»Doch!«
»Weshalb kannst du dann nicht sagen, wie sie aussieht?«
»Schwarz.«
»Schwarz?«
Der Junge nickte eifrig.
»Ihre Kleidung ist ganz schwarz, und vor dem Gesicht tragt sie einen schwarzen Schleier.« Wahrend er sprach, zog Frankie Herbert ein kleines Briefkuvert aus der Jackentasche. »Das soll ich Ihnen geben, Mr. Schelp.«
»Dann gib es mir!« verlangte der Rothaarige unwirsch und streckte eine seiner behaarten Pranken aus.
Aber der Junge legte das Kuvert nicht hinein, sondern sagte leise:
»Die Dame hat gesagt, Sie geben mir fur den Brief einen Golddollar.«
»Gib mir den Brief, dann bekommst du deinen Dollar.«
»Haben Sie denn einen Golddollar, Sir?« fragte der Junge zweifelnd und dachte an das viele Gesindel, das sich zur Zeit in Fogerty herumtrieb. Sein Vater hatte ihn eindringlich vor Bettlern und Betrugern gewarnt.
»Willst du mich beleidigen?« brullte Schelp.
Seine Rechte schnappte sich den stets griffbereiten Stock und hob ihn drohende zum Schlag.
Piet Hansen hielt Schelps Arm fest und sagte:
»Ma?igen Sie sich, Schelp! Sie als Geschaftsmann sollten die Vorsicht unseres Kuriers eigentlich zu wurdigen wissen.«
Das Lacheln, das daraufhin uber Schelps grobes Gesicht glitt, war nicht geeignet, Frankie Herberts Furcht vor dem seltsamen Mann zu mindern.
Wenigstens lie? dieser den Stock sinken, kramte etwas aus der Tasche seiner dunklen Weste und sagte:
»Sie haben recht, Kapten, wenn ich daruber nachdenke. Der Junge imponiert mir. So habe ich auch mal angefangen.«
»Hier, mein Sohn, nimm deinen Golddollar!«
Vorsichtig, nach der Hand mit dem Stock schielend, nahm Frankie Herbert das glanzende Geldstuck entgegen und legte dafur den Brief in die behaarte Hand.
»Sollst du auf eine Antwort warten?« fragte Schelp.
»Nein, Sir.«
Schelp wandte sich an Hansen.
»Dann kann der Junge gehen.«
Der Kapten rief den drau?en wartenden Seemann herein, um den Jungen an Land zu begleiten.
Als Frankie Herbert die fremde Welt des Segelschiffes verlie?, fuhlte er sich erleichtert. Der Mann mit dem roten Haar hatte ihm Angst gemacht.
Aber dann glitt ein Lacheln uber das Kindergesicht - Frankie dachte an die beiden Goldstucke in der Tasche seiner Kalikojacke.
In der Kapitanskajute griff Arnold Schelp nach einem Messer des Silberbestecks und fetzte ungeduldig den unbeschrifteten wei?en Umschlag auf, der lediglich mit einem Adre?aufdruck des Fogerty Grand Hotels versehen war. Der gleiche Aufdruck schmuckte das Briefpapier, das nur wenige handgeschriebene Worte enthielt.
Schelp las laut vor:
»Erwarte Sie umgehend im Grand Hotel, Zimmer 214. V. Smith.«
»Nicht gerade ein ausfuhrliches Schreiben«, seufzte der Kapitan. »Ist V. Smith der Verbindungsmann, auf den Sie warten?«
»Ich nehme es an«, antwortete der Rothaarige, wahrend er den Brief zusammenfaltete und in eine Tasche seiner Weste steckte. »Mir wurde kein Name genannt. Ich wei? nur, da? ich in Fogerty neue Instruktionen erhalten soll. Wer sonst sollte also den Brief geschickt haben?«
»Vielleicht ein Agent des Nordens.«
Schelp starrte Hansen entgeistert an.
»Wie meinen Sie das, Kapten?«
»Ich meine, da? es eine Falle sein konnte. Vielleicht haben die Nordstaatler Ihren Verbindungsmann geschnappt und durch einen ihrer Agenten ersetzt.«
»Verflucht, das ware eine Erklarung fur die Verspatung!« Schelp lie? den schweren Silberknauf seines Stocks hart auf die Tischplatte knallen. »Aber wenn es so ist, warum dann das Treffen im Hotel? Die Yankees konnten das Schiff doch ganz einfach sturmen.«
»Vielleicht wollen sie noch mehr herausfinden und deshalb das Spiel so lange fortsetzen, wie es geht.«
Uberlegend fuhr Schelps Linke durch seinen feuerroten Haarschopf.
Er schuttelte schlie?lich den Kopf und seufzte:
»Ich schatze, es gibt nur eine Moglichkeit, die Wahrheit herauszufinden, Kapten. Wir mussen ins Hotel!«
»Wir?« fragte Hansen uberrascht.
Schelp nickte grinsend und zog einen kleinen Gegenstand aus einer der Westentaschen: ein versilberter Derringer mit vergoldetem Griff, protzig, aber todlich.
»Ich mochte Sie in meiner Nahe haben, Kapten. Vielleicht haben Sie mich ja verraten, dann mochte ich mich gebuhrend bei Ihnen bedanken.«
»Ich habe Sie nicht verraten«, sagte Hansen und dachte:
»Wir werden sehen.«
Schelp lie? den Derringer wieder verschwinden, stand auf und griff nach seinem Rock und dem Chapeau claque.
»Kommen Sie, Kapten, das Spiel hat begonnen!«
Kurz darauf verlie?en die beiden Manner das Schiff und erwiderten knapp den Gru? der beiden Soldaten.
»Der Kapten geht auch mit«, raunte der Corporal seinem Kameraden zu. »Anscheinend hat die Dame noch eine Freundin.«
»Yeah«, grinste der Gemeine. »Sehr geheim und personlich.« »Es ist schon ein Witz, da? ausgerechnet Yankee-Soldaten die ALBANY bewachen«, raunte Piet Hansen seinem Begleiter zu.
»Ja«, grinste der Mann in der stutzerhaften Kleidung. »Als wu?ten sie, wie wertvoll unsere Fracht ist.« Mit gemischten Gefuhlen verlie?en die beiden Deutschen den Hafen und gingen in Richtung Stadt.
*
Die beiden kleinen Zimmer, die der Hotelier Jefferson Kinley den deutschen Auswanderern zuwies, lagen zu einer schmalen Seitengasse hinaus. Sie waren ziemlich dunkel und fast spartanisch eingerichtet, aber dafur sauber und umsonst. Irene blieb mit Jamie auf ihrem Zimmer, um sich auszuruhen.
Jacob fuhr mit dem Wagen zum nachsten Mietstall, um ihn und die Tiere zu verkaufen. Beides benotigten sie nicht mehr. Und sie im Mietstall unterzustellen, hatte nur unnotige Kosten verursacht.
Der Mietstallbesitzer, ein bulliger Mann mit spiegelglatter Glatze und dem Namen Svenson, bot funfzig Dollar pro Pferd und noch einmal funfzig fur den Wagen. »Das ist aber nicht viel«, sagte Jacob enttauscht. »Nein«, sagte der Glatzkopf offen. »Es ist sogar sehr wenig. Aber Sie konnen sich ruhig in Ruhe umhoren. Mein Angebot bleibt bestehen. Niemand in Fogerty wird Ihnen mehr bieten.« »Warum nicht?«
»Weil Sie einen Tag zu spat gekommen sind. Die Auswanderer vom Schiff, die gestern ins Landesinnere aufgebrochen sind, hatten wohl mehr bezahlt. Aber die meisten Leute, die jetzt nach Fogerty kommen, suchen eine schnelle Schiffspassage zu den Goldfeldern, wie Sie. Das Angebot an Pferden und Wagen ubersteigt die Nachfrage bei weitem. Die Zeltstadt da drau?en wird Ihnen nicht entgangen sein.«
»Aber wenn wieder ein Schiff mit Auswanderern kommt«, wagte der Deutsche noch einen schwachen Versuch.
»Vielleicht kommt morgen eins«, erwiderte der Glatzkopf achselzuckend. »Vielleicht aber auch erst in einem Jahr oder spater, was ich eher glaube. Wer aus der Alten Welt in die Neue auswandert, macht sich nicht gern die