren ausdrucklich untersagt! Es ist viel zu gefahrlich. Sie alle konnen uber Bord gespult werden!«

»Ist es nicht gleichgultig. ob wir im Meer ersaufen. oder unter Deck. Kapten?«

Die Schmerzen peinigten den Alten derart, da? er nur noch abgehackte Satzfetzen hervorbrachte. Sein ganzer Korper krampfte sich beim Sprechen zusammen.

»Wenn Sie unter Deck bleiben, werden Sie nicht ersaufen«, erwiderte der Kapitan mit fester Stimme. Vielleicht wollte er dadurch auch seine eigenen Zweifel unterdrucken.

»Gerade dann. werden wir. sterben.«

Auf dem jugendlichen und gleichwohl von den vielen Jahren auf See gebraunten und wettergegerbten Gesicht des Kapitans zeichnete sich Unverstandnis ab.

Konnte man die Worte des Alten uberhaupt ernstnehmen?

Wahrscheinlich nicht, entschied der Seemann. Die Todesangst, der Schock des Unglucks und der kaum zu ertragende Schmerz in seinen Beinen mu?ten seinen Geist verwirrt haben.

»Ich werde Hilfe holen«, versprach der Kapitan im beruhigenden Ton. »Dann heben wir die Rah an und befreien Sie.«

». hat keinen Sinn«, rochelte der Alte. »Das Schiff. wird sinken!« »Unsinn!« Die Stimme des Kapitans klang fast barsch. »Sobald wir aus dem Sturm heraus sind, sieht alles anders aus.«

Der Alte schuttelte den Kopf.

»Nein. zuviel Wasser. im Schiff.«

Die Augen des Kapitans zogen sich skeptisch zusammen. Wasser im Schiff? Das klang nicht nach Angstphantasien.

»Wovon reden Sie?« fragte der Seemann.

»Wasser. uberall im Zwischendeck. bis zu den Knien.«

Besturzung uberfiel den Kapitan. Ihm dammerte, da? der Alte keineswegs phantasierte. Zu genau war seine Beschreibung. Aber - Wasser im Zwischendeck?

Das bedeutete, da? der ganze Stauraum unterhalb des Zwischendecks, wo das Gepack der Auswanderer und der Schiffsproviant aufbewahrt wurden, bereits uberflutet war.

Wenn das Wasser bereits im Zwischendeck stand, war es weit uber die normale Wasserlinie der Bark gedrungen!

Erst jetzt fiel dem Kapitan auf, da? die HENRIETTA schwerer im Wasser lag als noch vor ein paar Minuten. Das noch immer heftige Schwanken von einer Seite auf die andere lief weniger hektisch ab. Aber das war kein Grund zum Aufatmen, sondern fur das genaue Gegenteil.

Es bestatigte die Worte des alten Auswanderers: Wasser drang in den Rumpf des Schiffes ein und machte es zunehmend schwerer - weil es tiefer und tiefer sank.

Jetzt verstand der Kapitan, weshalb immer mehr Menschen trotz seines strikten Verbots aus dem Zwischendeck hochkamen. Sie furchteten den sicheren Tod, fanden auf Deck aber keineswegs die erhoffte Rettung.

Wenn das Schwanken der HENRIETTA sie nicht von den Beinen ri?, besorgten es der Sturmwind und die schweren Brecher. Schreie wurden vom Wind davongetragen.

Trotz der Rettungsseile, die der Kapitan beim plotzlichen Auftreten des Orkans auf Deck hatte zurren lassen, wurden etliche der Menschen uber Bord gespult.

Das Herz des Kapitans krampfte sich zusammen. Er trug fur Leib und Leben dieser Menschen die Verantwortung, solange sie sich an Bord der HENRIETTA aufhielten.

Hatte er versagt - auf seiner ersten Fahrt als Kapitan eines eigenen Schiffes?

Eine vertraute Gestalt stemmte sich aus dem Zwischendecksaufgang. Feuerrote Haare uber einem flachen, fast stirnlosen Gesicht. Ein Gesicht, da? jetzt Verzweiflung und Erschopfung ausdruckte. Das Gesicht des Maats Robert Schelp. Er befehligte die Manner an den Pumpen.

Der Kapitan sah ein, da? er dem eingeklemmten Auswanderer im Augenblick nicht helfen konnte. Und da? es Wichtigeres fur ihn zu tun gab.

Er mu?te nicht nur einen Menschen retten, sondern ein ganzes Schiff!

»Halten Sie aus!« rief er dem Alten zu, hangelte sich an dem abgesturzten Mast entlang zum Aufgang und fragte den durchna?ten Maat: »Schelp, was wollen Sie? Ihr Platz ist unten an den Pumpen! Die HENRIETTA sauft uns noch ab! Warum sorgen Sie nicht dafur, da? das Wasser aus dem Rumpf kommt?«

»Die Pumpen arbeiten nicht mehr!« schrie der Maat voller Verzweiflung. »Sie sind eine nach der anderen ausgefallen.«

Der Kapitan schluckte. Das war eine schlimme Nachricht, auch wenn er sich so etwas bereits gedacht hatte.

»Wie viele Pumpen arbeiten nicht mehr?« fragte er, als er sich von der bosen Uberraschung erholt hatte.

»Alle, Kapten!«

»Alle?« Der Kapitan schuttelte unglaubig den Kopf. »Das kann nicht sein!«

Und er dachte: Das darf nicht sein!

»Kommen Sie doch runter und sehen es sich an, Kapten. Die Dinger sind nur besserer Schrott, aber nicht viel besser!«

Genau das tat der Kapitan.

Er mu?te zu seinem Erschrecken feststellen, da? Schelp recht hatte. Mit den Pumpen war nicht viel anzufangen.

Zwar bemuhten sich die Seeleute verzweifelt, sie notdurftig zu reparieren. Bei einer gelang es auch, aber es dauerte keine drei Minuten, bis sie erneut ausfiel.

Das Wasser stieg, stand den Mannern schon bis zur Brust. Und die Zeit drangte!

Uberhaupt - die Zeit!

Ware vor dem Auslaufen der HENRIETTA nicht alles so ubersturzt gegangen, hatte der junge Kapitan Zeit gehabt, sich das Schiff - sein erstes Kommando - naher anzusehen. Dann hatte er bemerkt, da? die Pumpen nur au?erlich in Ordnung schienen.

»Wir mussen abhauen, Kapten!« ri? ihn Schelps laute Stimme aus den Gedanken. »Das Wasser steht uns fast bis zu Hals. Warum hat die HENRIETTA nur keine Lenzpumpe auf Deck?«

Der Kapitan hob die knochigen Schultern und lie? sie ratlos wieder fallen.

»Ich habe die Bark nicht bauen lassen, leider«, seufzte er und befahl seinen Mannern dann, nach oben zu gehen. »Seht zu, da? niemand auf dem Zwischendeck bleibt, wenn es uberflutet wird. Ein paar der Auswanderer sind die See so wenig gewohnt, da? sie sicher zu schwach sind, um auf den eigenen Beinen zu stehen.«

»Soll das hei?en, alles in die Boote?« fragte der rothaarige Maat entgeistert.

Der Kapitan nickte, schwach nur.

»Aber wir haben langst nicht genugend Rettungsboote fur alle. Au?erdem durfte es bei diesem Seegang fast unmoglich sein, sie zu wassern.«

Der Kapitan blickte den Maat traurig an.

»Haben Sie einen besseren Vorschlag, Schelp?«

»Nein«, gab der Maat zerknirscht zu.

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