Stimme.

»Dieser unverschamte Kerl hatte fast Timmy uberfahren und halt es nicht mal fur notig, sich zu entschuldigen.«

Der Kleiderschrank, der eben gesprochen hatte, wandte sich dem Planwagen zu und meinte:

»Das ist aber ziemlich unhoflich, Mister. Wir Connors und O'Faolains mogen nur einfache Leute sein, aber Hoflichkeit wird bei uns gro?geschrieben.«

Die beiden Burschen ballten ihre Fauste, die fast die Gro?e kleiner Schnapsfasser erreichten.

»Wenn Sie Hoflichkeit tatsachlich so gro?schreiben, sollten Sie sich bei Jacob bedanken«, sagte eine Stimme hinter dem Deutschen. Es war Irene, die mit Jamie im Arm auf den Bock stieg.

»Ich hore wohl nicht richtig!« schnaubte die Witwe O'Faolain und hielt demonstrativ die Rechte hinter ihr unter der Wollmutze verborgenes Ohr. »Soll ich mich bei dem Kerl etwa dafur bedanken, da? er meinen Timmy fast unter die Rader genommen hatte?«

Irene schuttelte den Kopf.

»Nicht dafur, Ma'am. Sondern dafur, da? er den Wagen rechtzeitig angehalten hat!«

»Pah!« Es hatte nicht viel gefehlt, und die stammige kleine Frau hatte in den Schlamm gespuckt. »Das war ja wohl seine verdammte Pflicht und Schuldigkeit. Keiner hat ihn gezwungen, mit seinem Wagen wie ein Irrer durch die Stadt zu rasen.«

»Wie kommen Sie darauf, da? er wie ein Irrer gerast ist?« erkundigte sich Irene mit muhsam aufrechterhaltener Hoflichkeit.

»Sonst ware es wohl kaum beinah zu einem Ungluck gekommen!«

»Sie irren sich!« verkundete Irene fest und loste damit offene Emporung auf dem breiten Gesicht der Irin aus.

Die Deutsche lie? sich dadurch nicht beirren und fuhr fort:

»Nicht Jacob tragt die Schuld an dem Ungluck, das sich fast ereignet hatte, sondern ganz allein Ihr Sohn. Unser Wagen konnte kaum langsamer fahren. Aber Ihr Junge lief einfach mitten auf die Stra?e, ohne nach rechts oder links zu sehen. Er hat irgendein Tier verfolgt. Wir haben so scharf gebremst, da? fast der Wagen umgesturzt ware. Und dabei hatte mein Sohn leicht zu Tode kommen konnen!«

Bei den letzten Worten blickte Irene zartlich auf den kleinen Jamie, der so in dicke Decken eingemummelt war, da? nur sein winziges Gesicht herausschaute.

Der noch nicht mal ein Jahr alte Junge schien den Disput interessant zu finden und hatte das Plarren eingestellt. Als konne er dem Streit der Erwachsenen folgen, blickte er sie mit gro?en Augen an.

Die Witwe O'Faolain folgte Irenes Ausfuhrungen erst mit wachsendem Unmut. Aber als die Deutsche das Tier erwahnte, dem der kleine Timmy nachgelaufen war, schlug die Stimmung seiner Mutter um. Plotzlich blickte sie ihren Sohn streng an und fragte:

»Stimmt das, Timmy? Hast du wieder ein Tier gejagt?«

Der Kleine nickte schuchtern, mehr nicht.

»Das konnte wirklich sein, Katie«, meinte einer der Kleiderschranke. Derselbe, der eben schon gesprochen hatte. »Vorhin hat Timmy hinter der Hutte mit einem Skunk gespielt. Ich habe ihm gesagt, er soll die Finger von ihm lassen.«

»Ein Stinktier?« fragte die Irin unglaubig und blickte dann streng auf ihren Sohn hinab. »Hast du das Stinktier verfolgt, als du auf die Stra?e gerannt bist, Timmy?«

Wieder bestand seine einzige Antwort nur in einem knappen Nicken.

Als die Witwe O'Faolain wieder zu den beiden Deutschen auf dem Wagen schaute, war alle abweisende Strenge aus ihren herben Zugen verschwunden.

»Sie haben wohl recht, ich mu? mich bei Ihnen fur meine Unhoflichkeit entschuldigen. Was ich hiermit tue. Ich hatte mich erst erkundigen mussen, was vorgefallen ist.«

Sie druckte ihren Sohn fest an sich.

»Aber die Angst um Timmy hat mich mitgerissen. Nach dem Tod seines Vaters im Winter ist er alles, was ich noch habe.«

Sie sah zu den beiden Kleiderschranken.

»Und meine Bruder naturlich, Bartly und Gypo Connor.«

Die beiden nickten knapp bei der Nennung ihrer Namen. Bartly war der Gesprachigere von ihnen.

»Ich entschuldige mich auch fur meinen Sohn Timmy, da? er Ihnen solche Ungelegenheiten bereitet hat«, fuhr die Witwe O'Faolain fort. »Er hat es bestimmt nicht mit Absicht getan. Aber er ist einfach verruckt nach kleinen Tieren.«

»Das glaube ich«, nickte Jacob und sah zu dem verschuchtert wirkenden Kind hinab. »Er ist immer noch ganz sprachlos vor Schreck.«

»Das liegt nicht daran«, erwiderte die Irin mit dusterem Gesicht. »Timmy hat seit dem Tag nicht mehr gesprochen, als er mit ansehen mu?te, wie sein Vater von einem Grizzly getotet wurde.«

»Von einem Grizzly?« echote Jacob und dachte an seine eigene Begegnung mit einem beeindruckenden Exemplar des Grauen Baren im Tal der geheimnisvollen Indianer.

Die Witwe nickte schwer und seufzte:

»Ja, es war mitten im tiefsten Winter. Aber der Grizzly hatte wohl vergessen, da? er seinen Winterschlaf halten mu?te. Oder etwas hatte ihn aufgeschreckt. Jedenfalls trieb er sich ganz nah bei unserer Farm herum und griff Timmy an, als er Feuerholz ins Haus holen wollte. Mein Mann Timothy, der Herr nehme sich seiner an, hackte gerade das Feuerholz in Stucke. Er sprang mit der Axt dazwischen, aber der Bar machte ihn nieder. Als Bartly und Gypo mit ihren Gewehren aus dem Haus liefen, war es schon zu spat fur meinen Mann.«

Bei den letzten Worten bekreuzigte sie sich. Tranen standen in ihren Augen.

»Wir haben dem Grizzly ordentlich was aufs Fell gebrannt«, nickte Bartly Connor. »Aber der Riese war so stark, da? er trotzdem weglaufen konnte. Erst am nachsten Tag haben Gypo und ich ihn im Wald gefunden, kurz vor dem verenden. Wir haben ihm den Rest gegeben.« Er grinste. »Katie hat jetzt eine schone warme Decke aus gutem Barenfell.«

»Das alles tut mir sehr leid«, sagte Jacob.

Katie O'Faolain zwang sich zu einem Lacheln und erwiderte:

»Sie konnen nichts dafur, Mister. Es ist dieses verfluchte Land. Drei Winter hintereinander hatten wir nichts als Ungluck. Erst fra?en ausgehungerte Wolfe fast unser ganzes Vieh. Dann starb Timmys kleine Schwester kurz nach ihrer Geburt am Fieber. Und jetzt mein Mann!«

Die Witwe O'Faolain schuttelte heftig den Kopf und meinte dann:

»No, Sir, dieses Land bringt uns kein Gluck. Wir haben aufgegeben, als der Schnee schmolz. Jetzt wollen wir nach Kalifornien, wie alle hier.« Sie zeigte auf die provisorische Stadt aus Hutten und Zelten. »Warum sollen nur die anderen durch das Gold reich werden?«

»Wir wollen auch nach Kalifornien«, sagte Jacob und stellte sich, Irene und Jamie vor.

Irene fragte:

»Mrs. O'Faolain, worauf warten Sie und all die Menschen hier?«

»Worauf? Auf ein Schiff naturlich! Aber es laufen langst nicht genugend Schiffe Fogerty an, die weiter nach Kalifornien fahren. Wir hatten gleich den Landweg nehmen sollen, dann waren wir jetzt schon da!«

»Das sind ja schone Aussichten«, seufzte Irene enttauscht.

Immer wieder, wenn sie sich Carl Dilger nahe glaubte, schob das Schicksal ein Hindernis dazwischen.

Dann aber war sie entsetzt uber sich selbst, als sie sich bei dem Gedanken ertappte, da? ihr das nicht nur unlieb war. Denn so konnte sie das langer hinauszogern, vor dem sie sich schon lange insgeheim furchtete: die Trennung von Jacob!

»Wie sieht es mit Unterkunften aus?« fragte Jacob mit Blick auf die nahen Hauser von Fogerty. »Wir haben noch nicht mal ein vernunftiges Zelt. Und das Schlafen im und unterm Wagen sind wir eigentlich uber.«

»Oh, es gibt Unterkunfte in der Stadt«, antwortete die Irin. »Seitdem die Leute geradezu in Scharen nach Kalifornien stromen, haben eine Menge Burger ihre Hauser in Pensionen umgewandelt. Au?erdem gibt es noch einen riesigen Kasten, der sich Fogerty Grand Hotel nennt. Aber egal wo, die Zimmer sind teuer. Auch die Burger von Fogerty hat der Goldrausch erfa?t!«

»Und es gibt wirklich keine Moglichkeit, per Schiff nach Kalifornien zu kommen?« erkundigte sich Irene noch einmal.

Вы читаете Blockadebrecher
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату