Er drehte sich um und wollte die Empfangshalle verlassen, als die bruchige Stimme des alteren Mannes ihn zuruckhielt:

»Warten Sie, Mister! Sagten Sie eben, Sie sind Zimmermann?«

Der Auswanderer wandte sich erneut zu ihm um und zeigte auf den goldenen Ring in seinem rechten Ohrlappchen.

»Ja, Sir. Dies hier ist bei uns in Deutschland das Zeichen meiner Zunft.«

»Das ist etwas anderes«, meinte der Graukopf interessiert und zeigte mit dem Daumen uber seine Schulter. »Wir bauen hinten gerade einen gro?en Mietstall. Warum sollen wir das Geschaft anderen uberlassen? Leider ist unser Zimmermann uberraschend abgehauen. Goldfieber, wissen Sie. Wenn Sie fur ihn einspringen, erhalten Sie ein Zimmer zum halben Preis, solange Sie fur mich arbeiten. Ihr Deutsche sollt ja sehr flei?ig sein. Ubrigens, ich hei?e Jefferson Kinley. Mir gehort das Hotel. Was sagen Sie zu meinem Angebot, Mister.«

Jacob nannte seinen Namen und meinte dann: »Das Angebot ist gut, aber nicht gut genug.«

»Was verlangen Sie?« erkundigte sich der Alte im geschaftsma?igen Tonfall.

»Freies Logis und freie Verpflegung.«

»Sie ruinieren mich, Mr. Adler.«

»Bei Ihren Preisen bestimmt nicht.«

»Also gut«, seufzte Kinley, in sein Schicksal ergeben. »Freies Logis und freie Verpflegung.«

»Fur mich und meine Begleitung, also zwei Zimmer.«

»Ihre Begleitung? Zwei Zimmer?«

Der Hotelier wirkte auf Jacob fast komisch, wie ein verwirrter Papagei.

»Eine junge Dame, die ich nach Kalifornien begleite. Sie benotigt naturlich ein eigenes Zimmer.«

Jacob wu?te, da? er hoch pokerte. Aber er war fest entschlossen, es darauf ankommen zu lassen. Schlie?lich waren er und Irene auf das Grand Hotel, mochte das Wohnen hier gegenuber dem Ubernachten im Wagen auch noch so angenehm sein, nicht angewiesen. Au?erdem benahm sich Jefferson Kinley mit seinen Preisen auch nicht gerade wie ein barmherziger Samariter.

»Eine junge Dame?« Kinley wirkte alarmiert und reckte das spitze Kinn vor. »Horen Sie, Mister, dies ist ein anstandiges Hotel. Falls Sie meine ubergro?e Gutmutigkeit ausnutzen wollen, seien Sie gewarnt. Ich lasse nicht zu.«

»Sie denken falsch von Mrs. Sommer und mir«, fiel ihm Jacob ins Wort. »Mrs. Sommer ist eine anstandige Frau. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn unterwegs zu ihrem Mann.«

Eigentlich waren Irene und Carl Dilger nicht verheiratet. Jacob hatte folglich nicht von einer Mrs., sondern von Mi? Sommer sprechen mussen. Aber angesichts der moralischen Verantwortung, die Jefferson Kinley offenbar fur sein Haus fuhlte, hielt er ein bi?chen Flunkern fur angebracht.

Au?erdem wollten Irene und Carl ja heiraten; ein fur Jacob schmerzlicher Gedanke.

»Wenn das so ist«, meinte der Hotelier unsicher. »Aber Sie erwahnten gerade ein Kind. Dann sind es also drei Personen?«

»Zahlen Kleinkinder bei Ihnen etwa auch drei Dollar pro Nacht?«

»Nein, die Halfte. Aber ich will kooperativ sein. Die junge Dame zahlt den halben Preis, und ihr Kind darf umsonst wohnen.«

Jacob schuttelte entschlossen den Kopf und sagte mit fester Stimme:

»Freie Unterkunft und freie Verpflegung fur uns alle drei, Mr. Kinley. Oder wir suchen uns einen anderen Platz!«

Der Hotelier sah den Auswanderer an wie ein von unertraglichen Schmerzen gepeinigter Mann.

»Sie ruinieren mich wirklich, Mr. Adler.«

Jacob grinste nur. Er spurte, da? er dieses Spiel gewonnen hatte.

»Na schon, na schon, ich schlage ein«, brummte Kinley, als er einsah, da? der Zimmermann nicht nachgeben wurde. »Wann fangen Sie an zu arbeiten?«

»Sobald ich im Hafen gewesen bin und mich um eine Passage nach Kalifornien gekummert habe.«

»So lange wollen Sie in Fogerty bleiben?«

Jacob nickte.

Der Hotelier rieb zufrieden seine Hande.

»Dann wird der Mietstall bestimmt bald fertig. Schiffspassagen nach Kalifornien sind hier so rar wie Negersklaven im Wei?en Haus. Sie werden soviel Zeit haben, da? Sie eine ganze Stadt bauen konnen, Mr. Adler.«

»Fuhren Sie mich nicht in Versuchung, Sir«, grinste Jacob und ging nach drau?en zu Irene und Jacob.

*

Piet Hansen und Arnold Schelp sa?en in der Kapitanskajute uber den Resten des Mittagessens, das sie mit einem Bourbon begossen.

Der Kapitan war alles andere als wild darauf, mit dem Rothaarigen zu speisen. Arnold Schelp dagegen bestand auf dem gemeinsamen Essen, jeden Tag. Und leider mu?te Hansen tun, was Schelp sagte.

Der rothaarige Geschaftsmann wollte gerade sein Bourbonglas nachfullen, als heftig gegen die Tur geklopft wurde.

»Ja?« fragte Hansen, fast ein wenig erleichtert daruber, da? die ungeliebte Zweisamkeit mit Schelp unterbrochen wurde.

Es war einer der amerikanischen Seeleute aus der hauptsachlich aus Deutschen und Amerikanern bestehenden Mannschaft. In seiner Begleitung befand sich ein blondschopfiger Junge.

»Der Knirps hier hat eine Nachricht fur Mr. Schelp, Kapten«, wandte sich der Seemann ordnungsgema? an den Kapitan.

Dieser wechselte einen kurzen Blick mit dem Rothaarigen. Beide dachten dasselbe: Der Junge brachte die Botschaft, auf die sie schon seit Tagen warteten!

»Ist gut«, nickte der Kapten. »Schick den Jungen herein und warte drau?en!«

Zogernd ging Frankie Herbert auf den gro?en Tisch zu, nachdem der Seemann die Kajutentur hinter sich geschlossen hatte. Dies hier war wirklich eine fremde Welt. Die geraumige Kajute wirkte auf den Jungen wie der Palast eines Konigs.

Tatsachlich war die Kapitanskajute fur eine Bark wie die ALBANY sehr prunkvoll ausgestattet. Die Wande waren mit Bucherregalen und Gemalden bedeckt; letztere zeigten ausnahmslos Motive aus der Seefahrt. Die Vorhange aus feinstem Samt vor dem gro?en Fenster waren an den Randern mit Goldborten besetzt. Uber dem Tisch hing ein Kronleuchter, der auch dem Salon eines gro?en Herrenhauses Ehre gemacht hatte.

Piet Hansen war weder im Luxus aufgewachsen, noch benotigte er ihn. Aber er hatte sich daran gewohnt. Er hatte die Kajute von seinem Vorganger, dem alten Josiah Haskin, so ubernommen, wie sie war. Naturlich storte der Luxus den Seebaren auch nicht. Er hatte lange genug auf die ihm gebuhrende Kapitansstellung verzichten mussen - mehr als zwanzig Jahre.

»Schlaf nicht ein, Junge!« ermahnte der Rothaarige den staunenden Frankie Herbert. »Wer schickt dich?«

»Eine Dame«, antwortete der Fleischersohn, als er vor dem reich gedeckten Tisch stand.

»Was fur eine Dame?« fragte Schelp uberrascht. »Wie hei?t sie?«

»Das wei? ich nicht, sie ist neu in der Stadt. Sie wohnt im Hotel.«

»Im Grand Hotel?«

Frankie Herbert nickte eingeschuchtert. Was ihn angstigte, war nicht so sehr die fremdartige Umgebung, sondern mehr der Mann mit den roten Haaren.

Es war ein seltsamer Mann. Er wirkte grob, fast wie ein Fleischer. Aber seine Kleidung war die eines feinen Pinkels -so nannte Frankies Vater die Honoratioren von Fogerty, die am Samstag hochstpersonlich in seinem Laden erschienen, um den Einkauf des Sonntagsbratens zu uberwachen. Es pa?te nicht zusammen.

»Wie sieht diese Dame denn aus?« forschte Schelp nach.

»Das wei? ich auch nicht.«

Ungeduldig schlug die gro?e Hand des Rothaarigen auf den Tisch. Die Hand war grobporig wie sein Gesicht. Und sie war dicht behaart; die vielen Harchen schimmerten rotlich. Sie sah nicht aus wie die Hand eines feinen Mannes - der Grund, weshalb Schelp, au?er beim Schlafen und Essen, fast immer Handschuhe trug.

»Was wei?t du denn uberhaupt?« rief Schelp verargert. »Hast du nicht mit dieser Dame gesprochen?«

Вы читаете Blockadebrecher
Добавить отзыв
ВСЕ ОТЗЫВЫ О КНИГЕ В ИЗБРАННОЕ

0

Вы можете отметить интересные вам фрагменты текста, которые будут доступны по уникальной ссылке в адресной строке браузера.

Отметить Добавить цитату